Samstag, 14. Mai 2011

Johannes Kandel und die Islamisierung der Muslime

Johannes Kandel im Friedenauer Salon-Gespräch am 12. Mai

Wie mit dem Islam umzugehen sei, in Deutschland und überhaupt in der Welt, ist eine Frage, die die intellektuellen Eliten entzweit, weltweit und eben auch in Deutschland. Das ist nicht gut, weil das Enteignen im Namen des Islams eher zu- als abnimmt – das Enteignen von Leib und Leben in den muslimischen Ländern, das Enteignen von Persönlichkeitsrechten und Freiheiten in den muslimischen Gegengesellschaften der Länder der freien Welt. Ungebremst beschleunigt sich eine Islamisierung der Muslime, die nach dem 11. September 2001 in Fahrt gekommen war. Unter jenen, die dabei zusehen, können die einen nichts Schlechtes darin erkennen, für die anderen verheißt das alles nichts Gutes.

Johannes Kandel ist einer, der Ungemach auf die Zuschauer zukommen sieht. Deshalb hat er ein Buch geschrieben, Islamismus in Deutschland, und es am Donnerstag in Berlin vorgestellt. In kleiner, aber feiner Runde, semi-privat oder halb-öffentlich, je nach Blickwinkel; genau der richtige Rahmen also, um als Public Private Person davon zu berichten. Dieses Friedenauer Salon-Gespräch im gleichnamigen Berliner Stadtteil Friedenau fand unter Gleichgestimmten statt. Das war gut; denn so musste keine Zeit vertan werden, sich mit Nur-keine-Panik-Vorträgen zu beschäftigen. Es war auch gut, weil sich schnell herausstellte, wie groß der Selbstverständigungsbedarf unter Gleichgestimmten nach wie vor ist.

Ob Islam und Islamismus einerlei oder zweierlei seien, war gleich die erste Frage, die sich an die Buchvorstellung anschloss. Dr. Johannes Kandel ist Dozent und Akademieleiter bei der sozialdemokratischen Friedrich-Ebert-Stiftung und seit 1999 Referatsleiter der Berliner Akademiegespräche / Interkultureller Dialog in der Politischen Akademie der Friedrich-Ebert-Stiftung Berlin. In seinem Buch mit dem passenden Untertitel Zwischen Panikmache und Naivität nennt er gute Gründe, mit dem Begriff des Islamismus die zahlreichen extremistischen Gruppierungen deutscher Muslime zu kennzeichnen. Das geht, auch wenn ich selbst den Begriff nicht verwende und das an anderer Stelle schon deutlich gemacht habe (siehe meinen Blogeintrag zu Bassam Tibi vom 22. April 2011, hier weiter unten). Von meinem Sitznachbarn, einem Grünen-Politiker, kam in Anknüpfung an eine Formel von Ernst Bloch ein Kompromissvorschlag: Im Islamismus gelangt der Islam zur Kenntlichkeit. Damit kann ich leben.

Keine Panik: ein ruhiges, sachliches Buch.
Einen Konsens in der Bewertung des Islams herzustellen, ist überhaupt die große Schwierigkeit und die echte Herausforderung, vor der alle Zuschauer stehen, denen die zunehmende Islamisierung der Muslime nicht gefällt. Das ist das mein Fazit dieses überaus anregenden Abends mit Salon-Gästen, von denen sich etliche schon zuvor öffentlich zum Islam geäußert hatten und die nun ihr Erfahrungswissen und ihre profunde Sachkenntnis in erhellender Weise ins Gespräch einbringen konnten.

Die Schwierigkeit liegt in der Synchronisierung der unterschiedlichen Ansätze; ein Beispiel, wie das ginge, habe ich eben versucht zu geben.

Die Herausforderung ist diese: Auf der Zuschauerseite sind es Individuen mit großem Selbstbezug, auf der Muslimseite sind es Kollektive mit großem Sendungsbewusstsein. Geschichtlich haben die Kollektive die Individuen stets besiegt, die Niederlage von Meinesgleichen 1933 ist für mich bis heute paradigmatisch. Diese echte Herausforderung anzunehmen, könnte der erste Konsens unter den Individuen sein, sie auch zu bestehen.
  

