Dienstag, 14. Dezember 2010

Güner Balci und Thilo Sarrazin bei Lea Rosh

Güner Balci und Thilo Sarrazin zu Gast bei Lea Rosh.

Das Erhellende an diesem Abend ist zweierlei: Der Befund, dass ein Teil, wahrscheinlich die Mehrheit der muslimischen Einwanderer sich in Deutschland nicht integriert und auch nicht vorhat, das zu tun, ist mittlerweile Konsens unter Deutschen, die in Parallelgesellschaften keine Bereicherung sehen, sondern den Verlust von Kohäsionsfähigkeit - der inneren Kraft offener pluralistischer Gesellschaften, den Zusammenhang der vielen verschiedenen Einzelinteressen zu stiften und beständig zu erneuern. Das Deuten dieses Befundes und das Ändern des Sachverhalts, den er beschreibt, sind hingegen noch konsensbedürftig.

Lea Rosh vereinte erstmals in ihrem gestrigen Salon im Ephraim-Palais die Berlinerin Güner Balci und den früheren Berliner Finanzsenator Theo Sarrazin im Gespräch. Güner Yasemin Balci ist Autorin der beiden Tatsachenromane Arabboy, mit dem ich mich in diesem Blog schon beschäftigt habe (siehe Eintrag vom 5. März 2009), und Arabqueen, die ich auch als Theaterstück im Heimathafen Neukölln gesehen habe (empfehlenswert, nächste Vorstellungen im Januar 2011). Thilo Sarrazin ist zur Zeit ebenfalls hauptberuflich Autor, Deutschland schafft sich ab liegt in dreizehnter Auflage vor, wenn ich es mir richtig gemerkt habe. Seine Kopftuchmädchen, ein Ausdruck des türkischen Nobelpreisträgers Orhan Pamuk (Hauptfiguren in dessen Roman Schnee, den es im Dezember 2010 im Ballhaus Naunynstraße in einer gelungenen Theaterversion gab), waren ebenfalls schon Gegenstand dieses Blogs (siehe Eintrag vom 10. Oktober 2009). Kurz, Lea Rosh (zu ihrem Auftritt beim Freitag Salon im Maxim Gorki Theater siehe meinen Blogeintrag vom 9. November 2010) brachte zwei Bekannte zusammen, auch wenn (s)ich beide in echt noch nie gesehen hatte(n).

Lea Rosh hält Sarrazin von vorn fest, der Spiegel von der Seite.
Das Fruchtbare des Abends ist eine bleibende Erkenntnis. Die muslimischen Parallelgesellschaften (ja, im Plural; denn es sind mindestens zwei, eine große türkische und eine kleinere arabische, vielleicht sogar drei: eine kurdische) sind geschlossene Kleingesellschaften in der offenen Großgesellschaft. Darin liegt die Asymmetrie: die Parallelgesellschaften sind nicht offene Miniaturen, sondern von völlig anderer Art als die Mehrheitsgesellschaft, ihr glattes Gegenteil. Das Grundgesetz der Großgesellschaft (Bundesrepublik Deutschland) gilt innerhalb der Parallelgesellschaften nicht, anders als einst in den Westsektoren Berlins, die zwar nicht von der Bundesrepublik Deutschland regiert wurden, aber im Geltungsbereich des Grundgesetzes lagen. Das Grundgesetz gilt in den geschlossenen Gesellschaften der Muslime nicht deshalb nicht, weil sie ein rechtsfreier Raum wären, sondern weil hier ein rechtsfremder Zustand herrscht: die Scharia, eine Jurisdiktion totalitären Typs, die keine Gewaltenteilung kennt und unmittelbar zu Gott ist, den sie Allah nennen. Hier herrscht (in den Begrifflichkeiten einer Religion) die Ideologie über die Menschen, das Kollektiv über die Individuen, der Mann über die Frauen; Ausstieg bei Todesgefahr verboten: aus der Religion, aus der Familie, aus der arrangierten Ehe.

Ein früherer Lehrer der Ferdinand-Freiligrath-Schule aus der Kreuzberger Bergmannstraße bringt es am Ende auf den Punkt: Wir haben es nicht mit einer anderen, neuen Kultur zu tun, die wir als Bereicherung unserer eigenen, alten Kultur zu begrüßen hätten, als würde sich B zu A gesellen, sondern wir haben es in den muslimischen Parallelwelten mit einer grundsätzlichen Verweigerung der Menschenrechte zu tun, die weit über die grundgesetzwidrige Verweigerung des Selbstbestimmungsrechts der muslimischen Frauen und Mädchen hinausgeht, jener Enteignung der Frauen, die Güner Balci in Arabqueen so anschaulich beschreibt. Seit 30 Jahren, sagt der Lehrer, weigern "wir" (und meint damit die meinungsbildenden und entscheidungstragenden Eliten) uns nicht nur, diese Integrationsverweigerung zur Kenntnis zu nehmen, sondern wir (alle) unterwerfen uns ihr mit immer neuen Rücksichtnahmen auf immer neue Anmaßungen. Ein Abend wie der gestrige erhellt, warum wir uns um unsere Freiheiten nicht nur am Hindukusch, sondern gleich auch am Kreuzberg kümmern sollten.

