Samstag, 14. August 2010

13. August und die Geschichten jener Nacht


KulturRaum Zwingli-Kirche heißt das Projekt einer Gruppe engagierter Berliner Bürger (und Bürgerinnen, ist doch klar) zur intelligenten, quartiernahen Nutzung der leerstehenden evangelischen Zwinglikirche am Rudolfplatz in der Friedrichshainer Oberbaum-City. KulturRaum Zwingli-Kirche meint im Wortsinn: das Kirchengebäude als Raum für Kultur nutzen. Kultur wiederum meint vor allem Ausstellungen, Lesungen, Filmvorführungen.

Sommer im Quartier heißt kurz und bündig das aktuelle Kulturraumprogamm. Rechts im Bild das dazugehörige Plakat, das es in einer anderen Version als Faltblatt zum Aufklappen gibt, sehr praktisch gedacht und gemacht; denn auf der Rückseite steht das vollständige Programm, das es natürlich auch hier im Internet gibt, wo es sich auch als PDF herunterladen lässt.

Geschichten jener Nacht hieß der DEFA-Spielfilm, der gestern, am 13. August 2010, im KulturRaum zu sehen war. Jene Nacht war die vom 12. auf den 13. August 1961. Der Episodenfilm von 1967 erzählt erzählt vier Geschichten jener Nacht (jeder Link ist wie üblich klickbar und führt zu weiteren Informationen) und jede der vier Geschichten wird von einem anderen Autor und Regisseur mit anderen Schauspielern ins Bild gesetzt:

Episode 1: Phoenix von Karlheinz Carpentier (Buch und Regie)
Episode 2: Die Prüfung von Ulrich Thein (Buch mit Erik Neutsch [Spur der Steine] und Regie)
Episode 3: Materna von Frank Vogel (Buch mit Werner Bräunig [Rummelplatz] und Regie)
Episode 4: Der große und der kleine Willi von Gerhard Klein (Regie, Buch Helmut Baierl)

Es ist die erste Garde der Kulturschaffenden, die schreibt, dreht und spielt. Warum sie das fünf Jahre nach dem Mauerbau tut (die DEFA-Geschichten jener Nacht kamen im Jahr darauf am 8. Juni 1967 in die DDR-Kinos), ist mir ein Rätsel; denn es hatte gleich 1962 zwei fabelhafte Propagandafilme für den realen Sozialismus gegeben, über die ich mich anlässlich ihrer Wiederaufführung vor einem Jahr ausgelassen habe (siehe meinen Eintrag vom 29. August 2009: "Der Kinnhaken oder Wie Manfred Krug 1962 den Mauerbau mit viel Selbstironie rechtfertigt").

Es sind Propagandafilme vom feinsten, die die DEFA seinerzeit produziert hat: sehr intelligent, sehr smart, sehr schmissig, und dazu war sie in der Lage, weil ein Teil der deutschen Kultur- und Unterhaltungselite in den realen Sozialismus Walter Ulbrichts vernarrt war und sich der der Sozialistischen Einheitspartei hingab, einer totalitären Formation, die nach etlichen Umfirmierungen heute als Die Linke in einer virtuellen DDR das Sagen hat, die keineswegs vor dem Westen Deutschlands halt macht und nach wie vor etliche antikapitalistische Kulturschaffende in ihren Reihen weiß, die sich ohne zu zögern für präsidiabel halten. Die Geschichten jener Nacht erinnern daran, dass der Geist, der solches speist unter uns weilt wie das Gespenst, als es in Europa umging. Aus den Mauerbauapologeten von einst sind die Mauerversteher von heute geworden, aus dem Kleinen Willi der große Tatort-Komissar.

Dem KulturRaum-Team Dank für einen anregenden Abend und gute Wünsche für den weiteren Sommer im Quartier. Ach, mein Hinweis auf diese Veranstaltungsreihe auf Facebook (Link geht nur für Facebook-Mitglieder) hat gleich zu einer kleinen Debatte über das neuberlinerische Quartier geführt. Stimmt, wir Altberliner nennen es Kiez. (Dass dieser Begriff auch so seine Geschichte hat, lässt sich bei Wikipedia gut nachlesen.)

 

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