Mittwoch, 30. April 2008

Feed a City, Change a Country



English version: http://docs.google.com/Doc?id=dg2mw4pw_275hz8f3cf

PDF in English (page 5) http://www.atlantic-times.com/airlift-special/Airlift_Special_A4.pdf



Unter dieser Überschrift veröffentlicht The Atlantic Times Nr. 5-2008 meinen Beitrag (Nummer 1) zur 60. Wiederkehr der Berliner Luftbrücke 1948-2008. Hier ist die deutsche Fassung:



Versorge eine Stadt, verändere ein Land



Die Erinnerung an die Luftbrücke ist in Berlin noch lebendig, doch die Zahl der Zeitzeugen nimmt ab. Das Jubiläum ist ein guter Anlass zur Auffrischung; denn es geht um mehr als Nostalgie



[Vorspann]

Auf alliierter Seite ein angloamerikanischer Doppelsieg, war die Luftbrücke auf Berliner Seite eine sozialdemokratische Bestleistung. Sie hat die Geschichte Deutschlands nachhaltig beeinflusst.





[Text]

Wer sich heute noch aus eigenem Erleben an die Luftbrücke erinnern kann, muss 1948 mindestens schon Schulkind gewesen sein und wird mittlerweile das Rentenalter erreicht haben. Kein Wunder, dass die Erinnerung an die Luftbrücke in der Berliner Bevölkerung allmählich verblasst. Hinzu kommt, dass in den fast zwanzig Jahren seit dem Fall der Mauer 1,6 Millionen Menschen neu in die Stadt gekommen sind, während ebenso viele wegzogen. Die direkten Zeitzeugen sind heutzutage eine kleine Minderheit.



So bleibt als Erinnerung an die Luftbrücke bei den vielen, die nicht dabei waren, die überragende Leistung der alliierten Flieger. Aber es gibt eine vergleichbar wichtige Leistung auf Berliner Seite. In den drei Jahren seit Kriegsende, 1945, hatte es unter den Vier Mächten zahlreiche Auseinandersetzungen um Berlin gegeben. Aber es ist die Währungsreform vom Juni 1948, die Stalin zum Anlass für die Blockade nimmt, um die Westmächte aus der Stadt zu vertreiben. Warum? Weil klar war, dass mit der Währungsreform die Marktwirtschaft kommen würde.



Das hatte Stalin schon zwei Jahre zuvor versucht, von innen heraus zu verhindern. Damals, 1946, hat er die Kommunistische Partei in der Sowjetischen Zone dazu gebracht, sich die viel ältere und viel größere Mutterpartei, die Sozialdemokratische Partei (SPD), einzuverleiben und auf die "Überwindung" der Marktwirtschaft zu trimmen. Die SPD in den Westsektoren Berlins hat sich der Zwangsvereinigung zu einer antikapitalistischen Partei der "Sozialistischen Einheit" (SED) widersetzt.



Unter ihren legendären Bürgermeistern Ernst Reuter und später Willy Brandt bleibt die SPD in Berlin eine eigenständige Partei, lehnt die Planwirtschaft ab. 1948 unterstützt sie die Einführung der D-Mark. Als Stalin daraufhin die Blockade der Landwege verfügt, macht sie das Gelingen der Versorgung aus der Luft am Boden möglich. Mit ihrer Zustimmung zur D-Mark sorgt die SPD dafür, dass die Berliner Arbeiterschaft am deutschen Wirtschaftswunder teilhat. 1959 hält die SPD ihren Beitrag zum epochalen Wohlstandszuwachs durch die soziale Marktwirtschaft im Godesberger Programm fest.



Es waren Sozialdemokraten, die wie keine andere politische Kraft der Stadt die Luftbrücke auf Berliner Seite organisierten; sie wussten, was ihnen blühen würde, wenn die Sowjets auch die Westsektoren übernehmen würden. Das Nein zu Zwangsvereinigung und Blockade, das Ja zu D-Mark und Luftbrücke – sie stehen im Zusammenhang und sind die prägenden Erfahrungen, aus denen die Sozialdemokratie der Nachkriegszeit als entschiedene Verfechterin der offenen Gesellschaft, des Pluralismus in Politik und Wirtschaft, hervorgegangen ist.



