Sonntag, 17. Juli 2011

Alte Nationalgalerie oder Loblied auf einen preußischen Bankier




Imagination der islamischen Welt,
von keinerlei Realitätskenntnis getrübt:
So stellte sich Horace Vernet
den Orient vor (Sklavenmarkt, 1836).
Bild © Staatliche Museen zu Berlin,
Nationalgalerie, Foto: Andres Kilger
Vor 150 Jahren machte in Berlin der Herr des Geldes seinem König ein Geschenk, damit der es unter sein Volk bringe: 262 Gemälde, den Grundstock der Nationalgalerie. Eine Betrachtung über den Zusammenhang von Marktwirtschaft und Malerei.

Die Marktwirtschaft hatte es von jeher schwer in Deutschland. Als Heiliges Reich unter dem Diktat des christlichen Zinsverbots, behinderten die selbsternannten Römer deutscher Nation jedwede Innovation durch Investition so lange es ging. Nach dem Ende ihres Tausendjährigen Reiches erblühten mit dem Freiheitswind der Amerikanischen Unabhängigkeitsbewegung auch in der Alten Welt Handel und Wandel. Im Jahr 1775 gaben Otto Heinrich Anhalt und sein Schwager Heinrich Wilhelm Wagener die Gründung ihres Speditions- und Kommissionsgeschäfts Anhalt & Wagener in der Brüderstraße 5 bekannt, die damals direkt zum Königlichen Schlossplatz führte. Seit 1962 versperrt das DDR-Staatsratsgebäude den Weg dorthin, aber das Berliner Stadtschloss war 1950 ohnehin schon auf Anweisung der SED zerstört.

Heinrich Wilhelm Wagener machte seinen Sohn Joachim Heinrich Wilhelm 1814 zum Teilhaber, und nach dem Tod der beiden Gründer übernahm der junge Kaufmann, Jahrgang 1782, als Alleininhaber das Handelshaus beim Preußenschloss. Joachim Heinrich Wilhelm, kurz JHW Wagener weitete die Bankgeschäfte in jenen von den Stein-Hardenbergschen Reformen getriebenen Frühlingsjahren der Marktwirtschaft nach Kräften aus. Als Bankier und Bürger engagierte er sich nicht nur in der Berliner Kaufmannschaft, deren Mitbegründer er war, sondern JHW Wagener hatte auch ein Gespür für guten Geschmack und zeitgenössische Kunst. Davon profitierte 1815 als erster der ein Jahr ältere Maler, Architekt und Stadtplaner Karl Friedrich Schinkel. Dessen Gemälde Gotische Kirche auf einem Felsen am Meer war die erste Investition, die JHW aus dem Ertrag seiner Teilhabe an Anhalt & Wagener bestritt.

Kathedrale der Phantasie: Karl Friedrich Schinkels
Gotische Kirche auf einem Felsen am Meer, 1815,
gibt es nur auf der Leinwand.
Bild © Staatliche Museen zu Berlin,
Nationalgalerie Foto: Jörg P. Anders

In den folgenden Jahren ließ der Bankier etliche eben erst trockene Ölgemälde aus den Ateliers Berliner Maler in seine Privatgemächer tragen, die er allesamt im persönlichen Gespräch begutachtet und für aufhebenswert erachtet hatte. So entstand in den 45 Jahren von 1815 bis 1860 eine Sammlung zeitgenössischer Kunst, die einer der führenden Köpfe der preußischen Wirtschaftselite als für seine Zeit repräsentativ erachtete. Der Direktor der Nationalgalerie, Udo Kittelmann, der heute der Herr dieser Bilder ist, sagt zu der Wagenerschen Sammlung: „Indem sie im Geiste des Zeitgenössischen gesammelt wurde, vermag sie uns noch heute eine Vorstellung davon zu geben, was einst als zeitgenössische Kunst galt und kann uns dadurch auch im Rückblick das Vergangene wieder vergegenwärtigen.“