3 Kommentare:

  1. So weit ich mich erinnere, lieber Herr Bieling, hat Ihr Sitznachbar, Ex-Mitlgied der KPD/AO und inzwischen in Ehren ergrauter Grünen-Politiker, mit Bloch die Frage gestellt, ob im Stalinismus der Sozialismus zur Kenntlichkeit oder zur Unkenntlichkeit entstellt werde und sie auf den Islamismus im Verhältnis zum Islam übertragen, ohne die Frage zu beantworten. Sagen wir es so: McCarthy und Co. haben Blochs Frage dahingehend beantwortet, der Stalinismus bringe den Marxismus auf den Begriff; die heutigen McCarthyisten behaupten das Gleiche in Bezug auf den Islamismus und den Islam. Tatsächlich scheint mir die Frage aber unsinnig. Entstellt der Nationalsozialismus die Aufklärung zur Kenntlichkeit? Es gab und gibt ja Denker, von Adorno bis Ratzinger, die das behaupten, aber auch der Kommunismus und die liberale Demokratie sind Kinder der Aufklärung. Der Sozialismus, auch in seiner Marxistischen Variante, führt einerseits zu Stalin, andererseits zu Willy Brandt. Davon hätte Herbert Wehner viel erzählen können. Die Bloch'sche Frage hilft also analytisch nicht weiter.
    Ihre Schlussbehauptung, "geschichtlich haben die Kollektive die Individuen immer besiegt", ist - mit Verlaub - Blödsinn. Geschichtliche haben individualistische Gesellschaften wie die USA und Großbritannien kollektivistische Gegner wie Deutschland und Russland immer besiegt. 1933 ist eben nicht "paradigmatisch". Es handelt sich um die Selbstabschaffung Deutschlands durch Verrat der Elite. Die zweifellos existierende Gefahr des Islamismus, mit dem nach Kandel gerade einmal fünf Prozent der Muslime hierzulande sympathisieren, mit der Gefahr des Nationalsozialismus zu vergleichen (ich weiß, man kann alles vergleichen; Sie wissen, was ich meine), der von 40 Prozent der Deutschen gewählt und von den wirtschaftlichen, politischen und geistigen Eliten unterstützt wurde, ist - ich weiß kein besseres Wort dafür - Panikmache.
    Mit freundlichen Grüßen: Alan Posener

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  2. Blödsinn, lieber Herr Posener, ist es nicht einmal nach Ihrem Blickpunktwechsel von der Innensicht (mein Thema) zur Außensicht (Ihr Thema): "immer besiegt" hat die angelsächsische Staatengemeinschaft die Achsenmächte 1945, dieses eine Mal; schon Russland war 1917ff. nicht zu besiegen, und der Sieg über die Sowjetunion im Kalten Krieg ist bisher ebenfalls ein Sonderfall geblieben. Aber hier reden wir – auf Ihrem Terrain – vom Verhältnis von Staaten zueinander, nicht von dem von Eliten untereinander innerhalb einer Gesellschaft – mein Thema.

    Und um Panikmache geht es schon gar nicht: Die Gefahr irgendeines Neo-Nationalsozialismus sehe ich weit und breit nicht, und Vergleiche dererlei Art ziehe ich grundsätzlich nicht in Erwägung. Seien Sie beruhigt: keine Panik auf der Titanic!

    Freundlichst Ihr
    Rainer Bieling

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  3. Islamismus in Deutschland -
    ein neues Buch von Islamforscher Johannes Kandel
    Sendezeit: 18.05.2011 09:36
    Autor: Klatt, Thomas
    Programm: Deutschlandfunk
    Sendung: Tag für Tag
    Hier zum Anhören:
    http://ondemand-mp3.dradio.de/file/dradio/2011/05/18/dlf_20110518_0936_fed3f550.mp3

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