Nachtrag zur Vertiefung: Cora Stephan macht, ebenfalls heute, in ihrem Blog auf den ins Deutsche übersetzten Artikel eines französischen Autors im Perlentaucher aufmerksam, der sich mit der Herkunft des islamistischen Kampfbegriffs der Islamophobie befasst. Von hier ist es nur ein Klick zu einem Beitrag zweier dänischer Autoren, die - ebenfalls vom Perlentaucher ins Deutsche übersetzt - darlegen, wie Kultur als politische Ideologie eingesetzt und zum totalitären Kampfbegriff der Menschenrechtsverächter wird.

Nachtrag zum früheren Lehrer: Ich kann ihn dank eines Hinweises nun identifizieren. Es handelt sich um Wolfgang Schenk, der 1986 bis 1988 schulpolitischer Sprecher der Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus und aktives GEW-Mitglied war. Mittlerweile hat er den Schuldienst quittiert (und die GEW und die Grünen gleich mit); unter der Überschrift Ein Idealist packt aus hat die tageszeitung seine deprimierenden Erlebnisse und seine vernichtende Kritik der Berliner Schulpolitik aufgezeichnet. Das sollten Sie lesen, bevor Sie im Herbst Ihr Kreuz machen.
  

Donnerstag, 9. Dezember 2010

WikiLeaks hat auch etwas Beruhigendes

Logo © WikiLeaks

Alle großen journalistischen Enthüllungen von Watergate bis WikiLeaks beruhen ursächlich in der Regel nicht auf journalistischer Recherche, sondern darauf, dass ein Informant einem Journalisten etwas zuträgt. Der Informant handelt seinem Arbeitgeber gegenüber illoyal und in der Regel dem Gesetz nach illegal. Der ewige Streit geht darum, ob Medien derartige durch einen illegalen Akt, den sie selber nicht begangen haben, beschaffte Informationen veröffentlichen dürfen – und ob sie das tun sollen.

Wegen des Dürfens sind häufig die Gerichte bemüht worden, die meist die Pressefreiheit und das Allgemeininteresse höher stellen als das verletzte Rechtsgut der informationellen Selbstbestimmung des Klägers. Das mit dem Sollen ist stets heikel, weil X-Beliebige, denen Material zugespielt worden ist, nun Gott spielen können. Deshalb war es gut, dass WikiLeaks die Materialien u.a. an Spiegel, Guardian und New York Times zur Vorauswahl weitergegeben und somit einen Filter zwischengeschaltet hat, der die Selbstherrlichkeit auf eine etwas breitere Grundlage stellt: Nun wird nach Gutsherrenart entschieden, das immerhin ist menschlich. Es liegt auf der Hand, dass der Gutsherr Gefahr läuft, nicht über seinen Horizont hinauszublicken und einem Nachbarn Schaden zuzufügen.

Die Vorauswahl der genannten Printmedien hinterlässt einen zwiespältigen Eindruck. Immerhin ist es beruhigend zu lesen, dass die Nato Russland völlig zu recht doch noch für eine Gefahr hält und neben den Polen auch die Balten vor den Russen schützen will. Beruhigend auch zu wissen, dass die Araber, obwohl selber Potentaten, den Iran für eine tödliche Gefahr und das aktuelle Appeasement vor allem der EU für so unklug halten wie das historische Appeasement von München (1938), das die Nationalsozialisten überhaupt erst endsiegreif gestimmt hatte. Insgesamt zeigt sich, dass verantwortlichen Akteuren in aller Welt der gesunde politische Menschenverstand nicht so gänzlich abhanden gekommen ist, wie deren offizielle Verlautbarungen mitunter befürchten ließen und lassen.

Dieser beruhigende Gesichtspunkt
stellt das Beunruhigende, das der Vorgang eben auch hat, in den Schatten und lässt einen die WikiLeaks-Veröffentlichung begrüßen. Nicht hinzunehmen indes ist die Haltung der amerikanischen Regierung, nun selbst nach Gutsherrenart amerikanische Unternehmen wie Amazon, PayPal und MasterCard zum Boykott von WikiLeaks zu bewegen. Der heutige Leitartikel der Financial Times Deutschland, der für den Gegenangriff von WikiLeaks-Sympathisanten auf MasterCard Verständnis äußert, kommentiert das Geschehen ganz in meinem Sinne.


Nachtrag: Die Tageszeitung Die Welt hat am 20. Januar 2011 Wikileaks-Enthüllungen zu dem Sympathieverhältnis von Türkei und Hamas und der darob gemeinsamen Sorge von Israelischer Regierung und Palästinensischer Autonomiebehörde veröffentlicht. Und weil es gut zu wissen sei, welche ungute Entwicklung im Hintergrund stattfinde, verkündet die Redaktion am Schluss des Beitrags: Welt Online bricht das Wikileaks-Kartell. Hier finden Sie alle Artikel zum Thema. Dort ist die Topmeldung am 23. Januar 2011 ein Ergebnis weiterer Wikileaks-Auswertungen: Irans Atomraketen sind made in China. Nur zur Erinnerung: Die Macheten für den schnellsten Völkermord aller Zeiten, den der 100 Tage von Ruanda, dem 1994 wahrscheinlich 800.000 Menschen zum Opfer fielen, waren ebenfalls made in China.
   