Aber wie kamen die Gemälde des Kaufmanns und Bankiers JHW Wagener in die Obhut eines Angestellten des öffentlichen Dienstes? Das private Sammeln von Kunstwerken, das heute fast jede deutsche Bank als zweite Natur verinnerlicht hat, war in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts etwas Neues – so frisch wie die Marktwirtschaft selbst. Und neu war auch die Geste des Gebens, die wir heute nur noch als amerikanische Großzügigkeit kennen und mit Namen wie Bill Gates und Warren Buffett verbinden. Erfunden wurde das neuzeitliche Mäzenatentum natürlich in der Alten Welt, von wo es in die Neue Welt emigriert ist. Es war der Berliner Joachim Heinrich Wilhelm Wagener, der als einer der ersten Mäzene gelten kann. Aber er musste List und Tücke aufbieten, um dem Volk, in diesem Fall dem preußischen, etwas von seinem wirtschaftlichen Erfolg zurückzugeben.

Vor dem Volk stand nämlich 1859, als JHW Wagener sein Testament machte, schon wieder der Staat. So sehr war die Erinnerung an die Aufbruchsjahre der Marktwirtschaft nach einem halben Jahrhundert Nationalstaatsfixierung verblasst, dass dem Bankier eine private Stiftung gar nicht in den Sinn kam. Der preußische Staat sollte Erbe seiner inzwischen auf 262 Gemälde angewachsenen Sammlung werden und sie dem Volk zugänglich machen. Aber dieser Staat war schon damals klamm – und hatte andere als ausgerechnet schöngeistige Ambitionen. So wies, nicht zum ersten Mal, der preußische Finanzminister noch 1860 das Ansinnen der Berliner Künstlerschaft zurück, 50.000 Taler zur Förderung der Schönen Künste in den Haushaltplan einzustellen. Das berichtet Eberhard Roters, der verstorbene Gründungsdirektor der Berlinischen Galerie, in seinem Geschichtsessay über Die Nationalgalerie und ihre Stifter.

JHW Wagener kannte diese Ausgabenunlust preußischer Ministerialbeamter. In seinem Testament sprach er deshalb direkt den König als Adressaten der Schenkung an: „Insbesondere überlasse ich es ganz dem Allerhöchsten Ermessen, ob etwa die Sammlung noch in dem Eingangs gedachten Sinne verstärkt und fortgeführt werden soll, um so zu einer nationalen Galerie heranzuwachsen, welche die neuere Malerei auch in ihrer weiteren Entwicklung darstellt.“ Hier entwickelte der greise Mäzen erstmals den Gedanken einer Nationalgalerie, und genau darauf sprang der preußische König nach der Testamentseröffnung an.

Allegorie auf ein von Napoleon
gerupftes Land: Caspar David Friedrichs
Einsamer Baum, 1822, versinnbildlicht
die Lage der Nation.
Bild © Staatliche Museen zu Berlin,
Nationalgalerie Foto: Jörg P. Anders

Als Joachim Heinrich Wilhelm Wagener am 18. Januar 1861 starb, war der Wilhelm I seit gerade zwei Wochen König von Preußen. Er nutzte die Wagenersche Schenkung als gute Gelegenheit, „seinen Regierungsantritt mit einer bedeutsamen kulturpolitischen Demonstration zu schmücken“, wie Roters notiert. An seinem Geburtstag, dem 22. März 1861, eröffnete der König, der selber zwanzig Gemälde beisteuerte, die Wagenersche- und National-Galerie in den Räumen der Königlich Preußischen Akademie der Künste Unter den Linden. Fünfzehn Jahre später, wiederum zum Geburtstag Wilhelms, der indessen Deutscher Kaiser geworden war, erhielt die Nationalgalerie 1876 ihr eigenes Gebäude auf der Museumsinsel, wo es heute noch steht – und zur Unterscheidung von der Neuen Nationalgalerie am Potsdamer Platz nun Alte Nationalgalerie heißt.

