Freitag, 28. November 2008

Seit 108 Jahren


... quält sich die SPD mit dem Sozialismus. Ich habe mir das in diesem Jahr, dem 108ten, eine Weile angesehen und angehört (siehe meinen ersten Eintrag, ganz unten, vom 12. April 2008) und im Spätsommer reichlich nachgedacht, woran das liegen könnte (siehe meinen Eintrag vom 12. September 2008), und bin dann zu dem Ergebns gekommen: Ohne Sozialismus geht es besser. So heißt jedenfalls der Beitrag, den Die Welt in ihrer gedruckten Ausgabe am 26. November 2008 auf Seite 7 veröffentlicht hat. Wer die Ausgabe verpasst hat und sie auch nicht mehr in seinem Café findet, hier ist die Onlineversion der Printfassung (Abbildung rechts, durch Klicken aufs Bild lässt sich die Abbildung vergrößern - das gilt für alle Bilder und Fotos auf dieser Seite). Es handelt sich dabei um einen Auszug aus meiner akuten SPD-Analyse. Die Veröffentlichung hat sogleich etliche Kommentare nach sich gezogen, deren drastischster lautet:
"Zum Artikel des Herrn Bieling kann ich nur sagen: Für so was dürfte man kein Geld bekommen sondern Berufsverbot." So spricht Hmann0815261. Das ruft sogleich Bürger 11336 auf den Plan: "Der Genosse Parteivorsitzender hat entschieden. Berufsverbot! Sie verraten sich immer wieder." Später wird Hmann0815261 sein Recht auf Satire geltend machen, Bürger 11336 glaubt ihm in seiner Replik kein Wort. M.Meusel schreibt: "So ein Quatsch - ohne Sozialmus geht es besser?" und führt dann aus, warum das Gegenteil richtig wäre. Jokus709 haut in die gleiche Kerbe: "Alles sehr schön, Rainer Bieling, doch was soll eine Sozialdemokratische Partei ohne den demokratischen Sozialismus...?" Nur Denker spendet Zuspruch: "Auf welchem Niveau die hier geäußerte Kritik stattfindet ist angesichts des zugrunde liegenden Artikels geradezu haarsträubend." Danke, Denker.
 

Freitag, 21. November 2008

Waltz with Bashir


Dieser Film ist schier unglaublich und in dreierlei Hinsicht herausragend. Das beginnt mit dem, was man hört.

Was man hört ist der Sound der frühen Achtziger, weiche und harte New Wave, obwohl es nur zwei Originalstücke aus dieser Zeit sind, die Komponist Max Richter neben seiner eigenen Filmmusik zulässt. Zuerst geht es mit Enola Gay, dem Hit von OMD (Orchestral Manoeuvres in the Dark) aus dem Jahr 1980, in den Krieg. Das passt, denn Enola Gay ist der Name des B-29-Bombers, der die Atombombe nach Hiroshima trägt. Und dann hat der Soldat Ari Folman 24 Stunden Heimaturlaub von der Front, und es erklingt This Is Not A Love Song von PIL (Publik Image Ltd.) aus dem Jahre 1983. Das passt, denn es ist keine Love Story, an der wir teilhaben. Diese beiden musikalischen Eckpunkte verbindet der deutsche Komponist, der jetzt in England lebt, mit seinem Soundtrack, der vom ersten Ton an klarmacht, das ist nicht Vietnam, das ist nicht Apocalypse Now, das ist nicht The End und es sind nicht The Doors und wir sind auch nicht in den 1960er Jahren - es ist der Libanon, es ist Bashir's Waltz, es ist kein Love Song und es gibt kein Happy End. Wir sind in den 1980er Jahren und die hören sich ganz anders an als die späten Sechziger. Sehr gut gemacht, Max Richter, der Ton stimmt. Ich muss es wissen; denn in den frühen 1980er Jahren habe ich die Musikredaktion von Zitty geleitet, und da haben wir genau diese Art von Musik geliebt und gefeatured. Wie klingt diese Art 2008? Hören Sie selbst.

Was man sieht, wenn man hört, ist nicht die heile Welt, von der West-Berlin im Jahr 1982 ein Teil war. Es ist die kaputte Welt von Beirut im Jahr 1982, und sie geht vor unseren Augen entzwei. Und das ist so schrecklich: die positiv besetzte Musik und die negative Kraft der Zerstörung. Was der israelische Filmemacher Ari Folman da ins Bild setzt, habe ich so noch nie gesehen. Er macht aus dem verheerenden Einmarsch Ariel Scharons in den Libanon einen Zeichentrickfilm. Wer nun abwinkt und sagt, das kennen wir doch von Marjane Satrapis Comicfilm Persepolis, sollte weiterlesen. Ja, da gibt es Parallelen in der autobiografischen Geschichtsbetrachtung mit den Mitteln des Animationsfilms. Nein, Folmans Waltz With Bashir ist keine bittersüße Tragigkomödie, sondern ein abgrundtiefes Schreckensgemälde. Es ist nicht nur der Horror von Krieg und Massaker, der schockiert. Der Zuschauer sieht auch in menschliche Abgründe, die noch viel größeren Schrecken erzeugen: Kommt einem das nicht alles sehr bekannt vor? Das Stilmittel des Gezeichneten erzeugt eine Wirklichkeit, die erschüttert, weil sie realer scheint als die Realität selbst. Was wir hier vor uns haben, ist virtual history von Feinsten. Sehen Sie selbst.

Was man fühlt ist schieres Entsetzen erst und große Ruhe anschließend. Ja, es ist ein Schock, was da auf der Leinwand geschieht. Es ist ein Schock, wie es erzählt wird. Und es ist ein Schock zu begreifen, warum ein Massaker wie das von Sabra und Schatila letzten Endes zum Vergessen verdammt ist. Wenn da nicht einer wie Ari Folmann kommt, der damals 19 und dabei war - als Zuschauer, nicht als Täter. Ein Zuschauer, der aber alle Bilder und das Ereignis selbst vergessen hat. Wäre da nicht sein Freund Boaz, der seit zwei Jahren unerklärlicherweise von 26 wilden Hunden träumt, die sein Haus bestürmen. Nacht für Nacht seitdem. Bis er es nicht mehr aushält und seinen Freund damit behelligt. Und so macht sich Ari auf eine Reise in seine eigene Vergangenheit, bei der er am Ende in seiner verschütteten Erinnerung ankommt. Er sieht die Bilder des Todes und wird ganz ruhig und der Zuschauer mit ihm. Wie beunruhigend. Der Film läuft noch gelegentlich in Berlin. Gehen sie selbst. Und beachten sie auch meinen Eintrag vom 12. Januar 2009: Bashir schlägt Baader.
NACHTRAG
Der Film erscheint am 15. Mai 2009 in Deutschland auf DVD.
 