Freitag, 3. Dezember 2010

Hannah-Arendt-Preis 2010 oder Die Enteignung einer Namensgeberin

Dokumentiert ein Gesicht des Totalitären: Topografie des Terrors

Der Hannah-Arendt-Preis für politisches Denken geht heute in Bremen an den französischen Sinologen François Jullien. Aber ob dieser Preis dem Anliegen der Namensgeberin gerecht wird, wage ich doch zu bezweifeln. Nicht nur ist mir der Laudator Joscha Schmierer als alter KBW-Häuptling suspekt, auch der Ausgezeichnete, François Jullien, ist mir als großer China-Versteher ebenso verdächtig wie sein Verleger Merve Verlag, der einst jede Wendung der orientierungslosen Neuen Linken mit- oder öfter noch vorgemacht hat (auch wenn mir das Verlegerpaar Heidi Paris und Peter Gente seinerzeit immer sehr sympathisch war). Tja, und die Böll-Stiftung als grüner Thinktank ist eher genau so Lost in Interpretation wie ihr Namensgeber Heinrich Böll, der mir nicht als eindeutiger Vorkämpfer gegen das Totalitäre in Erinnerung geblieben ist, sondern als eindeutig Zweideutiger gegenüber RAF und russischen Raketen. (Allerdings hatte er sich für sowjetische Dissidenten eingesetzt, das rechne ich ihm hoch an.)

Das Totalitäre hat viele Gesichter (im Bild sehen wir die Berliner Topographie des Terrors, die eines dieser Gesichter dokumentiert, im frühen Schnee des 2. Dezembers 2010) und lässt sich auf der nach oben hin offenen Massenvernichtungsskala der Staatsverbrechen vielfältig skalieren. Die Begründung der Jury hat mit einem Versuch des Skalierens der chinesischen Spielart des Totalitären und somit mit der Hannah Arendt, die ich kenne, eigentlich rein gar nichts zu tun. Und der Hannah-Arendt-Preis nur in seltenen Fällen wie dem der Verleihung an die frühere Präsidentin Lettlands, Vaira Vīķe-Freiberga, die 2005 eine gute Wahl war. Ich habe sie unlängst in der Gedenkstätte Hohenschönhausen beim 3. Hohenschönhausen-Forum kennengelernt - eine unerschrockene Frau, die zu Recht in einem Atemzug mit Hannah Arendt zu nennen ist. Alles, was ich 2010 lese, läuft auf die Enteignung Hannah Arendts hinaus.
 
Postcriptum vom 4. Dezember 2010: In Dresden gibt es ein Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung (HAIT). Dort wurde Ende November 2010 ein Stasi-Spitzel enttarnt und entfernt. Das hat einen Autor der Tageszeitung Die Welt veranlasst, am 30. November 2010 eine Schließung des Instituts und die Abkehr vom Begriff des Totalitären zu fordern. Zwei Tage später, am 2. Dezember 2010, stellt Welt-Herausgeber Thomas Schmid klar, warum er beides für keine gute Idee hält. Ersteres kann ich nicht beurteilen, letzteres wohl. Den Kampf gegen den Begriff des Totalitären führt die Linke, so lange ich denken kann - die Neue Linke seit 1968 eingerechnet. Im Geist totalitärer Anmaßung, der die Enteignung folgt (siehe oben), pflügen alte und neue Linke vor unseren Augen das intellektuelle Vermächtnis Hannah Arendts unter, und sie werden damit durchkommen, solange ihnen keiner in der Arm fällt. Thomas Schmid tut das, und das tut gut.
 

Dienstag, 9. November 2010

9. November oder Wie viel Denkmal braucht das Land?

Freitag Salon im Maxim Gorki Theater am 9. November 2010

Was fällt uns ein? Die Deutschen und die Erinnerung als Kult und Kultur hieß das Thema des Freitag Salons im Maxim Gorki Theater. Auf der Bühne (Foto, von links nach rechts): Wolfgang Wippermann (Historiker), Lea Rosh (Vorsitzende des Förderkreises Denkmal für die ermordeten Juden Europas), Jakob Augstein (Verleger des Freitag), Markus Meckel (1990 Außenminister der DDR). Es sollte um den 9. November gehen, einen Tag, der vielererlei Erinnerung an deutsches Heils- und Unheilsgeschehen wachruft. Geheilt hat der 9. November dabei nur einmal: 1989, als er der Beginn des Genesungsprozesses war, mit dem sich Europa von den Verheerungen der Bürger-, Angriffs- und Vernichtungskriege des 20. Jahrhunderts seit nunmehr 21 Jahren auf dem Weg der Besserung befindet.

Ein sichtbares Zeichen dieser Besserung ist das Denkmal für die ermordeten Juden Europas, das im Gespräch der vier Freitag-Salon-Diskutanten den breitesten Raum einnahm. der Freitag will das Gespräch in seiner nächsten Ausgabe veröffentlichen, sicherlich wird einiges auch in seiner Onlineversion nachzulesen sein. Dieses Denkmal im Herzen Berlins verbindet die 9. November auf ganz vorzügliche Weise: ermöglicht durch den europäischen Freiheits-, Vereinigungs- und Demokratisierungsprozess, der am 9. November 1989 seinen zweiten, entscheidenden Schritt, den der Selbstbefreiung vom Realsozialismus begann (nach dem ersten Schritt vom 8. Mai 1945, der militärischen Bezwingung des Nationalsozialismus durch die Alliierten), hält es die Erinnerung an den 9. November 1938 wach, der aus jüdischen Deutschen endgültig deutsche Juden machte, eine von deutschen Ariern unterschiedene und zum Ausscheiden bestimmte Spezies.

