Freitag, 19. März 2021

Zweite Wiedereröffnung der “Topographie des Terrors” am 18. März 2021

Nach 19-einhalb Wochen der erneuten Schließung sind Gelände und Gebäude wieder zugänglich. Beobachtungen vom 18. März 2021 mit einigen Nachsätzen zum Corona-Jo-Jo bis 4. Juni 2021.

Kurz vor 10 Uhr öffnet sich die Eingangstür an der Wilhelmstraße zum ersten Mal nach 19-einhalb Wochen.      
Punkt 10 Uhr begrüßt Mitarbeiter Peter Eckel den ersten Besucher vor dem Eingang zum Gebäude der Topographie.

Die Topographie des Terrors hat am gestrigen Donnerstag, dem 18. März 2021, nach mehr als viereinhalb Monaten der coronapolitisch erzwungenen Schließung wieder geöffnet. Punkt 10 Uhr war ich der erste Besucher, nachdem ich am Vortag ein Zeitfenster gebucht hatte. Ja, das ist jetzt coronapolitisch so verordnet und natürlich ein weiteres Hemmnis für Besuche. Wo sich sonst (im Jahresdurchschnitt) täglich bis 4000 Besucher tummeln, waren es deren gestern 4, denen ich in den 90 Minuten meines Zeitfensters begegnete. Den 5. zähle ich nicht mit, es war Peter Eckel, der Verantwortliche der Topographie für Veranstaltungen und Marketing, der mich um 10 Uhr vor dem Gebäude des Dokumentationszentrums begrüßte. (Die Fotos lassen sich durch Anklicken vergrößern.)

Nach dem Betreten des Gebäudes stehen zwei Tische zum Ausfüllen der Anwesenheitsdokumentation bereit.

Hygieneregeln à la Topo: vorn die unbenutzten Stifte, hinten die Ablage für benutzte, sicherheitshalber.
Der Vorteil der Leere für Berliner liegt auf der Hand: Sie haben jetzt die Topo, so der Kosename bei ihren regelmäßigen Gästen, für sich allein – sofern sie sich nicht scheuen, ihre persönlichen Daten zu hinterlassen. Das ist beim Betreten des Gebäudes verpflichtend, ebenso das Tragen einer medizinischen Gesichtsmaske; das Gelände selbst ist zwar auch nur nach vorheriger Buchung eines Zeitfensters zugänglich, aber ohne „Anwesenheitsdokumentation gemäß § 5 Absatz 2 der Zweiten SARS-CoV-2-Infektionsschutzmaßnahmenverordnung“. 
 
Das ist die „Anwesenheitsdokumentation gemäß § 5 Absatz 2 der Zweiten SARS-CoV-2-Infektionsschutzmaßnahmenverordnung“.

Im Außenbereich
reicht eine Mund-Nasen-Bedeckung; für einen gegebenenfalls nötigen Klobesuch reicht das nicht – die Toiletten sind innen im Gebäude. Fürs Pinkeln greift § 5 Absatz 2 der Zweiten SARS-CoV-2-Infektionsschutzmaßnahmenverordnung, siehe oben.

Hier beginnt der Geländerundgang. Eine Informationstafel beschreibt den Weg.

Dabei ist allein der Außenbereich mit einem Zeitfenster nicht zu schaffen; ich habe es gestern bei herrlichem Sonnenschein ausprobiert und nach bald 11 Jahren wieder einmal den vollständigen Geländerundgang absolviert, eine Stunde lang. Das erste Mal tat ich das bei der Eröffnung der Topographie am 6. Mai 2010, begleitet von der Kuratorin der zahlreichen Informationstafeln, Erika Bucholtz, die heute das Veranstaltungsprogramm kuratiert. Der Rundgang erst erschließt einem die einstige Topographie des Geländes, als es das Reichssicherheitshauptamt und Heinrich Himmler hier Dienstherr war. Der wäre entzückt, dass sein Generalplan Ost in Miniatur und ganz friedlich mitten im Stadtzentrum Wirklichkeit wurde: Im verwilderten Robinienwäldchen, das einmal der Park des Prinz-Albrecht-Palais’ war und später ein Autodrom, lebt nun in zahlreichen Bienenstöcken naturgerecht ein Bienenvolk. Statt der Ruralisierung der eben erst elektrifizierten Sowjetunion, die der Generalplan von 1942 vorsah, wird nun 2021 die urbane Mitte Berlins landwirtschaftlicher Nutzungsraum, ohne dass dabei jemand zu Schaden käme.

Mitten im Zentrum der Stadt ein kleiner naturbelassener Robinienwald. Hier lebt jetzt ein Bienenvolk.

Gegenüber vom Bienenvolk geradezu das Deutschlandhaus, in dem noch im Juni 2021 die Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung ihre Tätigkeit aufnehmen wird. Rechts daneben das Europahaus, in dem das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung seinen Sitz hat.

Nach dem verwilderten Robinienwäldchen öffnet sich der Blick wieder auf Stadtlandschaft und Welt-Ballon.