Freitag, 7. November 2008

Am Fenster (Linie 1)


Aus meinem Büro am Tempelhofer Ufer blicke ich auf etwas wirklich Schönes, kräftig Gelbes, immerfort Bewegtes, typisch Berlinisches, sehr Urbanes und Uraltes: unsere U-Bahnlinie 1. Die Züge der Linie U1 kommen (mitten aus einem Wohnhaus heraus) von links vom Gleisdreieck im Westen und fahren nach rechts zur Möckernbücke im Osten (wohin der Zug im Foto gerade entschwindet) und umgekehrt. Die Linie 1 ist auf dem Teilstück vor meinem Fenster als Hochbahn ausgeführt und gehört zur Stammstrecke der Berliner U-Bahn. Der Kaiser selbst weihte Berlins erste U-Bahnlinie 1902 ein. Sie ging in West-Ost-Richtung vom Knie (Ernst-Reuter Platz) zur Warschauer Brücke und hatte am Gleisdreieck (daher der Name) einen Abzweig nach Norden zum Potsdamer Platz.
Als das berühmte und nach der Dreigroschenoper erfolgreichst deutsche Musical des Grips Theaters Linie 1 entstand (1986), fuhr die U1 von Ruhleben nach Schlesisches Tor (da war Schluss; denn dahinter kam die Mauer). Am Fenster (so der erste Hit der DDR-Rockband City von 1977) stehend sehe ich rechterhand die fast gegenüberliegende Station Möckernbrücke. Von hier geht es ins tiefste Kreuzberg, zur Enstehungszeit des Musicals Hochburg der Alternativszene und größtes türkisches Wohnviertel in Berlin. Für mich war 1986 die Zeit des Abschieds von Zitty, die damals noch am Kurfürstendamm Ecke Schlüterstraßem residierte. Später zog Berlins Stadtillustrierte in Räumlichkeiten ganz in der Nähe vom Tempelhofer Ufer mit Blick auf die wenige hundert Meter weiter östlich liegende U-Bahnstation Hallesches Tor. Mit der Linie 1 des Grips Theaters (nächste Aufführung am 19.12.2008) verbindet mich noch heute das Programmheft, das einen thematisch passenden Auszug aus meinem Buch Die Tränen der Revolution (siehe Eintrag vom 12.4.2008) aufgenommmen hat. So hängt alles mit allem zusammen, nur Zitty ist abhanden gekommen und mittlerweile Am Treptower Park zu Hause.
Und hier ein paar weiterführende Links zum Eintrag
Mehr Blicke aus dem Fenster (mit Google Map) bei Picasa
Am Fenster von City bei Youtube
Linie 1 im Spielplan des Grips-Theaters
Grips Theater über Linie 1
Zitty
Homepage
City Homepage

Montag, 27. Oktober 2008

An einem Montag in Spandau


Ich war zu spät gekommen, und mein Ticket hatte die Nummer 019. Viele waren wir nicht heute abend im Gotischen Saal der Zitadelle Spandau. Aber alle waren begeistert. Es spielten auf The Crooked Jades aus San Francisco, und aufspielen trifft es auf den Punkt. Diese West-Coast-Kapelle intoniert traditionellen amerikanischen Bluegrass so frisch, lebendig und mit solcher Energie, dass es reichte, eine ganze Dorffestgesellschaft auf die Beine zu bringen.
Das Foto zeigt vier der fünf Bandmitglieder und ihre Instrumente, die den Sound bestimmen: Soprano Ukelele, akustische Gitarre, Fiddle (Geige), Banjo (v.l.n.r.). Dazu kommen ein Bass, den der Bassist (fehlt im Bild) auch mit dem Bogen spielt, eine Slide Guitar und ab und zu ein Harmonium. Das ist ungewöhnlich und überaus selten: "Als Begleitinstrument zur Geige für traditionelle keltische Tanzmusik wird es gelegentlich immer noch in einigen Gegenden der kanadischen Atlantikküste verwendet", weiß Wikipedia. Stimmt, Harmonium-Spielerin Leah Abramson kommt aus Vancouver!
Die übrigen Crooked Jades kommen aus Portland, Oregon, Ohio und Massachusetts, ihren Lebensmittelpunkt haben sie in San Francisco. Das ist bezeichnend: Das Revival der Volks- und Tanzmusik (zum Teil wirklich Volkstanzmusik, Sqare Dance Music) kommt nicht von den Rednecks aus den Apalachen oder den Prairiestaaten des Mittleren Westens, es kommt aus dem urbanen Milieu der Westküste und wie die meiste neue Musik der letzten vierzig Jahre aus San Francisco. Erkenntnis: Es ist die Stadt, aus der der Fortschritt kommt, nicht das Land. (Mag der Fortschritt auch ein Rückgriff sein, er führt doch stets zu einer Renaissance.)
Das Neue an dieser Musik, die eine Retromusik oder besser eine roots music ist, ist, dass es sie gibt. Wieder. Und dass es coole junge Leute (drei Frauen, zwei Männer) sind, die sie mit allergrößter Selbstverständlichkeit vortragen. Das erinnert stark an den Klezmer, der sein Revival ebenfalls den jungen Bands verdankt. Und beide, Bluegrass und Klezmer, erinnern stark an die mitteleuropäische Folk- und Volksmusik, die heute noch auf norditalienischen Dorffesten zu hören ist. Aber da kommen beide auch her, aus Europa. In Amerika haben sie eine neue Klangfarbe angenommen, und es ist beruhigend zu hören, dass diese Farbe auf der anderen Seite des Atlantiks wieder einen vollen Klang hat. Was für ein toller Sound! Schön, dass der an einem Montag in Spandau zu hören war.
Die Crooked Jades haben in der Zitadelle ihre neue CD vorgestellt. Sie heißt Shining Darkness und ist noch nicht im Handel.
Mehr Informationen gibt es direkt bei den Crooked Jades
Auf Youtube sind ein paar Videos
Bei MySpace können Sie ebenfalls ein paar Takte hören (der zweite Song ist mit Harmonium!)
Dank ans Kulturhaus Spandau, das den spannenden Abend im Gotischen Saal der Zitadelle (allein schon ein Erlebnis: die meterdicken Backsteinmauern) organisiert hat, an SingerSongwriterin K.C. McKanzie, die mit ihrem Bassisten sehr gut und passend eingeführt hat und an HappySad-Moderatorin Christine Heise von Radio 1 "Nur für Erwachsene", die mich am vergangenen Donnerstag auf der Heimfahrt von einem 12-Stunden-Tag überhaupt erst in ihrer Sendung HappySad auf den Auftritt der mir bis dahin völlig unbekannten Crooked Jades mit Hörkostproben und Hintergrundinformationen eingestimmt hat. Gut gemacht, weiter so und mehr davon.
 

Freitag, 3. Oktober 2008

Tag der deutschen Einheit



Die deutsche Einheit wird volljährig. Vor 18 Jahren kam die Bereinigung der Flurschäden des Zweiten Weltkriegs (in Europa) zu einem Abschluss, für die Bundesrepublik Deutschland wurde es ein zweiter Anfang. Da möchte ich auf einen Text des Berliners Sebastian Haffner aufmerksam machen, den die Büchergilde Gutenberg dem breiteren Publikum im Sommer 2008 zugänglich gemacht hat. Germany: Jekyll & Hyde beschreibt, wie es zu diesen Flurschäden kommen konnte. (Die Abbildung rechts zeigt den Buchumschlag.)