Ansprache zum 20. Geburtstag: Freitag-Verleger Jakob Augstein
Die Kluft zwischen Wissen und Verstehen ist mir bei der Freitag-Salon-Runde deutlich geworden wie selten; denn schon dieser naheliegende Zusammenhang kam nicht zur Sprache. Statt dessen warf Diskussionsleiter Augstein (im Foto rechts bei seiner Ansprache zum 20. Geburtstag des Freitag, der im Anschluss an den Salon im Foyer begossen wurde) solche Fragen auf: warum es kein Denkmal gebe, das an die positiven Seiten der DDR erinnere, warum man die Bismarck-Denkmäler nicht abreiße, warum es keine demokratischen Denkmäler gebe. Dabei hatte Lea Rosh in vielen ihrer Wortmeldungen eben den demokratischen Charakter des Denkmals für die ermordeten Juden Europas allein schon dadurch verdeutlicht, dass sie den komplexen, nicht nur über parlamentarische Hürden stolpernden Entscheidungsfindungsprozess zur Sprache brachte, wie er für Demokratien typisch ist.

Der aufschlussreichere Teil der Veranstaltung war die folgende Geburtstagsparty zum 20-jährigen Bestehen des Freitag, zu der wir einfachen Salon-Gäste dankenswerterweise eingeladen waren. Dabei überraschte mich angenehm, dass Lea Rosh meine Feststellung teilte, dass das Denkmal für die ermordeten Juden Europas kein sich selbsterklärendes Denkmal sei und dass eine Namensnennung an den vier Himmelsrichtungen, aus denen man sich dem Denkmal nähert, wünschenswert wäre. Ihre Erklärung für das Fehlen einer Beschriftung, dass der Künster dies nicht wolle, kann ich nicht gelten lassen. Beauftragte Künstler sind Leistungserbringer, nicht Herren eines Kunstwerks, für das wir, die Steuerbürger, sie bezahlen. Der Förderkreis für das Denkmal sollte sich nicht davon abringen lassen, Namensschilder oder -bodenplatten zu fordern, die jedem Besucher klar machen, dass das, was er sieht, das Denkmal für die ermordeten Juden Europas ist.
Denkmal aus Sicht der Vetretung des Landes Rheinland-Pfalz

Wie viel Denkmal braucht das Land? Die Anregung zur Beantwortung der Frage fand ich nicht in der heutigen Veranstaltung, sondern vor einigen Tagen bei unserer deutschsprachigen Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek. Anlässlich der Münchner Aufführung ihres Theaterstücks Rechnitz (in Erinnerung an das Massaker von Rechnitz) schrieb die Süddeutsche Zeitung am 3.11.2010:
Der "Sündenstolz" [...] ist ein Jelinekscher Schlüsselbegriff: Er zielt auf eine florierende Gedenkkultur, mit der man sich, wie die Autorin in einem Interview sagte, in festgelegten rhetorischen Formeln "und voll Selbstgenuss" von der NS-Vergangenheit distanziere und bei den nachfolgenden Generationen nur noch Unwillen erzeuge. Indem Jelinek diesen "Sündenstolz" scharf thematisiert, sät sie den eigentlichen Keim der Provokation.
Am Denkmal für die ermordeten Juden Europas prallte diese Provokation ab - das wäre wohl das Ergebnis gewesen, hätte die Salon-Diskussion derartigen Einwand aufgegriffen. Das ist überhaupt der entscheidende Unterschied zwischen den nationalistischen, sozialistischen und nationalsozialistischen Denkmalen des 19. und 20. Jahrhunderts und den antitotalitären Denkmalen des 21. Jahrhunderts: erstere sind konkret in ihrer stereotypen Bildsprache und wirken als Injektion, letztere sind abstrakt und erzeugen die Fläche für Projektion. Erstere dienen der Indoktrination, letztere der Reflexion. Gut, dass das Denkmal für die ermordeten Juden Europas mit dem unterirdischen Ort der Information über eine Reflexionshilfe verfügt.

Postscriptum vom 14. November 2010. Lea Rosh hat mir geschrieben und stellt richtig:
In einem irren Sie: der Künstler bzw. Architekt hat das verbriefte Recht, "sein Objekt" vor allen Veränderungen zu schützen. Wir dürfen nicht einmal Schilder aufstellen, um die Kinder zu bitten, auf den Stelen nicht rumzuturnen. So ist's halt. Leider.

