Dieser Film ist schier unglaublich und in
dreierlei Hinsicht herausragend. Das beginnt mit dem, was man
hört.
Was man hört ist
der Sound der frühen Achtziger, weiche und harte New Wave, obwohl es nur zwei Originalstücke aus dieser Zeit sind, die Komponist
Max Richter neben seiner eigenen Filmmusik zulässt. Zuerst geht es mit
Enola Gay, dem Hit von OMD (
Orchestral Manoeuvres in the Dark) aus dem Jahr 1980,
in den Krieg. Das passt, denn
Enola Gay ist der Name des B-29-Bombers, der die Atombombe nach Hiroshima trägt. Und dann hat der Soldat Ari Folman 24 Stunden Heimaturlaub
von der Front, und es erklingt
This Is Not A Love Song von PIL (
Publik Image Ltd.) aus dem Jahre 1983. Das passt, denn es ist keine Love Story, an der wir teilhaben. Diese beiden musikalischen Eckpunkte verbindet der deutsche Komponist, der jetzt in England lebt, mit seinem
Soundtrack, der vom ersten Ton an klarmacht, das ist nicht Vietnam, das ist nicht Apocalypse Now, das ist nicht The End und es sind nicht The Doors und wir sind auch nicht in den 1960er Jahren - es ist der Libanon, es ist Bashir's Waltz, es ist kein Love Song und es gibt kein Happy End. Wir sind in den 1980er Jahren und die hören sich ganz anders an als die späten Sechziger. Sehr gut gemacht, Max Richter, der Ton stimmt. Ich muss es wissen; denn in den frühen 1980er Jahren habe ich die Musikredaktion von
Zitty geleitet, und da haben wir genau diese Art von Musik geliebt und gefeatured. Wie klingt diese Art 2008?
Hören Sie selbst.
Was man sieht, wenn man hört, ist nicht die heile Welt, von der West-Berlin im Jahr 1982 ein Teil war. Es ist
die kaputte Welt von
Beirut im Jahr 1982, und sie geht
vor unseren Augen entzwei. Und das ist so schrecklich: die positiv besetzte Musik und die negative Kraft der Zerstörung. Was der israelische Filmemacher
Ari Folman da
ins Bild setzt, habe ich so noch nie gesehen. Er macht aus dem verheerenden Einmarsch Ariel Scharons in den Libanon einen
Zeichentrickfilm. Wer nun abwinkt und sagt, das kennen wir doch von
Marjane Satrapis Comicfilm
Persepolis, sollte weiterlesen. Ja, da gibt es Parallelen in der autobiografischen Geschichtsbetrachtung mit den Mitteln des Animationsfilms. Nein, Folmans
Waltz With Bashir ist keine bittersüße Tragigkomödie, sondern ein
abgrundtiefes Schreckensgemälde. Es ist nicht nur der Horror von Krieg und Massaker, der schockiert. Der Zuschauer sieht auch in menschliche Abgründe, die noch viel größeren Schrecken erzeugen: Kommt einem das nicht alles sehr bekannt vor? Das
Stilmittel des Gezeichneten erzeugt eine Wirklichkeit, die erschüttert, weil sie realer scheint als die Realität selbst. Was wir hier vor uns haben, ist
virtual history von Feinsten.
Sehen Sie selbst.
Was man fühlt ist schieres Entsetzen erst und große Ruhe anschließend. Ja, es ist
ein Schock,
was da auf der Leinwand geschieht. Es ist ein Schock,
wie es erzählt wird. Und es ist ein Schock zu begreifen,
warum ein
Massaker wie das von Sabra und Schatila letzten Endes
zum Vergessen verdammt ist. Wenn da nicht einer wie Ari Folmann kommt, der damals 19 und dabei war -
als Zuschauer, nicht als Täter. Ein Zuschauer, der aber alle Bilder und das Ereignis selbst vergessen hat. Wäre da nicht sein Freund Boaz, der seit zwei Jahren unerklärlicherweise von 26 wilden Hunden träumt, die sein Haus bestürmen. Nacht für Nacht seitdem. Bis er es nicht mehr aushält und seinen Freund damit behelligt. Und so macht sich Ari auf eine
Reise in seine eigene Vergangenheit, bei der er am Ende in seiner verschütteten Erinnerung ankommt. Er sieht die
Bilder des Todes und wird ganz ruhig und der Zuschauer mit ihm. Wie beunruhigend. Der Film läuft noch gelegentlich in Berlin.
Gehen sie selbst. Und beachten sie auch meinen
Eintrag vom 12. Januar 2009:
Bashir schlägt Baader.
NACHTRAG Der Film erscheint am 15. Mai 2009 in Deutschland
auf DVD.