Seit 150 Jahren im Staatsbesitz, ist die einstige Privatsammlung jetzt erstmals zum Jubiläum wieder als geschlossenes Ganzes zu sehen, allerdings nur in einer Auswahl von rund 140 der ursprünglich über 260 Gemälde. Die sonst eher wirtschaftskritische Berliner tageszeitung (taz) war mit dieser Entscheidung nicht einverstanden und übte Staatskritik: „Hier vergibt die Nationalgalerie die Chance, die Sammlung in ihrer wirklichen Breite zu zeigen.“ (taz, 24. April 2011) Tatsächlich bestimmen Angestellte des öffentlichen Dienstes, was das Publikum heute von der Wagenerschen Sammlung sehen darf. Damit setzen sie sich über den Mäzen hinweg, der in seinem Testament „keinerlei andere Bedingung oder Beschränkung, als die [...] ungetrennte Erhaltung, Aufstellung und Benutzung der Sammlung“ genannt hatte. Diese Missachtung liegt im Trend einer Zeit, in der staatliche Eliten glauben, alles besser zu wissen als die Marktakteure und schon gar besser als jener längst verstorbene Bankier, dem sie bei der Nationalgalerie doch alles verdanken, die Existenz ihrer Institution und ihren Job. Die Marktwirtschaft hat es schwer in Deutschland, immer noch.

Nachtrag: Was dem Bankier gefiel

Dem Bankier gefiel der Freiheitskampf der Griechen.
Hier ein Freischärler in einem Gemälde von
Eduard Magnus (Heimkehr des Palikaren, 1836).
Bild © Staatliche Museen zu Berlin,
Nationalgalerie, Foto: Andres Kilger

Wenn Joachim Heinrich Wilhelm Wagener auf Erkundungstour durch die Berliner Ateliers ging, wurde meist eine Einkaufstour daraus. Diese selbstbestimmte Umverteilung des Reichtums aus den Taschen des erfolgreichen Bankiers in die Taschen der aufstrebenden Künstler hat den Aufschwung der Bildenden Künste in der preußischen Hauptstadt beflügelt. Nicht nur Berliner profitierten vom Kunstsinn des Bankiers. Neben Karl Friedrich Schinkel (Gotische Kirche, 1815) und Caspar David Friedrich (Einsamer Baum, 1822) kam auch Horace Vernet (Sklavenmarkt, 1836) zum Zuge.
Bemerkenswert ist das Interesse des Bankiers für Freiheitsbestrebungen, etwa in Griechenland. Damals gehörte der Islam noch zu Europa, aber die Griechen fanden, dass damit Schluss sein müsse. Im Unabhängigkeitskrieg der Jahre 1821 bis 1829 warfen sie die Türken aus dem Land; es war einer der ersten asymmetrischen Kriege, die wir heute für neu halten. Mangels einer regulären Armee waren es Freischärler, die den Aufstand maßgeblich für sich entschieden.
Diese siegreichen Palikaren verewigten Maler wie Peter von Hess (Palikaren bei Athen, 1829) und Eduard Magnus (Heimkehr des Palikaren, 1836) – zwei Gemälde, die zeigen, bei wem Joachim Heinrich Wilhelm Wageners Sympathien lagen: bei den Aufständischen; denn ohne politische Freiheiten, das wusste er als Bankier, stehen wirtschaftliche Erfolge auf tönernen Füßen. Der Freiheitskampf gegen die Muslime zog sich übrigens noch jahrzehntelang hin und endete im Griechischen Staatsbankrott von 1893.

Info: Die Sammlung des Bankiers Wagener. Die Gründung der Nationalgalerie. Sonderausstellung in der Alten Nationalgalerie auf der Museumsinsel, Bodestraße 1-3, 10178 Berlin. Bis 8. Januar 2012. Di-So 10-18 Uhr, Do bis 22 Uhr, Mo geschlossen. Eintritt 10 €, ermäßigt 5 € (Alte Nationalgalerie + Sammlung Wagener)

Hinweis: Dieser Beitrag erschien zuerst unter dem Titel Ein Bankier beschenkt das Volk in DER HAUPTSTADTBRIEF Ausgabe 102 im Mai 2011 (auf Seite 35, im doppelseitig angelegten PDF Seite 18 wählen).