Samstag, 4. September 2010

Gelichter der Großstadt

Lichter der Großstadt: Blick nach Westen am 3.9. um 19.51 Uhr

B like Berlin ist ein sehr anregendes Blog eines alten Bekannten, in dem er zwei Formate erprobt, die mir besonders gut gefallen: täglich ein Schnappschuss mit einem typisch berlinischen Motiv als Foto mit einer kurzen Bildunterschrift dazu (die Aufnahme rechts ist allerdings von mir und zeigt den gestrigen Abendhimmel über dem Potsdamer Platz) und täglich ein Berlin-Zitat, in dem sich Menschen aller Art über ihre Stadt äußern. Eine solche Meinungsäußerung hat heute mein Missbehagen ausgelöst. Sie lautet:
Ich kann nur sagen, dass Berlin für mich das macht, was es für viele Künstler macht: Es hat einfach etwas Inspirierendes, in einer Stadt zu leben, wo man den allermeisten Leuten anmerkt, dass es ihnen nicht in erster Linie ums Geldverdienen geht. Man merkt der Stadt an, dass da viele Leute irgendwelchen verschrobenen Träumen nachgehen können.
(Judith Holofernes, deutsche Musikerin und Liedtexterin, Sängerin und Gitarristin von ‘Wir sind Helden’ – aus ‘SZ-Diskothek’, Interview, 24.08.2010)
Einen Stern war mir das das Zitat von Judith Holofernes wert ("very poor") und einen Kommentar, den ich hier zur Kenntnis bringen möchte, weil er etwas Grundsätzliches anspricht: eine Haltung, die mich schon lange an meinen Mitberlinern stört:
Sehr bedauerlich zu lesen, dass die sehr sympathische Sängerin zu jenem Milieu gehört, das der Marktwirtschaft feindselig gegenübersteht. Die Haltung ist leider typisch für Menschen, die ihr Geld mit der angenehmsten aller Arbeiten verdienen, einer selbstgewählten, selbstbestimmten und selbsterfüllenden. Statt dessen wäre es ausgesprochen wünschenswert, wenn es in Berlin mehr Menschen gäbe, denen es in erster Linie ums Geldverdienen geht; denn schon heute leben knapp 20 Prozent aller Hauptstädter von dem Geld, das andere für sie verdienen: eine Umverteilung in großem Stil – und ohne Schamgefühl. Denn die, deren Steuergeld hier konsumiert wird, verrichten in der Regel keine so lustvolle Arbeit wie Judith Holofernes.
Nachtrag: Auf Facebook gibt es ein Echo zu diesem Eintrag; und Tommy Tulip hat in seinem Blog blackbirds.tv mehr Aufschlussreiches über Judith Holofernes' Marktferne beigesteuert. Von einer Künstlerin, die sich in einem Markt mit ausgeprägtem Wettbewerb durchsetzt und die mit ihrer Popmusik in der und durch die Marktwirtschaft gutes Geld verdient, erwarte ich, dass sie die Chancenvielfalt offener Märkte zu würdigen und die Möglichkeiten, viel Geld zu verdienen, zu schätzen weiß - statt Leute hochzujubeln, denen es "nicht in erster Linie ums Geldverdienen geht". Diese Verachtung von Markt- und Geldwirtschaft war und ist Ausgangspunkt aller Ideologien, denen künstlerische Freiheit so schnuppe ist wie jedes andere Persönlichkeitssrecht. (Beachten Sie bitte auch die beiden Kommentare: unten zu klicken.)
   

Mittwoch, 25. August 2010

Propaganda und Terror


Topograhie des Terrors
Blick auf den Ausstellungsgraben
 
Auf dem Freigelände der Topographie des Terrors ist seit heute eine neue Dauerausstellung für die Öffentlichkeit zugänglich. Sie trägt den Titel "Berlin 1933-1945. Zwischen Propaganda und Terror" und ist im sogenannten Ausstellungsgraben zu sehen, der sich rechts auf dem frühabendlichen Foto (das sich durch Anklicken vergrößern und auf Flickr kommentieren lässt)  über die gesamte Länge entlang des Mauerrestes an der Niederkirchnerstraße erstreckt. (Hier noch eine Aufnahme von der gestrigen Eröffnung.) Von oben schützt ein Glasdach die früheren Kellerräume, an deren Wänden die Schautafeln über das nationalsozialistische Berlin angebracht sind. Es handelt sich um ganz normale Keller, nicht um Folterkeller. Die Fahnder und Vernehmer der Gestapo folterten in ihren Büros in den oberen Stockwerken.

Zwischen Propaganda und Terror ist eine gute Titelwahl (Konzeption der Ausstellung: Dr. Claudia Steur und Mirjam Kutzner), weil sie unterstreicht, dass das totalitäre Regime eben kein Schreckensregiment im Sinne einer Tyrannei ist, die alle und jeden unterdrückt. Ganz im Gegenteil lebt das Totalitäre gerade von der Zustimmung jener Massen, in deren Namen es wirkt. Das Mittel, sich breite Zustimmung zu sichern, ist Propaganda. Sie bestärkt den Sympathisanten, schmeichelt dem Mitläufer und umwirbt den Skeptiker. Und sie lässt in Ruhe, wer das Maul hält. Wer es aber aufmacht, den wird das Totalitäre mit Gewalt unterwerfen und mitleidlos enteignen: seiner Rechte, seiner Freiheit, seines Lebens. Das ist der Terror, und weil er hier an der Wilhelmstraße, in der Mitte Berlins, ausgebrütet und umgesetzt wurde, trägt der Ort seinen Namen: Topographie des Terrors.
 

Samstag, 14. August 2010

13. August und die Geschichten jener Nacht


KulturRaum Zwingli-Kirche heißt das Projekt einer Gruppe engagierter Berliner Bürger (und Bürgerinnen, ist doch klar) zur intelligenten, quartiernahen Nutzung der leerstehenden evangelischen Zwinglikirche am Rudolfplatz in der Friedrichshainer Oberbaum-City. KulturRaum Zwingli-Kirche meint im Wortsinn: das Kirchengebäude als Raum für Kultur nutzen. Kultur wiederum meint vor allem Ausstellungen, Lesungen, Filmvorführungen.

Sommer im Quartier heißt kurz und bündig das aktuelle Kulturraumprogamm. Rechts im Bild das dazugehörige Plakat, das es in einer anderen Version als Faltblatt zum Aufklappen gibt, sehr praktisch gedacht und gemacht; denn auf der Rückseite steht das vollständige Programm, das es natürlich auch hier im Internet gibt, wo es sich auch als PDF herunterladen lässt.