So war die Berliner Luftbrücke nicht nur eine logistische Meisterleistung. Deutschland ist auch deshalb das blühende Land von heute geworden, weil vor 60 Jahren seine älteste politische Partei (seit 1890 heißt sie Sozialdemokratische Partei Deutschlands, ihre Wurzeln reichen ins Jahr 1863, in Amerika die Zeit des Civil War, zurück) sich mit Amerikanern und Briten verbündet hat, um soziale Marktwirtschaft und parlamentarische Demokratie gedanklich und im wirklichen Leben zu einer Einheit zu verschmelzen, wie es zuvor nie zuvor einer sozialistischen Partei gelungen ist. So ist die Würdigung der Luftbrücke untrennbar mit der Erinnerung an eine Zeit verbunden, in der die SDP die Grundlagen für ihre größten politischen Erfolge legte und Deutschland den Grundriss seiner lebendigen Stabilität erhielt.



Montag, 28. April 2008

How the Airlift Changed the World





English version: http://docs.google.com/Doc?id=dg2mw4pw_26gdr42mg3

PDF in English (page 10) http://www.atlantic-times.com/airlift-special/Airlift_Special_A4.pdf



Unter dieser Überschrift veröffentlicht The Atlantic Times Nr. 5-2008 meinen Beitrag (Nummer 2) zur 60. Wiederkehr der Berliner Luftbrücke 1948-2008. Hier ist die deutsche Fassung:



Wie die Luftbrücke die Welt verändert hat



Die Meisterleitung von US- und Royal Air Force und die Entschlossenheit der Berliner Bevölkerung genießen weltweit Respekt. Aber die Luftbrücke war viel mehr als die Versorgung von Hungerleidern | Von Rainer Bieling



[Vorspann]

Wenn wir uns Zeitpunkt und Umfeld dieses Glanzstücks angloamerikanischer Nachkriegspolitik in Deutschland näher anschauen, erkennen wir eine epochale Wendemarke für Europa im 20. Jahrhundert.



[Text]

Blicken wir, aus der Sicht von 1948, gut 30 Jahre zurück. Februar 1917: Mit einer großen Volksrevolution bringen die Russen das Zarenreich zu Fall und errichten mitten im Krieg eine demokratische Republik. Oktober 1917: Ein kommunistischer Staatsstreich unter der Führung von Lenin und Trotzki beseitigt nur neun Monate später die Demokratie in Russland und führt zur Errichtung der "Diktatur des Proletariats". Überall in der Welt gründen sich jetzt kommunistische Parteien, bilden eine revolutionäre Internationale (Komintern) und versuchen in ihren Ländern, "Kapitalismus" (Marktwirtschaft) und "bürgerliche" Demokratie zu beseitigen.

In Europa führt das zu einer Polarisierung von totalitären Kräften auf der Linken und der Rechten, zwischen denen die demokratischen Parteien des Bürgertums und der Arbeiterschaft zerrieben werden. Bald ist fast der gesamte Kontinent in der Hand von Rechtsradikalen, die ihrerseits die Demokratie beseitigen und Alleinherrschaften errichten. Am aggressivsten sind italienische Faschisten und deutsche Nationalsozialisten, die bald eine Achse mit Japan bilden und die Welt in ihren zerstörerischsten Krieg ziehen, den Zweiten Weltkrieg.

Die (neben den neutralen Ländern Schweiz und Schweden) einzige übrig gebliebene Demokratie in Europa, Großbritannien, wehrt sich verbissen und kann sich im Bündnis mit den Vereinigten Staaten behaupten. Gemeinsam mit der inzwischen ebenfalls vom Dritten Reich angegriffenen Sowjetunion unterwerfen die Alliierten am Ende Deutschland, wenig später Japan. Doch es kehrt kein Frieden ein.

Überall in Mitteleuropa, wo die Rote Armee die deutsche Wehrmacht als Besatzungsmacht ablöst, errichten die Komintern-Parteien Diktaturen nach russischem Vorbild. 1946 beschreibt Winston Churchill in einer berühmt gewordenen Rede die Lage so:

„Es scheint, dass von Stettin an der Ostsee bis Triest am Mittelmeer ein eiserner Vorhang herunter über den Kontinent kam. Hinter dieser Linie liegen alle Hauptstädte der alten Staaten von Zentral- und Osteuropa. Warschau, Berlin, Prag, Wien, Budapest, Belgrad, Bukarest und Sofia: Alle diese berühmten Städte, und auch die Bevölkerung in diesen Städten liegen in einer Sphäre, die ich Sowjetische Sphäre nennen muss.“

Aber der Eiserne Vorhang hat ein Loch: die Westsektoren von Berlin. Die Sowjetunion will dieses Loch mit aller Macht stopfen. Der Kalte Krieg, der nun folgt, ist der Kalte Krieg um West-Berlin. Im Juni 1948 droht er heiß zu werden.