Diese erste ungekürzte deutsche Ausgabe eines ursprünglich im Londoner Exil auf Englisch verfassten und (1940) veröffentlichten Buchs trägt den Untertitel 1939 - Deutschland von innen betrachtet. Und das ist das eigentlich Erstaunliche: Der Jurist Sebastian Haffner, der gleich 1933 unter Protest gegen die Nationalsozialisten aus dem Staatsdienst ausgeschieden und 1938 mit seiner jüdischen Ehefrau nach England emigriert ist, beschreibt hell und klar all das, von dem es später hieß, das habe man doch nicht geahnt und nicht wissen können.

Eine Lüge. Die Mitläufer und Mittäter haben es gewusst wie die Weggucker und Stillschweiger. Sebastian Haffner zeigt aber auch, dass die nationalsozialistische Unterdrückungsmaschine wie geschmiert lief, dass Widerstand zwecklos war und in den sicheren Tod führte. Das Regime tyrannisierte die schweigende Mehrheit, die Haffner als teils loyal, teil illoyal beschreibt. Ein ganzes Jahrzehnt vor Hannah Arendts
The Origins of Totalitarianism (1951) liefert Haffner eine genaue Beschreibung totalitärer Herrschaft, aus der es außer durch Flucht kein Entrinnen gibt (solange Flucht überhaupt möglich ist und nicht durch einen Eisernen Vorhang oder eine Mauer verhindert wird).

Die zweite Stärke dieses bemerkenswerten Textes ist das Herausarbeiten des deutschen Imperialismus, den die Nationalsozialisten zum Höhepunkt und Abschluss brachten. Sebastian Haffner macht deutlich, warum Beschwichtigung und Appeasement gegenüber dem auf Anmaßung beruhenden und auf Unterwerfung zielenden Imperialismus scheitern muss. Noch vor dem Ausbruch des großen, totalen Krieges macht er klar, dass das nationalsozialistische Regime in einem (für die Bevölkerungen beider Seiten schrecklichen) Krieg besiegt und ausgeschaltet werden muss.

Der reale Imperialismus
hat eben nichts mit Lenins Phantasie ("höchstes Stadium des Kapitalismus") zu tun, er ist ein Grundübel der Zivilisation und Ursache für Konflikte und Kriege seit Beginn der Hochkulturen. Nichts zeigt dies deutlicher als die deutsche Einheit. Ihr Verlust nach 1945 war eine Folge der bedingungslosen Kapitulation des deutschen Imperialismus, ihre Wiederherstellung 1990 eine Folge der Implosion des russischen Imperialismus. Erst als Russland die Sowjetunion und das sozialistische Lager nicht mehr aufrecht erhalten konnte und Gorbatschow zum Rückzug blies, war der Raum für die Wiedervereinigung frei.

Heute, zur Volljährigkeit der deutschen Einheit, wird der Raum anderswo in Europa schon wieder enger und damit der Spielraum für politische Gestaltung auf eigenem Terrain. Im August 2008 musste Georgien erfahren, dass die Implosion des russischen Imperialismus nur ein Schwächeanfall war, nicht dessen Ende. Wir Deutschen haben 1990 von der Schwäche profitiert, bei uns gelten Gorbatschow (und der Georgier
Schewardnadse) als Helden. Zu recht; denn sie haben gezeigt, welches Potential für Frieden und Freiheit der Verzicht auf Anmaßung und Unterwerfung bereit hält.

Der Tag der deutschen Einheit ist ein guter Tag der Besinnung auf das Gestern im Morgen. Sebastian Haffners Buch liefert dafür eine geeignete Vorlage. Indem wir im Nachhinein staunen, was ein redlicher Zeitgenosse schon vor 68 Jahren über Deutschland zu sagen wusste, schöpfen wir Mut, unsererseits
Gut und Böse in der Welt von heute erkennen zu wollen. Zum Beispiel dies: Der Tag, an dem Gorbatschow auch in Russland als Held gefeiert wird, wird der Nacht vorausgehen, in der wir Europäer wieder ruhig schlafen können.

Freitag, 26. September 2008

In memoriam Marianne



Was für ein trauriger Tag. Heute haben wir Marianne Krohn zu Grabe gelegt. Nur 57 Jahre alt ist sie geworden, Krebs. Wieder ein vertrauter Mensch weniger, der sich nach 1968 wie so viele aus unserer Generation auf den langen Marsch eingelassen hat, um nach vielem Hin und Her irgendwie irgendwo im Hier und Jetzt anzukommen. (Auf dem Foto die Kranzschleife ihrer Spandauer Freunde.)
Marianne war eine Heldin des Alltags, die als Lehrerin an der Heinrich-Böll-Schule in Berlin-Spandau ihren Schülern unermüdlich lebenstaugliches Wissen und Bildung des Herzens angedeihen ließ. Mit ihr geht eine Zeit unter, in der die sozialen Milieus sich noch vermischt haben, in der eine Volkspartei wie die SDP noch allerhand Volks um sich herum in der linken Mitte scharen konnte und selbst die, die sich entfernten, an der langen Leine mitlaufen ließ.
Weil es ein exemplarischer Fall aus jener fernen Zeit ist, in der das Private politisch war und das Politische schnell privat wurde, gebe ich hier einen Link zu der Begräbnisrede, die ich heute zur Erinnerung an Marianne (ihr Todestag war der 25. August 2008) im Krematorium Wilmersdorf gehalten habe. Für die vielen, die sie kannten und mochten und bei der Bestattung nicht dabei sein konnten: http://docs.google.com/Doc?id=dg2mw4pw_42gnrtbrd5
 

Freitag, 12. September 2008

Was den Horizont erweitert


Nach fast zwei Monaten Sendepause muss ich bekennen: Ich war offline. Ja, das ist möglich. Mitten in Europa. Das liegt natürlich nicht am Ort; denn Internet gibt es überall. Es lag an mir. Ich wollte schreiben, ohne mich ablenken zu lassen. Das ist mir gelungen. An einem Ort ohne World Wide Web, dafür mit weitem Horizont. Das Foto zeigt ihn. Sobald ich meinen Blick vom Monitor hob, sah ich immer irgend ein Spektakel wie dieses, ein Kreuzfahrtschiff auf dem Weg von Genua nach Gibraltar. (Alle Fotos dieser Blickkontakt-Serie gibt es hier.)

Was den Horizont erweitert, ist nicht nur der Fernblick. Es ist das freie Fließen der Gedanken, das jetzt erst richtig geht. Und weil der Kopf rund ist, kann es die Richtung ändern. Das ist vorteilhaft. So es kam wie von selbst, dass
ich Guck-in-die-Luft auf einmal wusste, was zu schreiben ist. Ein Konvolut von über 70.000 Zeichen ist entstanden, das ich jetzt in eine veröffentlichungsfähige Form bringe. Es geht um das Erbe von Achtundsechzig, das sich zu meiner Überraschung die Linken in der SPD angeeignet haben. Gehört es dahin? Ich werde es Sie wissen lassen. Demnächst auf dieser Seite.