Geschichten jener Nacht hieß der DEFA-Spielfilm, der gestern, am 13. August 2010, im KulturRaum zu sehen war. Jene Nacht war die vom 12. auf den 13. August 1961. Der Episodenfilm von 1967 erzählt erzählt vier Geschichten jener Nacht (jeder Link ist wie üblich klickbar und führt zu weiteren Informationen) und jede der vier Geschichten wird von einem anderen Autor und Regisseur mit anderen Schauspielern ins Bild gesetzt:

Episode 1: Phoenix von Karlheinz Carpentier (Buch und Regie)
Episode 2: Die Prüfung von Ulrich Thein (Buch mit Erik Neutsch [Spur der Steine] und Regie)
Episode 3: Materna von Frank Vogel (Buch mit Werner Bräunig [Rummelplatz] und Regie)
Episode 4: Der große und der kleine Willi von Gerhard Klein (Regie, Buch Helmut Baierl)

Es ist die erste Garde der Kulturschaffenden, die schreibt, dreht und spielt. Warum sie das fünf Jahre nach dem Mauerbau tut (die DEFA-Geschichten jener Nacht kamen im Jahr darauf am 8. Juni 1967 in die DDR-Kinos), ist mir ein Rätsel; denn es hatte gleich 1962 zwei fabelhafte Propagandafilme für den realen Sozialismus gegeben, über die ich mich anlässlich ihrer Wiederaufführung vor einem Jahr ausgelassen habe (siehe meinen Eintrag vom 29. August 2009: "Der Kinnhaken oder Wie Manfred Krug 1962 den Mauerbau mit viel Selbstironie rechtfertigt").

Es sind Propagandafilme vom feinsten, die die DEFA seinerzeit produziert hat: sehr intelligent, sehr smart, sehr schmissig, und dazu war sie in der Lage, weil ein Teil der deutschen Kultur- und Unterhaltungselite in den realen Sozialismus Walter Ulbrichts vernarrt war und sich der der Sozialistischen Einheitspartei hingab, einer totalitären Formation, die nach etlichen Umfirmierungen heute als Die Linke in einer virtuellen DDR das Sagen hat, die keineswegs vor dem Westen Deutschlands halt macht und nach wie vor etliche antikapitalistische Kulturschaffende in ihren Reihen weiß, die sich ohne zu zögern für präsidiabel halten. Die Geschichten jener Nacht erinnern daran, dass der Geist, der solches speist unter uns weilt wie das Gespenst, als es in Europa umging. Aus den Mauerbauapologeten von einst sind die Mauerversteher von heute geworden, aus dem Kleinen Willi der große Tatort-Komissar.

Dem KulturRaum-Team Dank für einen anregenden Abend und gute Wünsche für den weiteren Sommer im Quartier. Ach, mein Hinweis auf diese Veranstaltungsreihe auf Facebook (Link geht nur für Facebook-Mitglieder) hat gleich zu einer kleinen Debatte über das neuberlinerische Quartier geführt. Stimmt, wir Altberliner nennen es Kiez. (Dass dieser Begriff auch so seine Geschichte hat, lässt sich bei Wikipedia gut nachlesen.)

 

Freitag, 13. August 2010

Topographie des Terrors (3) oder Das ganze Bild



Seit dem 3. Juni
habe ich kein Baufahrzeug mehr auf dem Freigelände der Topographie des Terrors  gesehen, das möchte ich mit einiger Verspätung nachtragen und durch eine Fotoserie belegen, die den gesamten Fertigstellungsprozess dokumentiert: Hier geht es zum entsprechenden Picasa Webalbum, das ich heute endlich angelegt habe. Bei der Gelegenheit sei auch versichert, dass die Bauarbeiter bei ihrem Abzug alle Hinterlassenschaften, die sie zuvor sorgfältig im Robinienwäldchen versteckt hatten (siehe Eintrag vom 11. Mai), mitgenommen haben.

Die Topographie des Terrors ist aber nicht nur ein dankbarer Gegenstand für den Amateurfotografen (das Foto zeigt das fertige Gelände am 3. Juni 2010 beim Abzug des letzten Baufahrzeugs), sie ist in erster Linie ein wichtiger Ort in Berlin und für Deutschland. Er dokumentiert beides: Die Hinterlassenschaften des Gewaltapparates der totalen Herrschaft, mit dem die nationalsozialistische Reichsregierung einen großen Teil Europas unterworfen hatte. Und die Bereitschaft des freien und demokratischen Deutschlands von 2010, sich der intellektuellen Herausforderung zu stellen, die die Hinterlassenschaft des Totalitären uns Heutigen abfordert.

Die Relikte von gestern und die Reaktionen von heute machen die Topographie des Terrors zu einem Lernort, dessen Potential sich schon abzeichnet: Neben der ständigen Ausstellung im neuen Dokumentationszentrum und der ersten Sonderausstellung über das Getto von Lodz (Lodsch, bei den Nazis: Litzmannstadt), gab es vor der Sommerpause etliche Vorträge und Vorführungen nationalsozialistischer Propagandafilme, die den Geist und die Sprache der totalitären Ideologie im Original offenbarten. Besser lässt sich intellektuelle Immunisierung gar nicht erreichen.
 

Dienstag, 10. August 2010

Berlins Fernsehturm im Morgenlicht


O je, drei Monate Pause. Das hat es im Leben der Berliner Freiheiten noch nie gegeben. Ursache war die Rückkehr in die Stadt, mitten ins Zentrum. Ein Umzug, der mit allerhand Widrigkeiten einherging, die hier nichts zur Sache tun. Dass es ausgerechnet eine Katze war, deren Miauen mich jäh aus dem Schlaf riss, ist eine der Paradoxien des Stadtlebens. Um 5:57 Uhr war die Nacht vorbei, und beim Blick aus dem Schlafzimmer sah ich zwar die Katze nicht, dafür aber den markanten Berliner Fernsehtum im Morgenlicht. Hier rechts im Bild festgehalten, was sollte ich sonst Sinnvolles tun.

