Samstag, 19. September 2009

1968 oder Was war, was bleibt


Ha, das ist doch ein Bild für die Götter: Von links nach rechts icke, Rainer Langhans, Detlev Claussen. Anlass für das Gruppenbild (lässt sich durch Anklicken vergrößern): eine Podiumsdiskussion zur Frage 1968 - Was war, was bleibt? am 17. September bei der Friedrich-Ebert-Stiftung auf dem Bonner Venusberg. Also, was bleibt, ist schnell gezeigt: eine harmonische Runde älterer Herren (hier die Beweisfotos), die angenehm entspannt positive Impulse und negative Effekte von Achtundsechzig auseinander zu halten wissen.

In so friedlicher Eintracht hätten wir drei seinerzeit sicher nicht zusammen gesessen. Das liegt nicht daran, dass wir heute einer Meinung wären. Aber wir haben unterdes verstanden, dass vielseitige Ereignisse eine Vielfalt von Bewertungen hervorbringen. Von denen mögen etliche abwegig sein, andere sind es nicht und können ohne weiteres nebeneinander bestehen. Ja, und was war? Ich versuche es mal in drei Sätzen.

Sensibilisierung, 1964-66: Es war einmal eine subkulturelle Jugendbewegung in der westlichen Welt, deren Freiheits- und Selbstbestimmungsbedürfnis der offenen Gesellschaft Freiräume abforderte, die seinerzeit nicht vorgesehen waren. Der Zusammenstoß der vornehmlich Jungen mit den überwiegend Alten war zwar auch ein Generationenunfall, aber mehr noch die Kollision von Grundhaltungen, von antiautoritärem Infragestellen und autoritärem Beharren. Das konnte nicht gut gehen; denn keine Seite, weder die Protestler noch das Establishment, hatten Erfahrung im Umgang mit einem Innovationsschub, der aus den Tiefen des Marktes kam (als Markt- und Mentalitätsinnovation) und so tat, als ginge es um die (Kommando-)Höhen des Staates.

Politisierung, 1967-68: Es war einmal eine sozialistische Linke, die mit den Erfolgen der Marktwirtschaft in der westlichen Nachkriegswelt und dem offenkundigen Scheitern der sozialistischen Staatswirtschaft im Ostblock jede Rechtfertigung verloren hatte. Anfang der 1960er Jahre war sie am Ende und überlebte nur in stasigesteuerten Tarnorganisationen und selbstorganisierten Akademikerzirkeln (SDS). Als aber Jugendbewegung und Polis (Staat und Gesellschaft, Gesetz und Konvention) 1967, 1968 aneinandergerieten, Schüsse fielen und Menschen, politisierten sich die Akteure und fanden Antworten bei den Neuen Linken des SDS, die über Nacht an der Spitze einer außerparlamentarischen Opposition (APO) gegen die Notstandsgesetzgebung marschierten - und grandios scheiterten.

Ideologisierung, 1969-70 ff.:
Es war einmal eine antiautoritäre Protestbewegung, die Maß und Ziel verloren hatte und zur leichten Beute von sozialistischen Ideologen wurde: neue Autoritäten braucht das Land. "Marx, Engels, Lenin, Stalin - Mao Tse-tung!" (Ja, Pause vor und Betonung auf dem letzten Namen.) Das substitutiv Antiautoritäre (das Ersetzen einer falschen Autorität durch eine wahre) siegte in den 1970er Jahren über das alternativ Antiautoritäre (das Ersetzen autoritärer Herrschaft durch nicht-autoritäre Machtausübung). Das geht nun seit zweieinhalb Tausend Jahren so: Die totalitären Kommandogruppen (die mit der Wahheit im Sturmgepäck) siegen immer über die antiautoritären Haufen (die eben nur wissen, was sie nicht wollen). Den Sozialismus in seinem Lauf hielten dann aber Ochs und Esel auf: Im Westen verschwand er in den 1980ern stillschweigend, im Osten kollabierte er 1989 mit Knall und (Mauer-)Fall.

Was war das, 1968? In der Rückschau vermengen sich die Dimensionen (drei habe ich gennannt) und die Projektionen (da sind zahllose möglich). Aus heutiger Sicht, da Die Linke so tut, als sei ihr Sozialismus nie vom Fenster weg gewesen, neige ich zu folgender Einsicht: Staatsfixierte Ideologien sind marktorientierten Wertvorstellungen überlegen, nicht weil sie besser wären, sondern wegen der Beseeltheit ihrer Akteure, die Welt von einem Punkt her aushebeln zu können. Das Pluriversum von Einigkeit und Recht und Freiheit unterliegt stets dem Universum der Einheit. Die SPD hat das 1933 schmerzlich erlebt, als sie der nationalsozialistischen Einheit des Volkes nichts entgegenzusetzen hatte (die der NS-Staat verwirklichte). Und noch einmal 1946, als sie der realsozialistischen Einheit der Arbeiterklasse fern blieb (die dann der SED-Staat betrieb). So gesehen ist 1968 2009 für mich eine Mahnung, für die SPD eine Warnung.

Es war schön, bei der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) auf Leute zu treffen, denen sich solche Überlegungen vortragen ließen. (Mein Blog beginnt mit einer gegenteiligen Erfahrung - siehe den ersten Eintrag vom 12. April 2008.) Danke den Teilnehmerinnen und Teilnehmern, dass sie mein Insistieren auf dem Markt als Quelle von Lebensstil- und Mentalitätsinnovationen nicht von vornherein abgetan haben. Danke den beiden Seminarleiterinnen Jeanette Seiffert und Christiane Reiser, die schon mit der Themenstellung Die 68er Bewegung als Katalysator für die moderne Konsumgesellschaft den richtigen Akzent gesetzt hatten. Danke den beiden Mitdiskutanten auf dem Podium, Detlev Claussen und Rainer Langhans, denen mit Vergnügen und Gewinn zuzuhören war. Danke auch Alena Biegert, die uns so fotogen ins Bild gesetzt hat. Doch, bei der FES macht SPD-Nähe Freude. Im übrigen bleibe ich der Meinung, mein ceterum censeo: Ohne Sozialismus geht es besser.