Mittwoch, 16. Juli 2008

Ecuador und der Besuch der alten Dame Sozialismus


Mein Eintrag Ecuador, mon amour vom 11. Juli hat Widerspruch gefunden. Nicht in Form von Kommentaren, aber doch in Form zweier Emails. „Meinst du nicht, dass der Aufruf in Deinen Blog ‚ganz leicht tendenziös’ ist?“ fragt eine mir sehr nahe stehende Stimme aus Berlin, und eine andere, von mir ebenfalls geschätzte aus dem fernen München spricht:
„Es beunruhigt mich lediglich ein kleines wenig, dass es dir offenbar am Herzen liegt, auch von diesem fernen, fremden Land den Bogen zu Altmeister Stalin zu spannen. Bitte nicht wunderlich werden, alter Freund! Wehret den Anfängen! Bitte nicht vom Gipfel der Allwissenheit die Lage in einer Weltgegend kommentieren, ohne vorher in die Niederungen der konkreten Gegebenheiten vor Ort (Lateinamerika) gestiegen zu sein und sich dort gründlich umgeschaut zu haben. Die haben dort womöglich ganz andere Menschenfressererfahrungen als die Russen und deine Anmerkungen, so richtig sie vielleicht sein mögen, werden in ihrer Bedeutung zu einer Randnotiz."
Mir fällt auf, dass ich gar keinen Bogen von diesem fernen, fremden Land Ecuador (Karte oben, von Wikipedia) zu Altmeister Stalin gespannt hatte. Ich hatte einen Bogen vom Sozialismus des 21. Jahrhunderts zum Sozialismus des 20. Jahrhunderts gespannt. Und ich hätte ihn überhaupt nicht gespannt, wären da nicht Kräfte in Südamerika und eben auch in Ecuador, die es laut heraustrompeten, nunmehr den Sozialismus des 21. Jahrhunderts in Lateinamerika verwirklichen wollen. Es ist Rafael Correa, der von Ecuador den Bogen zum Sozialismus spannt. Auf diese Idee wäre ich nie gekommen. Und ich halte es auch für keine gute Idee. Genau das begründe ich auch oder versuche es zumindest.

Ist das „tendenziös“? Der Versuch sicher nicht, vielleicht die Begründung. Welche Tendenz hat sie denn? Offensichtlich die, die Unmenschlichkeit des Sozialismus herauszustellen, wie wir Europäer sie in 20. Jahrhundert erlebt haben. Den Sozialismus mit menschlichem Gesicht, wie ihn zuletzt die Prager Reformkommunisten von 1968 erträumt hatten, hat es in der Alten Welt nie gegeben. Hier bei uns war Sozialismus immer nur ein Alptraum für die Betroffenen. Ich habe Zweifel, dass es in der Neuen Welt anders sein wird. Das ist tendenziös? Ich sage nur, Kuba.

In die „Niederungen der konkreten Gegebenheiten vor Ort“ wird nun Leonard einsteigen, und davon erwarte ich mir viel.
Das ist der Bogen, den ich in meinem Eintrag schlage. Leonard wird in ein Land kommen, dessen Präsident gerade dabei ist, den Sozialismus einzuführen – das ist das eine Ende des Bogens, sein ideologisches. Und es ist ein Land, für diese Erkenntnis muss ich keinen „Gipfel der Allwissenheit“ besteigen, das von Ungleichheit und Ungerechtigkeit nur so strotzt. Das hat Ursachen, die ich nenne – das ist das andere Ende des Bogens, sein materielles.

Woher erhält also der Bogen, wie ich ihn in meinem Eintrag spanne, seine Kraft? Aus dem Spannungsfeld einer
Ideologie des 19. Jahrhunderts, die im Europa des 20. Jahrhunderts eine mörderische Wirkung entfaltet hat und nun zum Sozialismus des 21. Jahrhunderts werden soll. Und einer ökonomischen, sozialen und politischen Realität in Ecuador, deren Ungleichheit und Ungerechtigkeit offensichtlich zum Himmel schreien. Ich bezweifle, dass diese Ideologie diese Realität zum Besseren verändert. Ja, das ist tendenziös. Es ist die Tendenz, den Sozialismus nicht für gut, sondern für schlecht zu halten.

Eine Tendenz, die ich mit jenen 16 Millionen Ostdeutschen teile, die, als es schließlich ging, nichts schneller loswerden wollten als ihren Sozialismus. Ja, wenn Sozialismuskritik 19 Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer nur noch die „Bedeutung einer Randnotiz“ hat, wie sieht dann die Hauptnotiz aus, lieber Münchner? Und noch einmal: Ich habe den Sozialismus für Ecuador nicht ins Spiel gebracht. Das war Correa, der sich auf Morales beruft, der sich auf Chavez beruft, der sich auf Castro beruft, der sich auf Marx, Engels und Lenin beruft. Ich war’s definitiv – nicht.

Das Foto oben zeigt eine Werbung für das Ja zur Verfassung. Hier gibt es eine kleine Bilderserie vom Wahltag am 28. September 2008, aufgenommen von Leonard in Ecuador.

Bitte nehmen Sie auch an meiner kleinen Umfrage teil (links in der Randspalte).

Samstag, 12. Juli 2008

Der Name des Terrors




Neulich hat mich eine gute Bekannte, selbst Journalistin, Autorin und Bloggerin, dafür gerügt, dass ich zu selten und zu wenig auf meinem Blog veröffentliche. Recht hat sie. Dabei verfüge ich über genug Stoff, eben nur nicht über genügend Zeit. Soeben stoße ich auf einen etwas älteren Beitrag, der aber nichts von seiner Aktualität verloren hat (das Foto ist jüngeren Datums, aber aus einem anderen Zusammenhang). Doch, urteilen Sie selbst:


Financial Times Deutschland
Druckfassung

Der Name des Terrors

Der amerikanische Präsident bezeichnet Attentäter im Namen Allahs jetzt als „islamistische Faschisten“. Das ist keine gute Idee | Von Rainer Bieling

Nach den vereitelten Anschlägen von London sprach George W. Bush davon, dass sich die USA mit „islamistischen Faschisten“ im Krieg befänden. Damit bringt er eine neue Nuance in den Begriffskampf um den „Krieg gegen den Terror“.

Tatsächlich stößt der bisherige Begriff wegen aller seiner drei Bestandteile auf Widerspruch: „Krieg“ enge die Auseinandersetzung auf die militärische Option ein; „gegen“ verharre im Negativen und mache nicht klar, für welche Werte gestritten wird; „Terror“ lasse den Gegner im Dunklen und vermenge „echten“ Terrorismus mit gewalttätigem Widerstand, der eigentlich Befreiungskampf sei.

