Donnerstag, 9. Dezember 2010

WikiLeaks hat auch etwas Beruhigendes

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Alle großen journalistischen Enthüllungen von Watergate bis WikiLeaks beruhen ursächlich in der Regel nicht auf journalistischer Recherche, sondern darauf, dass ein Informant einem Journalisten etwas zuträgt. Der Informant handelt seinem Arbeitgeber gegenüber illoyal und in der Regel dem Gesetz nach illegal. Der ewige Streit geht darum, ob Medien derartige durch einen illegalen Akt, den sie selber nicht begangen haben, beschaffte Informationen veröffentlichen dürfen – und ob sie das tun sollen.

Wegen des Dürfens sind häufig die Gerichte bemüht worden, die meist die Pressefreiheit und das Allgemeininteresse höher stellen als das verletzte Rechtsgut der informationellen Selbstbestimmung des Klägers. Das mit dem Sollen ist stets heikel, weil X-Beliebige, denen Material zugespielt worden ist, nun Gott spielen können. Deshalb war es gut, dass WikiLeaks die Materialien u.a. an Spiegel, Guardian und New York Times zur Vorauswahl weitergegeben und somit einen Filter zwischengeschaltet hat, der die Selbstherrlichkeit auf eine etwas breitere Grundlage stellt: Nun wird nach Gutsherrenart entschieden, das immerhin ist menschlich. Es liegt auf der Hand, dass der Gutsherr Gefahr läuft, nicht über seinen Horizont hinauszublicken und einem Nachbarn Schaden zuzufügen.

Die Vorauswahl der genannten Printmedien hinterlässt einen zwiespältigen Eindruck. Immerhin ist es beruhigend zu lesen, dass die Nato Russland völlig zu recht doch noch für eine Gefahr hält und neben den Polen auch die Balten vor den Russen schützen will. Beruhigend auch zu wissen, dass die Araber, obwohl selber Potentaten, den Iran für eine tödliche Gefahr und das aktuelle Appeasement vor allem der EU für so unklug halten wie das historische Appeasement von München (1938), das die Nationalsozialisten überhaupt erst endsiegreif gestimmt hatte. Insgesamt zeigt sich, dass verantwortlichen Akteuren in aller Welt der gesunde politische Menschenverstand nicht so gänzlich abhanden gekommen ist, wie deren offizielle Verlautbarungen mitunter befürchten ließen und lassen.

Dieser beruhigende Gesichtspunkt
stellt das Beunruhigende, das der Vorgang eben auch hat, in den Schatten und lässt einen die WikiLeaks-Veröffentlichung begrüßen. Nicht hinzunehmen indes ist die Haltung der amerikanischen Regierung, nun selbst nach Gutsherrenart amerikanische Unternehmen wie Amazon, PayPal und MasterCard zum Boykott von WikiLeaks zu bewegen. Der heutige Leitartikel der Financial Times Deutschland, der für den Gegenangriff von WikiLeaks-Sympathisanten auf MasterCard Verständnis äußert, kommentiert das Geschehen ganz in meinem Sinne.


Nachtrag: Die Tageszeitung Die Welt hat am 20. Januar 2011 Wikileaks-Enthüllungen zu dem Sympathieverhältnis von Türkei und Hamas und der darob gemeinsamen Sorge von Israelischer Regierung und Palästinensischer Autonomiebehörde veröffentlicht. Und weil es gut zu wissen sei, welche ungute Entwicklung im Hintergrund stattfinde, verkündet die Redaktion am Schluss des Beitrags: Welt Online bricht das Wikileaks-Kartell. Hier finden Sie alle Artikel zum Thema. Dort ist die Topmeldung am 23. Januar 2011 ein Ergebnis weiterer Wikileaks-Auswertungen: Irans Atomraketen sind made in China. Nur zur Erinnerung: Die Macheten für den schnellsten Völkermord aller Zeiten, den der 100 Tage von Ruanda, dem 1994 wahrscheinlich 800.000 Menschen zum Opfer fielen, waren ebenfalls made in China.
   

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