Samstag, 18. April 2009

Die taz ist 30. Na und?


Trau keinem über Dreißig war so ein Spruch von 68 und Wer zweimal mit derselben pennt, gehört schon zum Establishment ein anderer. Schön gereimt, aber ziemlich bescheuert. Die taz ist kein Kind von 68; die tageszeitung, wie sie voll ausgeschrieben vielsagend nichtssagend heißt, ist ein Kind von 77.

1977 war das Jahr, in dem die Neue Linke in ihrer radikalsten Form, der Roten Armee Fraktion, ihren totalen Krieg gegen soziale Marktwirtschaft, freiheitlichen Rechtsstaat und parlamentarische Demokratie grandios verlor. Deutscher Herbst statt Endsieg, was für ein Farce! Dem intellektuellen Katzenjammer über das Scheitern eines weiteren totalitären Weltbeglückungsexperiments auf deutschem Boden folgte zwei Jahre später die Gründung der taz. Die Pragmatiker der zweiten Generation der Neuen Linken hatten zu Rotstift und Joint gegriffen und die Kritik der Waffen durch die Waffe der Kritik ersetzt, um ein Bonmot unseres gemeinsamen Urahns K.M. zu bemühen.

Die Ambivalenz des Anfangs ist der taz noch heute, nach 30 Jahren, anzumerken (der Screenshot oben lässt sich durch Anklicken vergrößern und lesen). Seit gestern, heute und morgen feiert sie mit großem Programm ihren 30. Geburtstag. Dass sie zum Establishment gehört, daran ist nicht zu zweifeln (Belege finden Sie weiter unten). Und wie steht es mit dem "Trau keinem über 30"? Wer traut der taz mit 30? 82 043 045 Einwohner Deutschlands tun es nicht. Sie kaufen keine taz. 56 187 Einwohner Deutschlands trauen ihr auch mit 30. So viele kaufen die taz wochentäglich (Quelle: Quartal I 2009 laut Branchendienst Meedia). Das sind 0,0684 % der Bevölkerung (Deutschland hat 82 099 232 Einwohner, Stand 31. August 2008). Verkaufszahlen und Verkaufserlöse der taz lassen sich nicht in den Kategorien der politschen Ökonomie* denken, sondern nur in den Potenzen der politischen Homöopathie messen (es wird wohl auf D3 hinauslaufen). Dass Homöopathie selbst bei starker Verdünnung wirkt, wenn der Rezipient daran glaubt, zeigt die taz: In jungen Jahren wurde sie so oft zitiert wie kein anderes Medium - von anderen Medien.

Etliche Gründungsmütter und -väter der taz kenne ich besser als mir heute manchmal lieb ist: Vor ebenfalls 30 Jahren startete ich meine journalistische Laufbahn beim Stadtmagazin Zitty, und obwohl keine direkte Konkurrenz und obwohl zwei Jahrzehnte beim selben Drucker gedruckt, war zwischen Zitty und taz immer eine leichte Spannung. Ich will das nicht auf den Neid zurückführen, dass wir marktwirtschaftlich operierten, Anzeigen generierten und schon in den mageren Anfangsjahren unseren Leuten doppelt so viel zahlten.

Die taz war alternativ und wollte es sein. Zitty kam aus dem gleichen Milieu und wollte da raus. Genau genommen war es eine Öffnung, eine Bewegung vom linken Rand der Szene zur linken Mitte der Gesellschaft, die uns unterschied. Schon Mitte der 1980er Jahre hatten wir in West-Berlin (2.2 Millionen Einwohner) so viele Käufer wie die taz 2009 im ganzen Land (82.1 Millionen Einwohner). Es sind nicht so sehr zwei verschiedene Printmedien oder Geschäftsmodelle, es sind zwei verschiedene Haltungen, die uns seinerzeit unterschieden. Und heute?

Ambivalent wie am ersten Tag ist die taz ist auf rührende Weise altmodisch (antikapitalistisch) und zugleich erfreulich modern (antitotalitär). So eine Art sympathische Linke. Bei all den Unsympathen, die sich jetzt anmaßen, Die Linke zu sein, und deren sozialdemokratischen Wasserträgern (aus deren Umfeld seinerzeit als Störfeuer eine Anti-taz kam, "Die Neue") ist das ein Kompliment. Das teile ich mit einigen Gratulanten, deren Glückwünsche (in Form von halb- und ganzseitigen Anzeigen) ich hier für meine Leser in Fernost und Lateinamerika aus der heutigen Jubiläumsnummer der taz vorlesen möchte:

Axel Springer schreibt (mit schwarzen und bunten Lettern in 4c wie im Verlagslogo):
"Ist es nicht schön, ein Alter erreicht zu haben, in dem man Cocktails trinkt, anstatt sie zu werfen?"
Porsche schreibt (und zeigt den 911 Carrera 4S von hinten):
"Der aufregendste Platz war schon immer vorne links."
Die Frankfurter Allgemeine schreibt (links auf leerem Feld):
"Zur Feier des Tages gratulieren wir heute einmal linksbündig."
Meine Einordnung der taz im Establishment verstehen Sie jetzt. Auffallend die Gratulation der Axel Springer AG, die sich eben noch mit der taz gefetzt hat, indirekt, weil die taz sich erfrecht hatte, die Umbenennung der Kochstraße in Rudi-Dutschke-Straße zu befürworten. Nun liegt das Doppelhochaus von Springer genau an der Ecke Rudi-Dutschke- und Axel-Springer-Straße. Eine Art historischer Kompromiss auf Deutsch, und die taz, deren Verlagshaus schräg gegenüber liegt, verkörpert ihn als Blatt. Das ist nicht das Schlechteste, was sich über ein Geburtstagskind sagen lässt, das sich seine kleine, sehr kleine Nische ansehnlich hergerichtet hat. Jenseits der Nische liegt die fremde Welt des Marktes*, bevölkert von Aliens, von denen sich nur zweierlei sicher sagen lässt: Es sind viele, 82 043 045 genau, und sie kaufen keine taz.
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NACHTRAG: Soeben finde ich dazu passend auf der Blogsite des Mediensdienstes turi2 folgendes Getwitter: "Wenn wir Tarifgehälter zahlen würden, wären wir in anderthalb Monaten pleite." Sagt taz-Chefredakteurin Bascha Mika (gegenüber Spiegel online). Na ja, liebe Frau Mika, das haben wir vor 30 Jahren schon gewußt, und ich habe es auch einmal auf unserer berüchtigten "Seite 13" geschrieben - das kam nicht so gut an seinerzeit. Aber das ist abgeschlossene Vergangenheit: Ich war nur bis 1986 bei Zitty, da war die taz gerade 7, und unserer direkter Mitbewerber damals war der tip, keineswegs die taz.

NOCH EIN NACHTRAG Der Branchendienst newsroom.de berichtet am 11. Mai 2009 das Folgende:
Ihren Frieden haben "Bild"-Chefredakteur Kai Diekmann und "die tageszeitung" (taz) schon vor Jahren geschlossen - jetzt ist Diekmann als Miteigentümer beim linksalternativen Blatt eingestiegen. Diekmann bestätigte am Montag in Berlin, dass er als neues Mitglied der "taz"-Genossenschaft Anteile an der Zeitung übernommen habe. "Die "taz" ist mein zweitbestes Stück - nach "Bild" eben", sagte er und fügte hinzu: "Die "taz" ist eine tolle Zeitung, die leider das kleine ökonomische Problem hat, dass sie niemand wirklich braucht."
Was die taz dazu sagt, finden Sie hier.