Nun also der Begriff „islamistische Faschisten“. Die USA haben sich schon einmal im Krieg mit Faschisten befunden – einem Krieg, der ihnen aufgedrängt wurde, einem Krieg für die Freiheit. Es war der letzte ganz große Krieg, in dem sich die Welt hinter den USA und den Briten sammelte, um eine totalitäre Gefahr abzuwehren. Diese ging von deutschen Nationalsozialisten, italienischen Faschisten und japanischen Militaristen aus. In heutiger Sprache: der Achse des Bösen Berlin-Rom-Tokio.

Gut und Böse, Angreifer und Verteidiger, der Gegner benannt, seine Niederlage Geschichte. Aber die Sieger waren zwei Demokratien, die USA und Großbritannien, und – eine Diktatur, die Sowjetunion. Das ist die Kehrseite: Der Antifaschismus verband zwei Gesellschaftsentwürfe, die sich wechselseitig ausschlossen, Demokratie und Diktatur. Tatsächlich: Kaum war der Faschismus besiegt, begann der Kalte Krieg zwischen Kommunismus und freier Welt.

„Faschismus“ ist ein stalinistischer Kampfbegriff aus den 1930ern. Auf dem 7. Weltkongress der Kommunistischen Internationale, Komintern, prägte deren Vorsitzender Georgi Dimitroff die Formel: „Faschismus ist offen terroristische Diktatur der reaktionärsten (...) Elemente des Finanzkapitals.“

Diese Definition schert alle rechten autoritären Ideologien über einen Kamm. Sie verbirgt zugleich die Gemeinsamkeit zwischen den totalitären Ideologien Faschismus und Kommunismus.

Die Komintern hat hier eine beachtliche intellektuelle Leistung erbracht. Aus ihrer aggressiven bipolaren Strategie des Klassenkampfes wurde eine defensive bilaterale Taktik der Volksfront – als Bündnis von Arbeiterbewegung und fortschrittlichem Bürgertum gegen dessen undemokratischen, der Gewaltherrschaft geneigten Flügel. Ein Zweckbündnis, um nach Überwindung der faschistischen Gefahr das eigentliche Ziel weiterverfolgen zu können – die Herrschaft des Kommunismus über die ganze Welt.

Der Begriff Faschismus hat seine stalinistische Herkunft, Prägung und Praxis nie ablegen können. Im Kalten Krieg blieb er ein Kampfbegriff in oft bloß diffamierender Absicht bei gleichzeitiger Verschleierung der Ziele seiner Benutzer. George W. Bush sollte seinen Versuch einer Neupositionierung der USA als eines Landes, das sich mit „Faschisten“ im Krieg befinde, deshalb nicht weiterverfolgen. Der negative Beigeschmack überwiegt.

Nun ließe sich einwenden, es gehe ja um eine neue Art von Faschisten, nämlich islamistische. Nur: Wer oder was ist „islamistisch“? „Islamistisch“ stammt ebenfalls aus dem Arsenal des Kampfes um Deutungshoheit und soll sich von „islamisch“ abheben. Demzufolge wäre eine islamische Auffassung eine vom Islam geleitete Auffassung, eine rechtgeleitete also. Eine islamistische Auffassung dagegen irregeleitet. Es gäbe gute islamische und schlechte islamistische Auffassungen.

Im Glauben, es gebe eine redliche und eine bösartige Lesart des Koran, sind sich viele im Westen mit moderaten Muslimen einig. Extremisten und Terroristen würden den Islam instrumentalisieren; der echte Islam sei in Wahrheit friedlich und friedliebend, tolerant und spirituell. Ist es so?

Das wäre schön. Tatsächlich aber gewinnt seit Jahren die umgekehrte Haltung an Einfluss: Wer sich selbst als Märtyrer für die Herrschaft des Islam opfert und dabei möglichst viele Ungläubige als Menschenopfer darbringt, ist ein Vorbild. Wer einem zahnlosen Islam der Unterwerfung das Wort redet, ist ein Verräter an Gott und seinem Propheten. Es ist diese Lesart des Koran, die vor unseren Augen die Herzen und Hirne der Muslime in aller Welt erobert.

Es ist naiv, gegen diese Realität die Fiktion von Islamisten zu stellen, die sich am Koran versündigen. Dem Islam geht es seit der Entdeckung seiner Möglichkeiten um die Herrschaft des Islam. Dabei hat er es weit gebracht – bis vor die Tore Wiens.

George W. Bush versucht, dem Terror einen Namen zu geben. Das ist gut so. Aber es ist nicht der geeignete Name. Beide Teile der Formel „islamistische Faschisten“ sind bei genauerer Abwägung nicht belastbar. Besser wäre eine Bestimmung, die den Unterschied zwischen totalitären Muslimen und freiheitlich-laizistischen Muslimen herausarbeitet und ebenso den Unterschied zwischen islamischen Terroristen und islamischen Demokraten. Auch gilt es, zwischen Totalitarismus und Terrorismus zu unterscheiden:

Es sind islamische Terroristen, die exekutieren, totalitäre Muslime, die applaudieren. Letztere sind keine Randerscheinung, sondern ein Massenphänomen. Wenn auch noch nicht überall und vielerorts nicht in der Größenordnung wie unter den Palästinensern, die den Terror der Hisbollah mit überwältigender Mehrheit gutheißen.
Financial Times Deutschland vom 6. September 2006, Seite 34 | Der Name des Terrors | Gastbeitrag von Dr. Rainer Bieling

Freitag, 11. Juli 2008

Ecuador, mon amour







Das verspricht spannend zu werden.
Mein Sohn Leonard (Foto), er hat sein Abitur im Juni 2008 an der Internatsschule Schloss Hansenberg gemacht, geht Ende Juli 2008 für ein Jahr im Rahmen des Anderen Dienstes im Ausland, AdiA, nach Ecuador (Karte, von Wikipedia). Die kleine Andenrepublik am Pazifik hat seit Januar 2007 einen linken Präsidenten, Rafael Correa, der wie sein Vorbild Hugo Chávez, Präsident von Venezuela, in Lateinamerika den Sozialismus des 21. Jahrhunderts verwirklichen will.



Da blüht den Latinos was. Wir Europäer hatten bereits im 20. Jahrhundert das zweifelhafte Vergnügen, erst mit dem Sozialismus in einem Land, dann mit dem Nationalsozialismus und schließlich mit dem realen Sozialismus Bekanntschaft zu machen. Ein Kennenlernen, das allein im Vaterland der Werktätigen (Kosename für Russland im XXL-Format, die Sowjetunion) 20 Millionen Menschen nicht überlebt haben. Und Che Guevara, der den Sozialismus als Guerillero ins Nachbarland Bolivien tragen wollte, ist auch längst tot (seit 1967).



Nun also, 40 Jahre später, Rafael Correa und ausgerechnet Ecuador, mon amour. Zweitärmstes Land Südamerikas, 14 Millionen Einwohner, ein Staat im DDR-Format, nur deutlich bergiger mit einem richtigen Ozean vor der Haustür und einem echten Regenwald im Rücken. Dabei hätte es die Öl- und Bananenrepublik nötig, gründlich saniert und modernisiert zu werden.



