Neulich hat mich eine gute Bekannte, selbst Journalistin, Autorin und Bloggerin, dafür gerügt, dass ich zu selten und zu wenig auf meinem Blog veröffentliche. Recht hat sie. Dabei verfüge ich über genug Stoff, eben nur nicht über genügend Zeit. Soeben stoße ich auf einen etwas älteren Beitrag, der aber nichts von seiner Aktualität verloren hat (das Foto ist jüngeren Datums, aber aus einem anderen Zusammenhang). Doch, urteilen Sie selbst:
Financial Times Deutschland Druckfassung
Der Name des Terrors
Der amerikanische Präsident bezeichnet Attentäter im Namen Allahs jetzt als „islamistische Faschisten“. Das ist keine gute Idee | Von Rainer Bieling
Nach den vereitelten Anschlägen von London sprach George W. Bush davon, dass sich die USA mit „islamistischen Faschisten“ im Krieg befänden. Damit bringt er eine neue Nuance in den Begriffskampf um den „Krieg gegen den Terror“.
Tatsächlich stößt der bisherige Begriff wegen aller seiner drei Bestandteile auf Widerspruch: „Krieg“ enge die Auseinandersetzung auf die militärische Option ein; „gegen“ verharre im Negativen und mache nicht klar, für welche Werte gestritten wird; „Terror“ lasse den Gegner im Dunklen und vermenge „echten“ Terrorismus mit gewalttätigem Widerstand, der eigentlich Befreiungskampf sei.
Nun also der Begriff „islamistische Faschisten“. Die USA haben sich schon einmal im Krieg mit Faschisten befunden – einem Krieg, der ihnen aufgedrängt wurde, einem Krieg für die Freiheit. Es war der letzte ganz große Krieg, in dem sich die Welt hinter den USA und den Briten sammelte, um eine totalitäre Gefahr abzuwehren. Diese ging von deutschen Nationalsozialisten, italienischen Faschisten und japanischen Militaristen aus. In heutiger Sprache: der Achse des Bösen Berlin-Rom-Tokio.
Gut und Böse, Angreifer und Verteidiger, der Gegner benannt, seine Niederlage Geschichte. Aber die Sieger waren zwei Demokratien, die USA und Großbritannien, und – eine Diktatur, die Sowjetunion. Das ist die Kehrseite: Der Antifaschismus verband zwei Gesellschaftsentwürfe, die sich wechselseitig ausschlossen, Demokratie und Diktatur. Tatsächlich: Kaum war der Faschismus besiegt, begann der Kalte Krieg zwischen Kommunismus und freier Welt.
„Faschismus“ ist ein stalinistischer Kampfbegriff aus den 1930ern. Auf dem 7. Weltkongress der Kommunistischen Internationale, Komintern, prägte deren Vorsitzender Georgi Dimitroff die Formel: „Faschismus ist offen terroristische Diktatur der reaktionärsten (...) Elemente des Finanzkapitals.“
Diese Definition schert alle rechten autoritären Ideologien über einen Kamm. Sie verbirgt zugleich die Gemeinsamkeit zwischen den totalitären Ideologien Faschismus und Kommunismus.
Die Komintern hat hier eine beachtliche intellektuelle Leistung erbracht. Aus ihrer aggressiven bipolaren Strategie des Klassenkampfes wurde eine defensive bilaterale Taktik der Volksfront – als Bündnis von Arbeiterbewegung und fortschrittlichem Bürgertum gegen dessen undemokratischen, der Gewaltherrschaft geneigten Flügel. Ein Zweckbündnis, um nach Überwindung der faschistischen Gefahr das eigentliche Ziel weiterverfolgen zu können – die Herrschaft des Kommunismus über die ganze Welt.
Der Begriff Faschismus hat seine stalinistische Herkunft, Prägung und Praxis nie ablegen können. Im Kalten Krieg blieb er ein Kampfbegriff in oft bloß diffamierender Absicht bei gleichzeitiger Verschleierung der Ziele seiner Benutzer. George W. Bush sollte seinen Versuch einer Neupositionierung der USA als eines Landes, das sich mit „Faschisten“ im Krieg befinde, deshalb nicht weiterverfolgen. Der negative Beigeschmack überwiegt.
Nun ließe sich einwenden, es gehe ja um eine neue Art von Faschisten, nämlich islamistische. Nur: Wer oder was ist „islamistisch“? „Islamistisch“ stammt ebenfalls aus dem Arsenal des Kampfes um Deutungshoheit und soll sich von „islamisch“ abheben. Demzufolge wäre eine islamische Auffassung eine vom Islam geleitete Auffassung, eine rechtgeleitete also. Eine islamistische Auffassung dagegen irregeleitet. Es gäbe gute islamische und schlechte islamistische Auffassungen.
Im Glauben, es gebe eine redliche und eine bösartige Lesart des Koran, sind sich viele im Westen mit moderaten Muslimen einig. Extremisten und Terroristen würden den Islam instrumentalisieren; der echte Islam sei in Wahrheit friedlich und friedliebend, tolerant und spirituell. Ist es so?
Das wäre schön. Tatsächlich aber gewinnt seit Jahren die umgekehrte Haltung an Einfluss: Wer sich selbst als Märtyrer für die Herrschaft des Islam opfert und dabei möglichst viele Ungläubige als Menschenopfer darbringt, ist ein Vorbild. Wer einem zahnlosen Islam der Unterwerfung das Wort redet, ist ein Verräter an Gott und seinem Propheten. Es ist diese Lesart des Koran, die vor unseren Augen die Herzen und Hirne der Muslime in aller Welt erobert.
Es ist naiv, gegen diese Realität die Fiktion von Islamisten zu stellen, die sich am Koran versündigen. Dem Islam geht es seit der Entdeckung seiner Möglichkeiten um die Herrschaft des Islam. Dabei hat er es weit gebracht – bis vor die Tore Wiens.
George W. Bush versucht, dem Terror einen Namen zu geben. Das ist gut so. Aber es ist nicht der geeignete Name. Beide Teile der Formel „islamistische Faschisten“ sind bei genauerer Abwägung nicht belastbar. Besser wäre eine Bestimmung, die den Unterschied zwischen totalitären Muslimen und freiheitlich-laizistischen Muslimen herausarbeitet und ebenso den Unterschied zwischen islamischen Terroristen und islamischen Demokraten. Auch gilt es, zwischen Totalitarismus und Terrorismus zu unterscheiden:
Es sind islamische Terroristen, die exekutieren, totalitäre Muslime, die applaudieren. Letztere sind keine Randerscheinung, sondern ein Massenphänomen. Wenn auch noch nicht überall und vielerorts nicht in der Größenordnung wie unter den Palästinensern, die den Terror der Hisbollah mit überwältigender Mehrheit gutheißen.
Financial Times Deutschland vom 6. September 2006, Seite 34 | Der Name des Terrors | Gastbeitrag von Dr. Rainer Bieling
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