Der Berliner Fernsehturm ist nicht nur Deutschlands höchstes Bauwerk, sondern auch eines der wenigen Gebäude aus DDR-Zeiten, das die Berliner, alte wie neue, ohne Wenn und Aber als ihr Eigentum angenommen haben. Die Identifikation ist so groß, dass auch gebürtige West-Berliner ihn lieben, obwohl sie noch gut in Erinnerung haben, dass es Walter Ulbricht war, der den Turm zum 20. Jahrestag der Gründung der Deutschen Demokratischen Republik am 7. Oktober 1969 eröffnete. Die Gründung der DDR wiederum fand gewissermaßen vor meiner Haustür statt, da muss ich nur zur anderen Seite aus dem Wohnzimmer gucken, um den Ort zu sehen. Aber davon ein andermal. Wenn die Katze wieder mauzt.
 

Dienstag, 11. Mai 2010

Topographie des Terrors (2)


Wenn wir Journalisten uns nicht beeilen, haben Zeitungen oder Zeitschriften leere weiße Seiten. Hässliche Sache, geschieht deshalb praktisch nie oder wenn doch, dann meist aus Protest gegen irgendetwas oder irgendwen. Wenn Bauarbeiter sich nicht beeilen, gibt es z.B. vollgemüllte braune Flächen, wo leeres feines Grau herrschen sollte. Das beobachte ich mit stiller Verwunderung seit Tagen vor meiner Haustür, wo die neu gestaltete Freifläche des Dokumentationszentrums Topographie des Terrors partout nicht fertig werden will. Und das am Tag vier nach der offiziellen Öffnung des Geländes für das Publikum am 7. Mai 2010. (Siehe dazu meinen Eintrag vom Vortag der Eröffnung, dem 6. Mai 2010.)

Aus den Augen, aus dem Sinn. Heute gab es eine vergnügliche Lektion in Baustellenberäumung zu lernen. Schritt 1: Wir identifizieren, was weg muss. Schritt 2: Wir greifen uns, was weg muss. Schritt 3: Wir verstecken, was weg muss und nun weg ist. Wie das geht, zeigt eine kleine Bildfolge in meinem Picasa-Webalbum. Morgen schaue ich nach, ob die Baureste im Robinienwäldchen endgelagert werden, oder ob es sich doch nur um einen Zwischenstopp handelt. (To be continued.)

Nachsatz: Es war nur ein Zwischenstopp, das habe ich im Eintrag vom 13. August 2010 dokumentiert.

  

Donnerstag, 6. Mai 2010

Topographie des Terrors


Topographie des Terrors heißt nach wie vor das vollkommene neu gestaltete Dokumentationszentrum, das heute Abend von Bundespräsident Horst Köhler eingeweiht werden wird. Heute morgen bat der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit die internationale Presse zur Vorbesichtigung. Da ich nun direkt gegenüber dem Gelände wohne, habe ich den Fertigstellungsfortschritt der letzten Tage und die morgendliche Pressekonferenz fotografisch dokumentiert. Die Abbildung rechts zeigt das Gelände der Topographie heute früh um 8 Uhr. Die Wette, dass es zur heutigen Einweihung fertig wird, hätte ich angenommen - und verloren, wie hier zu sehen ist.

Samstag, 24. April 2010

Min dît - Die Kinder von Diyarbakir


Ein politischer Film ohne ein politisches Wort und überhaupt ohne viele Worte ist das Drama Min dit - Die Kinder von Diyarbakir, der seit Donnerstag im Kino läuft. So etwas Ergreifendes wie die Geschichte der lautlosen Ermordung kurdischer Oppositioneller durch türkische Paramilitärs - aus Kinderaugen gesehen, erlebt und erlitten - habe ich noch nie gesehen.

Es sind die Augen der zehnjährigen Laienschauspielerin Senay Orak (oben in der Mitte des Filmplakats, Abbildung rechts, lässt sich durch Anklicken vergrößern), die Sie nie wieder vergessen werden. Wärmste Empfehlung für ein Meisterwerk des Berliner kurdisch-deutschen Regisseurs Miraz Bezar, produziert vom Hamburger türkisch-deutschen Filmemacher Fatih Akin.

Nachsatz vom 5. Mai 2010: Auf Facebook gibt es eine Filmseite für Min dit, auf der ich den Film ebenfalls gewürdigt und anschließend die Frage gestellt hatte:

Ach, kann mir jemand sagen, was Min dit auf Deutsch heißt?
Die Antwort kam prompt von Aygül Y. aus Hamburg: Ich hab's gesehen. Was für ein treffender Titel!
 

Mittwoch, 7. April 2010

Weizsäcker zum Neunzigsten


Am heutigen Mittwoch liegt die neue Zitty am Kiosk und bringt ein altes Foto von mir. Wie das?
In einer Woche, am 15. April 2010, wird Richard von Weizsäcker neunzig. Als er gerade noch sechzig war, wollte er Berlins Regierender Bürgermeister werden. Das war im März 1981, und ich war gerade noch dreißig. Auf dem Foto sind wir beide zu sehen und führen ein zitty-Gespräch,  in dem es erstmals auch um die Option Schwarz-Grün ging. Warum ich das schon vor 29 Jahren für eine schlüssige Alternative hielt, geht aus dem historischen Interview hervor, aus dem Zitty einen Auszug bringt (Seite 41). Warum die politischen Entscheidungsträger fast drei Jahrzehnte brauchten, ehe sie dieser Option - zaghaft - Geschmack abgewinnen konnten, dafür habe ich nur eine Erklärung: Sie sind ideologisch vernagelt.