Welchen Schaden hingegen Berufspolitiker anzurichten imstande sind, wenn keine Demokratie sie zügelt, ist im Ausstellungsgraben zu besichtigen, der zweiten Attraktion im Außenbereich des Geländes. Hier dokumentiert die Topographie unter einem Glasdach, das gegebenenfalls vor Regen schützt, ihre Dauerausstellung „Berlin 1933–1945. Zwischen Propaganda und Terror“. Entlang der freigelegten Kellermauerreste der einstigen Gebäude entlang der Prinz-Albrecht-Straße lässt sich gut verfolgen, wie es seinerzeit Politikern gelang, sich der Zügel zu entledigen und sie ihrerseits den Bürgern anzulegen – denen, die das Glück hatten, als Teil der Volksgemeinschaft vor den Karren gespannt zu werden. Die anderen, die Ausgeschlossenen, ließen die Regierenden gleich oder später umbringen – ausmerzen, wie es in der Amtssprache des Dritten Reichs hieß, in der als Staatsziel der gesunde Volkskörper ganz oben stand. Allein für diese Open-Air-Ausstellung lässt sich ein Zeitfenster verbrauchen.

Beim Hinausgehen sehe ich noch die Direktorin der Topographie, Andrea Riedle, im Ausstellungsgraben (im Bildmittelpunkt) mit vier Gästen und einer Kollegin.
 
Wer sich den oben genannten coronapolitisch verfügten Hygieneregeln unterwerfen will, dem steht alternativ oder im Zeitraffer komplementär für 90 Minuten das Gebäude offen. Hier haben die Dauerausstellung und aktuell gleich zwei Sonderausstellungen ihren Ort, eine von ihnen am 20. Oktober 2020 zum Ende der kurzen Warmzeit zwischen den beiden Corona-Eiszeiten eröffnet und am 2. November 2020 gleich wieder geschlossen – für die folgenden 19-einhalb Wochen bis 17. März 2021.
 
Das Foyer der Topographie mit der kleinen Sonderausstellung “1940–1945. Krieg und deutsche Besatzung im Norden und im Westen”.
 
Nach der Eröffnung im Oktober 2020 also nur 12 Tage für das Publikum zugänglich, ist die Ausstellung „Der kalte Blick. Letzte Bilder jüdischer Familien aus dem Ghetto von Tarnów“ nun im März 2021 allein deshalb einen näheren Blick wert, weil sich hier viel über Wissenschaftsgläubigkeit lernen lasst: Follow the Science war schon einmal der letzte Schrei – und das ist wörtlich zu nehmen: Der Forschungsgegenstand, jüdische Bürger Polens, war nach der Begegnung mit der damaligen Modewissenschaft Rassenkunde tot. Allerdings nicht umgebracht von den beiden promovierten Anthropologinnen, die 1942 jüdische Familien im Ghetto von Tarnów für ein akademisches Forschungsprojekt rassekundlich untersuchten, fotografierten und vermaßen, sondern anschließend von den dafür zuständigen Mitarbeitern des öffentlichen Dienstes, der 1939 vom Deutschen Reich auf das Gebiet des besetzten Polens bis nach Tarnów expandiert war und dort die rassehygienischen Verordnungen exekutierte, die im Berliner Reichssicherheitshauptamt von den dafür zuständigen Beamten erlassen worden waren.
 
Hinweisschild auf die große Sonderausstellung „Der kalte Blick. Letzte Bilder jüdischer Familien aus dem Ghetto von Tarnów“.

Die Beamten wiederum handelten auf Weisung derjenigen Berufspolitiker, die in der Regierungsverantwortung standen – und deren Denken und Handeln schließlich ist die Dauerausstellung gewidmet. Sie führt das Wirken von „Gestapo, SS und Reichssicherheitshauptamt in der Wilhelm- und Prinz-Albrecht-Straße“ vor Augen, aber für einen Besuch wäre ein eigenes Zeitfenster nötig, wenn eines überhaupt reicht. Denn es gilt nicht nur, Heinrich Himmler kennenzulernen, den früheren Hausherren an diesem Ort, sondern auch die zahlreichen Staatsverbrechen, die auf seine Weisung Millionen Bürger das Leben kosteten. Dass er zu dem Quartett der vier wichtigsten Berufspolitiker gehörte, die das Deutsche Reich seinerzeit regierten, ist vielen heute nicht mehr bewusst. HHGG – das waren Hitler und Himmler, Göring und Goebbels. Und hinter ihnen stand die Heerschar der 4 B – Berufspolitiker, Berufsbeamte, Berufssoldaten, Berufsrichter, kurz: der Staat. Von ihm geht alle Gefahr aus, das lässt sich in der Topographie des Terrors lernen. Und jetzt, wo sie so schön leer ist, besser als je zuvor.

Das Auditorium der Topographie, in dem kein Publikum mehr Platz nimmt. Hier werden jetzt Livestreams aufgezeichnet.