84 Prozent der Menschen sind indigen-amerikanischer Herkunft, nur 10 Prozent haben einen europäisch-spanischen Migrationshintergrund. Das Wohlstandgefälle zwischen den wenigen Nachfahren der Eroberer und den vielen Nachfahren der Eroberten ist beträchtlich, weil die Besiegten sich vom Geraubten nie genug zurück geholt und die Sieger von ihrer Beute nie annähernd genug abgegeben haben. Ein südamerikanischer Klassiker. Das kann heiter werden.



So sieht das Szenario aus, und ich bin gespannt, mit welchen Erkenntnisfrüchten Leonard zurückkommen wird. Zuvor wird eine indigene Andengemeinde nördlich von Quito (der Pfeil in der Karte zeigt die Lage an) von seiner Anwesenheit und seinem Engagement profitieren; denn der AdiA ist als Hilfe zur Selbsthilfe angelegt – eine feine Idee für deutsches Eingreifen im Ausland.



Die jungen Männer, und nur um solche handelt es sich beim AdiA, der den Zivildienst im Inland ersetzt, sind die besten Botschafter Deutschlands, obwohl das Vaterland gar nichts für sie tut: Sie kriegen (anders als Zivildienstleistende) nicht nur kein Entgelt und keine Aufwandsentschädigung für ihr gemeinnütziges Tun, sie müssen die Kosten für ihre hoffentlich guten Taten auch aus eigenen Mitteln bestreiten – aber lesen Sie selbst:

http://docs.google.com/Doc?docid=dg2mw4pw_35fs8zg259&hl=de



Dienstag, 10. Juni 2008

Tibet? Schnauze!

Wir haben wirklich hellsichtige Politiker: Helmut Schmidt wusste – in einem soeben aufgefundenen Textbeitrag – schon 1980, warum der Westen einer imperialistischen Supermacht die Olympiade nicht vermiesen soll. 28 Jahre später brauchte er den Text nur geringfügig zu aktualisieren (Tibet statt DDR, China statt Russland), und siehe da: Seine Apologie totalitärer Anmaßung hat nichts von ihrer demagogischen Frische verloren. Lesen Sie selbst – links die DDR-Version von 1980, rechts Tibet-Version von 2008. Eine der beiden Versionen, die echte, ist aus „Die Zeit“. Nun raten Sie bitte, welche. Bitte nutzen Sie dazu die Synopse (vergleichende Gegenüberstellung beider Versionen), die ich auf Google Docs freigeschaltet habe:

http://docs.google.com/Presentation?id=dg2mw4pw_32dbgxkn6s

Und, haben Sie es herausgefunden? Ja, genau, beide Texte könnten echt sein. Tatsächlich ist der Tibet-Text von 2008 das Schmidt-„Schnauze“-Original (Die Zeit, Nr. 21, 15. Mai 2008, S. 1) und der DDR-Text von 1980 das Remake, für das ich den „Zeit“-Beitrag nur ein wenig frisieren (retro-aktualisieren) musste.

Es zeigt sich einmal mehr, dass auch der demokratische Sozialismus eben nur ein Sozialismus ist, ein Salon-Sozialismus, der selbst keine Verbrechen gegen die Menschlichkeit begeht. Der sich aber mit den Tätern im Namen des Fortschritts arrangiert und deren Opfer ignoriert oder, wie Helmut Schmidt, denunziert.

 

Samstag, 3. Mai 2008

Wochenend und Sonnenschein: Bilder vom Waldlauf

Bild 1 zeigt den Weg von Groß Glienicke durch den Königswald nach Krampnitz nahe Potsdam.

Er führt in 50 Minuten Waldlauf von der Stadtgrenze bei Berlin-Kladow ans Havelufer gegenüber von Potsdam.

Hier beginnt der Waldlauf. Er macht den Kopf frei und lässt die Gedanken fließen.




Bild 2
zeigt den Endpunkt dieser Route, das Havelufer bei Krampnitz.



Noch mehr Bilder vom Waldlauf gibt es hier.

Und das Schönste ist: Sie lassen sich dort auf der Karte anzeigen und sogar mit Google Earth lokalisieren.




Bild 3:
Königswall am Havelufer: Das ist eine 3000 Jahre alte Burganlage, deren Außenring, von dem hier der Blick hinab geht, vollkommen erhalten ist.

Die Ausgrabungen haben mehrere Besiedlungshorizonte ermittelt: einen frühen protogermanischen aus der Bronzezeit, einen späten slawischen bis ins Jahr 700.


Bild 4: Blick auf das gegenüberliegende
Potsdamer Havelufer. Das wars vom Mars; denn die Kamera ist nun hin (sorry, Susi).

Donnerstag, 1. Mai 2008

Berliner Luftbrücke 1948, Berliner Freiheiten 2008



Die beiden Einträge vom 30. und 28. April gehören inhaltlich zusammen und sind keine Weblog-Veröffentlichung im engeren Sinne. Ich habe sie dennoch an dieser Stelle eingefügt, weil ich hier einen Gedanken erörtern möchte, der sich inhaltlich auf die dort vorgetragenen Überlegungen zur Luftbrücke bezieht.
Berliner Freiheiten als Name meines Blogs sind ein vielleicht überraschender Plural. Er erklärt sich aus der Redewendung, sich Freiheiten zu erlauben, die also Freiheiten in die Nähe von Frechheiten rückt. Die zwei Begriffe liegen hier in Sichtweite beianander, das ist mir willkommen. Berliner Freiheiten erlauben sich Freiheiten, die außerhalb des Mediums Blog unangebracht wären oder sich von selbst verbieten.
Was nun die Berliner Luftbrücke von 1948 und die Berliner Freiheiten von 2008 betrifft, so ist sicher unstreitig, dass dieses Blog die Luftbrücke zur Voraussetzung hat. Hätten Amerikaner und Briten West-Berlin seinerzeit und in den Folgejahren nicht gehalten, wären die Russen wieder gekommen (sie waren ja 1945 schon da gewesen, von April bis Juni) und sie wären wohlmöglich immer noch hier. Davon, welche Jahrhundertbedeutung die Luftbrücke für ganz Europa hatte, handelt der Eintrag vom 28. April.
Die Berliner Luftbrück hatte aber auch eine wichtige Binnenwirkung. Davon handelt der Eintrag vom 30. April. Er zeigt auf, in welch hohem Maß sie die deutsche Sozialdemokratie mobilisiert und modernisiert hat. Das ist heute nicht nur durch den Lauf der Zeit in Vergessenheit geraten, nein, die Berliner SPD sorgt auch dafür, das sich bloß keiner mehr daran erinnert. Warum?
Weil die Berliner SPD aus freien Stücken (und nicht, weil es nicht anders ging) eine Koalition mit der Partei Die Linke eingegangen ist, die zuvor unter den Namen KPD, SED, später PDS 44 Jahre lang alles in ihrer Macht stehende unternommen hat, um das freie Berlin zu strangulieren und, als das nicht mehr ging, zu schikanieren, wo immer es möglich war.
Wie wird die Berliner Regierungskoalition die Luftbrücke von 1948 feiern, die am 26. Juni 2008 ihr 60. Jubiläum hat? Mit einem Regierungspartner, der 1948 zu den Totschlägern der Berliner Freiheiten gehörte. Und einem Regierungspartner, der 1948 ein Lebensretter
eben dieser Freiheiten war. Da bin ich mal gespannt.
Nachsatz: Den Flughafen Tempelhof, der einst die Verbindung zu Amerikanern und Briten in den Westzonen ermöglichte, den hat die Berliner Koalitionsregierung bereits einvernehmlich abgewickelt. In wenigen Jahren wird Gras darüber gewachsen sein, dass hier einst Rosinenbomber landeten und den Berlinern Freiheiten bescherten.