Weitsicht und Vorurteil sind ungleich verteilt, und der schleppende Gang der politischen Entscheidungsprozesse zeigt, dass Scheuklappen im Politbetrieb der häufigste Kopfputz sind. Zu den alten Fotos (sehr schöne Aufnahmen aus dem Fundus des schon immer dabeien Zitty-Grafikers Peter Senftleben) gibt es einen neuen Text. Darin bilanziere ich neunzig Jahre Richard von Weizsäcker und komme zu dem Schluss: Für Berlin war er ein Guter. Davor mache ich mir Gedanken über die totalitäre Verführbarkeit der Eliten, für die die Weizsäckers ein ebenso anschauliches wie unerfreuliches Beispiel sind. Aber lesen Sie selbst: Für 3,20 Euro gibt es die neue Zitty jetzt am Kiosk, mein Weizsäcker-Essay beginnt auf Seite 38.

Nachsatz: Mittlerweile ist die neue Zitty die alte und nicht mehr im Zeitschriftenhandel verfügbar. Ich habe den Text deshalb heute (23. April 2010) online verfügbar gemacht; bitte klicken Sie hier.
 

Donnerstag, 28. Januar 2010

Israel braucht Zuneigung


Das war eine Premiere: mein erster Facebook-Termin. Genau genommen war es heute Abend die erste Veranstaltung, die ich besuchte habe, weil ein Facebook-Eintrag darauf hingewiesen und mich angesprochen hatte. Bei der Veranstaltung im Jüdischen Gemeindehaus in der Charlottenburger Fasanenenstraße ging es um Die Agenda der "Israelkritiker", ein Vortrag und Diskussion mit Alex Feuerherdt. Auf den Termin hingewiesen hatte mein Facebook-Freund Tilman Tarach, dessen Buch Der ewige Sündenbock ich im letzten Jahr mit großem Erkenntnisgewinn gelesen hatte. Es wird mit einem Geleitwort von Henryk M. Broder im Februar in dritter, komplett überarbeiteter Fassung in den Handel kommen. Auf der von Henryk Broder mitgestalteten Achse des Guten (siehe Meine Blogtipps in der Randspalte links weiter unten) fand ich gestern einen weiteren Hinweis auf die heutige Veranstaltung.

Die Agenda der "Israelkritiker" beschreibt Alex Feuerherdt, freier Autor in Bonn (auf dem Bild oben in Berlin hinter dem Mikrofon), als gebündelte Abneigung gegen Israel. In dem Bündel sind aktuell drei propagandistische Kriegserklärungen der Joint Forces des linksliberalen, linken und islamischen UNO-NGO+Unterstützermedien-Mainstreams:
> der Goldstone-Bericht, der die Raketen der Hamas verharmlost und die Bomben der Israelis gegen die Raketen der Hamas verteufelt,
> ein Amnesty-International-Bericht über Wasserraub der Israelis zwecks Ausdurstens der Araber im vormals ägyptischen Gazastreifen (Hamastan) und am vormals jordanischen Westufer (Fatahland),
> die israelische Siedlungspolitik, die das größte Hemmnis für den Frieden überhaupt sei.

Das Mantra vom friedensstiftenden Siedlungsstopp wiederholen deutsche und EU-Politiker auf Knopfdruck - obwohl der kriegsstiftende Effekt des Siedlungsstopps im Gazastreifen noch in bester Erinnerung ist: erst Krieg der Hamas gegen die Fatah, nach deren Vertreibung aus Gaza Krieg der Hamas zur Vernichtung Israels gemäß Hamas-Charta, die ein judenreines Palästina als Endlösung vorsieht. Schließlich Krieg der IDF gegen die Hamas. Zur Zeit: relative Waffenruhe, aber kein bisschen Frieden. Wie der mit einer totalitären Bewegung möglich sein soll, deren einziger Daseinszweck die Endlösung 2.0 ist, hat noch kein westlicher Politiker überzeugend erklären können. Hier kann auch Alex Feuerherdt nichts Neues berichten.

Das Pingpongspiel von NGOs und UNO, die sich nicht nur die Bälle zuspielen, sondern deren Spieler auch gern mal die Seiten wechseln, wenn es Israel zu schaden gilt, darüber hat der Vortrag etliches Neues zutage befördert. Nur so viel: Der Goldstone-Bericht, sagt Feuerherdt, zitiere im Wesentlichen proarabische NGOs, der Amnesty-Bericht stütze sich auf rein arabische Quellen vom Westufer, die eben dieses austrocknen lassen. Zweimal Propaganda zum Schaden Israels - und die Propagandisten sind unverdächtig, kommen sie doch aus dem Westen und nicht aus dem Haus des Islam (über dessen Konstruktion Meine Buchtipps in der Randspalte links weiter unten nähere Auskunft geben). Ich hoffe, dass der Vortrag bald online verfügbar ist, und werde meinen Wunsch dann hier an dieser Stelle durch einen Link ersetzen. Damit all jene, die Israel in Zuneigung verbunden sind, Fakten an die Hand bekommen für Gespräche mit Menschen off Mainstream, die für Argumente offen sind. Und weil nicht jeder Facebook-Freunde hat wie ich, die news to use verbreiten.