Um auch in den Westsektoren der Stadt die Marktwirtschaft wieder herzustellen, kommt es zur gleichzeitigen Einführung der D-Mark in allen Besatzungsgebieten der Westalliierten – Fundament des späteren "Wirtschaftwunders". Stalin weiß sofort: eine demokratische und marktwirtschaftliche Oase mitten in seiner diktatorischen und planwirtschaftlichen Wüste wäre wie ein schwarzes Loch, das den Kommunismus verschluckt und nie wieder hergibt (genau so wird es später kommen). Deshalb befiehlt er die Blockade der Landwege nach West-Berlin. Aber der Luftweg ist offen. Ihn nutzen die USA und Großbritannien. Sie versorgen die Stadt fast ein Jahr lang ausschließlich aus der Luft. Die Sowjetunion gibt auf. Sie wird West-Berlin niemals kriegen. Am 9. November 1989 fällt hier die Mauer. Der Eiserne Vorhang hebt sich, und siehe da: Diktatur und Planwirtschaft verschwinden, Europa wird wieder eins, und fast überall entscheiden sich die Menschen für Demokratie und Marktwirtschaft, in Freiheit und Frieden.



Samstag, 12. April 2008

"68" macht nach 40 Jahren hypernervös




Das hat mich überrascht: "68" ist kein toter Hund mehr, sondern ein totaler Aufreger und macht Leute hypernervös, sobald sie darüber reden, was das eigentlich war. So geschehen am 10. April 2008 bei einer Buchvorstellung im Berliner Amerikahaus, das jetzt am Motel One klebt wie dessen geschrumpfte Großmutter, von Alleinstellung keine Rede mehr. Das Buch heißt "Berlin 1968. Die andere Perspektive" von Michael Müller, kurz MM.
Anwesend MM, Morgenpost-Redakteur in den Jahren 1967 und 1968 und immer am Ball bei jedem Krawall, Klaus Schütz, Regierender Bürgermeister während der Osterunruhen 1968 nach dem Attentat auf Rudi Dutschke, und etliche Damen und Herren Mitte 50 bis Ende 60. Kaum war die Diskussion eröffnet, wogten Widerworte zwischen Springer-Mann und Publikum hin und her, als sei das letzte Gefecht nicht 40 Jahre her sondern bloß 4 Stunden. Agressiv im Ton und inhaltlich voller Beschuldigungen, Unterstellungen, Verleumdungen; sie gifteten sich an wie einst im Mai.
Das finde ich verblüffend. Vor 20 Jahren,
1988, war "68" ein toter Hund. Ich muss es wissen; denn in dem Jahr erschien mein Buch "Die Tränen der Revolution. Die 68er zwanzig Jahre danach" bei Wolf Jobst Siedler (Abbildung), und kein Hahn hat danach gekräht. Die Mitbewerber am Buchmarkt konnte ich mit fünf Fingern zählen, der kleine Enzensberger hat sie alle in einer Sammelbesprechung untergekriegt, zwei, drei Interviews für Rundfunk und Fernsehen, ein Gespräch in meiner alten Zitty (danke Erika), und das wars dann schon.
Und heute? Riesenerregung, Gefühlsaufwallung. Bücher ohne Ende, Rezensionen und Blogs voller Gemeinheiten, Schadenfreude, Sticheleien, Anklagen und gaaanz viel Blödsinn. Woher das kommt? Darüber muss ich nachdenken. Eigentlich glaubte ich, vor 20 Jahren alles Nötige zu "68" gesagt zu haben. Oder doch nicht? Wer will, mag nachschauen: gut 1 % der Auflage (31 Exemplare) ist via Amazon (13 Exemplare), ZVAB (5 Exemplare) usw. nach wie vor im Handel, antiquarisch.
Ein Leser (danke Pit) macht darauf aufmerksam, dass er es in der AGB (Amerika-Gedenkbibliothek) zur Ausleihe fand. Tatsächlich ist es auch in Spandau (Hauptbibliothek) und Charlottenburg (Bezirkszentralbibliothek) sowie online im VÖBB (Verbund Öffentlicher Bibliotheken Berlins) ausleihbar.