Und hier der Link zum abgebildeten Airlift Special: http://www.atlantic-times.com/airlift-special/

Mittwoch, 30. April 2008

Feed a City, Change a Country



English version: http://docs.google.com/Doc?id=dg2mw4pw_275hz8f3cf

PDF in English (page 5) http://www.atlantic-times.com/airlift-special/Airlift_Special_A4.pdf



Unter dieser Überschrift veröffentlicht The Atlantic Times Nr. 5-2008 meinen Beitrag (Nummer 1) zur 60. Wiederkehr der Berliner Luftbrücke 1948-2008. Hier ist die deutsche Fassung:



Versorge eine Stadt, verändere ein Land



Die Erinnerung an die Luftbrücke ist in Berlin noch lebendig, doch die Zahl der Zeitzeugen nimmt ab. Das Jubiläum ist ein guter Anlass zur Auffrischung; denn es geht um mehr als Nostalgie



[Vorspann]

Auf alliierter Seite ein angloamerikanischer Doppelsieg, war die Luftbrücke auf Berliner Seite eine sozialdemokratische Bestleistung. Sie hat die Geschichte Deutschlands nachhaltig beeinflusst.





[Text]

Wer sich heute noch aus eigenem Erleben an die Luftbrücke erinnern kann, muss 1948 mindestens schon Schulkind gewesen sein und wird mittlerweile das Rentenalter erreicht haben. Kein Wunder, dass die Erinnerung an die Luftbrücke in der Berliner Bevölkerung allmählich verblasst. Hinzu kommt, dass in den fast zwanzig Jahren seit dem Fall der Mauer 1,6 Millionen Menschen neu in die Stadt gekommen sind, während ebenso viele wegzogen. Die direkten Zeitzeugen sind heutzutage eine kleine Minderheit.



So bleibt als Erinnerung an die Luftbrücke bei den vielen, die nicht dabei waren, die überragende Leistung der alliierten Flieger. Aber es gibt eine vergleichbar wichtige Leistung auf Berliner Seite. In den drei Jahren seit Kriegsende, 1945, hatte es unter den Vier Mächten zahlreiche Auseinandersetzungen um Berlin gegeben. Aber es ist die Währungsreform vom Juni 1948, die Stalin zum Anlass für die Blockade nimmt, um die Westmächte aus der Stadt zu vertreiben. Warum? Weil klar war, dass mit der Währungsreform die Marktwirtschaft kommen würde.



Das hatte Stalin schon zwei Jahre zuvor versucht, von innen heraus zu verhindern. Damals, 1946, hat er die Kommunistische Partei in der Sowjetischen Zone dazu gebracht, sich die viel ältere und viel größere Mutterpartei, die Sozialdemokratische Partei (SPD), einzuverleiben und auf die "Überwindung" der Marktwirtschaft zu trimmen. Die SPD in den Westsektoren Berlins hat sich der Zwangsvereinigung zu einer antikapitalistischen Partei der "Sozialistischen Einheit" (SED) widersetzt.



Unter ihren legendären Bürgermeistern Ernst Reuter und später Willy Brandt bleibt die SPD in Berlin eine eigenständige Partei, lehnt die Planwirtschaft ab. 1948 unterstützt sie die Einführung der D-Mark. Als Stalin daraufhin die Blockade der Landwege verfügt, macht sie das Gelingen der Versorgung aus der Luft am Boden möglich. Mit ihrer Zustimmung zur D-Mark sorgt die SPD dafür, dass die Berliner Arbeiterschaft am deutschen Wirtschaftswunder teilhat. 1959 hält die SPD ihren Beitrag zum epochalen Wohlstandszuwachs durch die soziale Marktwirtschaft im Godesberger Programm fest.



Es waren Sozialdemokraten, die wie keine andere politische Kraft der Stadt die Luftbrücke auf Berliner Seite organisierten; sie wussten, was ihnen blühen würde, wenn die Sowjets auch die Westsektoren übernehmen würden. Das Nein zu Zwangsvereinigung und Blockade, das Ja zu D-Mark und Luftbrücke – sie stehen im Zusammenhang und sind die prägenden Erfahrungen, aus denen die Sozialdemokratie der Nachkriegszeit als entschiedene Verfechterin der offenen Gesellschaft, des Pluralismus in Politik und Wirtschaft, hervorgegangen ist.



So war die Berliner Luftbrücke nicht nur eine logistische Meisterleistung. Deutschland ist auch deshalb das blühende Land von heute geworden, weil vor 60 Jahren seine älteste politische Partei (seit 1890 heißt sie Sozialdemokratische Partei Deutschlands, ihre Wurzeln reichen ins Jahr 1863, in Amerika die Zeit des Civil War, zurück) sich mit Amerikanern und Briten verbündet hat, um soziale Marktwirtschaft und parlamentarische Demokratie gedanklich und im wirklichen Leben zu einer Einheit zu verschmelzen, wie es zuvor nie zuvor einer sozialistischen Partei gelungen ist. So ist die Würdigung der Luftbrücke untrennbar mit der Erinnerung an eine Zeit verbunden, in der die SDP die Grundlagen für ihre größten politischen Erfolge legte und Deutschland den Grundriss seiner lebendigen Stabilität erhielt.



Montag, 28. April 2008

How the Airlift Changed the World





English version: http://docs.google.com/Doc?id=dg2mw4pw_26gdr42mg3

PDF in English (page 10) http://www.atlantic-times.com/airlift-special/Airlift_Special_A4.pdf



Unter dieser Überschrift veröffentlicht The Atlantic Times Nr. 5-2008 meinen Beitrag (Nummer 2) zur 60. Wiederkehr der Berliner Luftbrücke 1948-2008. Hier ist die deutsche Fassung:



Wie die Luftbrücke die Welt verändert hat



Die Meisterleitung von US- und Royal Air Force und die Entschlossenheit der Berliner Bevölkerung genießen weltweit Respekt. Aber die Luftbrücke war viel mehr als die Versorgung von Hungerleidern | Von Rainer Bieling



[Vorspann]

Wenn wir uns Zeitpunkt und Umfeld dieses Glanzstücks angloamerikanischer Nachkriegspolitik in Deutschland näher anschauen, erkennen wir eine epochale Wendemarke für Europa im 20. Jahrhundert.