Aber Obacht, nur noch eine Woche lang bis 30. März 2021 gibt es Zeitfenster, hier und kostenlos: Museumsdienst Berlin – shop.museumsdienst.berlin

Die Bibliothek der Topographie, in der niemand mehr Bücher lesen darf.
 
Nachbemerkung:
Der obige Text samt der Aufnahmen vom 18. März 2021 stand zuerst nur auf Facebook und war und ist dort nur für Facebook-Freunde zu sehen – der großen Nachfrage wegen erscheint er nun auch hier für jedermann und weltweit zugänglich.

Nachsatz vom 31. März 2021: Das kurze Glück der Leere ist seit heute jäh zu Ende – zusätzlich zur Zeitfenster-Buchung ist selbst das Außengelände der Topographie nur noch nach Vorlage eines amtlichen Schnelltests und mit dem Tragen einer FFP2-Maske betretbar. Der erwartbare Effekt: Die Coronawächter an den beiden Eingangstoren verwehren 90 Prozent der Geschichtsinteressierten den Einlass.

Nachsatz vom 24. April 2021: Die Tragödie der gähnenden Leere hat seit heute ein Ende. Es ist der Tag des Inkrafttretens des Bevölkerungsschutzgesetzes. Diese sogenannte bundesweite Notbremse gilt auch im Land Berlin, die Topographie des Terrors schließt vollständig. Nach nur zweitägiger Beratung hat der Bundestag am Mittwoch, dem 21. April 2021, das mittlerweile vierte Bevölkerungsschutzgesetz beschlossen. Der Deutsche Bundestag lässt wissen: Mit dem „Vierten Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ werden das Infektionsschutzgesetz sowie das Dritte und das Fünfte Buch Sozialgesetzbuch (SGB III und SGB V) geändert.

Nachsatz vom 22. Mai 2021: Seit heute gilt der Status quo ante – wie schon in der Zeit vom 31. März bis 23. April 2021 ist das Betreten der Topographie zwar wieder mit Zeitfenster-Buchung erlaubt, aber weiterhin ist selbst das Außengelände der Topographie nur nach Vorlage eines amtlichen Schnelltests und mit dem Tragen einer FFP2-Maske begehbar.
Und die Bibliothek bleibt aufgrund von Präventionsmaßnahmen zu COVID-19 (Coronavirus) bis auf Weiteres geschlossen. Geschlossen ist sie seit nunmehr 14 Monaten, genau seit Freitag, dem 13. März 2020.

Nachsatz vom 4. Juni 2021: Noch ist nicht alles gut, aber vieles besser. Seit heute gilt ein neues Corona-Reglement. Das schon am 27. Mai 2021 abgeschaffte Zeitfenster bleibt passé, aber viel wichtiger: Es besteht keine Testpflicht mehr! Nur noch das Tragen einer medizinischen Maske auf dem Gelände und einer FFP2-Maske im Gebäude ist verpflichtend. Beim Betreten des Gebäudes (und nur dann) ist weiterhin das Ausfüllen der „Anwesenheitsdokumentation gemäß § 5 Absatz 2 der Zweiten SARS-CoV-2-Infektionsschutzmaßnahmenverordnung“ nötig. Allerdings liegen heute noch die veralteten grünen Zettel von gestern aus (Belegfoto unten). 
Und noch ein kleines Wunder: Die Bibliothek ist seit dem heutigen 4. Juni 2021 montags bis freitags nach Voranmeldung wieder von 10 bis 17 Uhr geöffnet. Na hurra – dem Erhalt und der Vermehrung von Wissen steht keine coronapolitisch gesetzte Barriere mehr im Wege!

Am 4. Juni 2021 ist die „Anwesenheitsdokumentation gemäß § 5 Absatz 2 der Zweiten SARS-CoV-2-Infektionsschutzmaßnahmenverordnung“ noch auf dem Stand des Vortags: „Der Zutritt zum Gebäude ist [...] nur bei Vorliegen eines tagesaktuellen negativen Corona-Schnelltests möglich.“ Die Wächter am Empfang erklären dem zweiten und dritten Besucher des heutigen Tages, einem englischsprachigem Pärchen, dass kein Schnelltest mehr nötig sei. Auf Englisch. Noch ist nicht alles gut, aber vieles besser.

Zur Erinnerung: Wer das Corona-Jo-Jo von Schließung und Öffnung und Wiederschließung und Wiederöffnung am Beispiel der Topographie des Terrors nachverfolgen möchte, dem seien meine drei vorhergehenden Berichte empfohlen:
1.
Wiedereröffnung des Geländes “Topographie des Terrors” am 11. Mai 2020
2.
Wiedereröffnung des Dokumentationszentrums “Topographie des Terrors” am 19. Mai 202
3. Die erste Ausstellungseröffnung am 14. Juli 2020:
Späte Erinnerung an die Verfolgung und Ermordung jüdischer Bürger in Luxemburg 1940 bis 1945