[Text]

Blicken wir, aus der Sicht von 1948, gut 30 Jahre zurück. Februar 1917: Mit einer großen Volksrevolution bringen die Russen das Zarenreich zu Fall und errichten mitten im Krieg eine demokratische Republik. Oktober 1917: Ein kommunistischer Staatsstreich unter der Führung von Lenin und Trotzki beseitigt nur neun Monate später die Demokratie in Russland und führt zur Errichtung der "Diktatur des Proletariats". Überall in der Welt gründen sich jetzt kommunistische Parteien, bilden eine revolutionäre Internationale (Komintern) und versuchen in ihren Ländern, "Kapitalismus" (Marktwirtschaft) und "bürgerliche" Demokratie zu beseitigen.

In Europa führt das zu einer Polarisierung von totalitären Kräften auf der Linken und der Rechten, zwischen denen die demokratischen Parteien des Bürgertums und der Arbeiterschaft zerrieben werden. Bald ist fast der gesamte Kontinent in der Hand von Rechtsradikalen, die ihrerseits die Demokratie beseitigen und Alleinherrschaften errichten. Am aggressivsten sind italienische Faschisten und deutsche Nationalsozialisten, die bald eine Achse mit Japan bilden und die Welt in ihren zerstörerischsten Krieg ziehen, den Zweiten Weltkrieg.

Die (neben den neutralen Ländern Schweiz und Schweden) einzige übrig gebliebene Demokratie in Europa, Großbritannien, wehrt sich verbissen und kann sich im Bündnis mit den Vereinigten Staaten behaupten. Gemeinsam mit der inzwischen ebenfalls vom Dritten Reich angegriffenen Sowjetunion unterwerfen die Alliierten am Ende Deutschland, wenig später Japan. Doch es kehrt kein Frieden ein.

Überall in Mitteleuropa, wo die Rote Armee die deutsche Wehrmacht als Besatzungsmacht ablöst, errichten die Komintern-Parteien Diktaturen nach russischem Vorbild. 1946 beschreibt Winston Churchill in einer berühmt gewordenen Rede die Lage so:

„Es scheint, dass von Stettin an der Ostsee bis Triest am Mittelmeer ein eiserner Vorhang herunter über den Kontinent kam. Hinter dieser Linie liegen alle Hauptstädte der alten Staaten von Zentral- und Osteuropa. Warschau, Berlin, Prag, Wien, Budapest, Belgrad, Bukarest und Sofia: Alle diese berühmten Städte, und auch die Bevölkerung in diesen Städten liegen in einer Sphäre, die ich Sowjetische Sphäre nennen muss.“

Aber der Eiserne Vorhang hat ein Loch: die Westsektoren von Berlin. Die Sowjetunion will dieses Loch mit aller Macht stopfen. Der Kalte Krieg, der nun folgt, ist der Kalte Krieg um West-Berlin. Im Juni 1948 droht er heiß zu werden.

Um auch in den Westsektoren der Stadt die Marktwirtschaft wieder herzustellen, kommt es zur gleichzeitigen Einführung der D-Mark in allen Besatzungsgebieten der Westalliierten – Fundament des späteren "Wirtschaftwunders". Stalin weiß sofort: eine demokratische und marktwirtschaftliche Oase mitten in seiner diktatorischen und planwirtschaftlichen Wüste wäre wie ein schwarzes Loch, das den Kommunismus verschluckt und nie wieder hergibt (genau so wird es später kommen). Deshalb befiehlt er die Blockade der Landwege nach West-Berlin. Aber der Luftweg ist offen. Ihn nutzen die USA und Großbritannien. Sie versorgen die Stadt fast ein Jahr lang ausschließlich aus der Luft. Die Sowjetunion gibt auf. Sie wird West-Berlin niemals kriegen. Am 9. November 1989 fällt hier die Mauer. Der Eiserne Vorhang hebt sich, und siehe da: Diktatur und Planwirtschaft verschwinden, Europa wird wieder eins, und fast überall entscheiden sich die Menschen für Demokratie und Marktwirtschaft, in Freiheit und Frieden.



Samstag, 12. April 2008

"68" macht nach 40 Jahren hypernervös




Das hat mich überrascht: "68" ist kein toter Hund mehr, sondern ein totaler Aufreger und macht Leute hypernervös, sobald sie darüber reden, was das eigentlich war. So geschehen am 10. April 2008 bei einer Buchvorstellung im Berliner Amerikahaus, das jetzt am Motel One klebt wie dessen geschrumpfte Großmutter, von Alleinstellung keine Rede mehr. Das Buch heißt "Berlin 1968. Die andere Perspektive" von Michael Müller, kurz MM.
Anwesend MM, Morgenpost-Redakteur in den Jahren 1967 und 1968 und immer am Ball bei jedem Krawall, Klaus Schütz, Regierender Bürgermeister während der Osterunruhen 1968 nach dem Attentat auf Rudi Dutschke, und etliche Damen und Herren Mitte 50 bis Ende 60. Kaum war die Diskussion eröffnet, wogten Widerworte zwischen Springer-Mann und Publikum hin und her, als sei das letzte Gefecht nicht 40 Jahre her sondern bloß 4 Stunden. Agressiv im Ton und inhaltlich voller Beschuldigungen, Unterstellungen, Verleumdungen; sie gifteten sich an wie einst im Mai.
Das finde ich verblüffend. Vor 20 Jahren,
1988, war "68" ein toter Hund. Ich muss es wissen; denn in dem Jahr erschien mein Buch "Die Tränen der Revolution. Die 68er zwanzig Jahre danach" bei Wolf Jobst Siedler (Abbildung), und kein Hahn hat danach gekräht. Die Mitbewerber am Buchmarkt konnte ich mit fünf Fingern zählen, der kleine Enzensberger hat sie alle in einer Sammelbesprechung untergekriegt, zwei, drei Interviews für Rundfunk und Fernsehen, ein Gespräch in meiner alten Zitty (danke Erika), und das wars dann schon.
Und heute? Riesenerregung, Gefühlsaufwallung. Bücher ohne Ende, Rezensionen und Blogs voller Gemeinheiten, Schadenfreude, Sticheleien, Anklagen und gaaanz viel Blödsinn. Woher das kommt? Darüber muss ich nachdenken. Eigentlich glaubte ich, vor 20 Jahren alles Nötige zu "68" gesagt zu haben. Oder doch nicht? Wer will, mag nachschauen: gut 1 % der Auflage (31 Exemplare) ist via Amazon (13 Exemplare), ZVAB (5 Exemplare) usw. nach wie vor im Handel, antiquarisch.
Ein Leser (danke Pit) macht darauf aufmerksam, dass er es in der AGB (Amerika-Gedenkbibliothek) zur Ausleihe fand. Tatsächlich ist es auch in Spandau (Hauptbibliothek) und Charlottenburg (Bezirkszentralbibliothek) sowie online im VÖBB (Verbund Öffentlicher Bibliotheken Berlins) ausleihbar.