Sonntag, 12. Juni 2011

In memoriam Manne

Nach der Trauerfeier: Wolfgangs Abschiedslied für Manne
  
Einen meiner früheren Zitty-Kollegen haben wir gestern zu Grabe getragen: Manfred Lattemann, der in den 1980er Jahren den Vertrieb des Stadtmagazins besorgte. Das war die Zeit, in der wir Zitty groß gemacht hatten. Mitte der Achtziger lagen wir bei über 50.000 verkauften Exemplaren. Der Erfolg hat viele Väter, Manne, wie er bei uns kurz und bündig hieß, war einer von ihnen. Deshalb hatte ich ein Veteranentreffen erwartet, und tatsächlich waren weit über zweihundert Trauergäste gekommen. So eine riesen Beerdigung habe ich noch nie erlebt, ein Staatsbegräbnis ist nichts dagegen. Nur, wo kamen all die Leute her? Denn meine und ja eben auch seine Zitty-Kollegen musste ich wie die Nadeln im Heuhaufen suchen.

Es fällt mir auf, dass fünf Mitarbeiter aus der Grafik da waren, zwei aus der Anzeigenabteilung und nur einer aus der Redaktion, ich nämlich. Außerdem ein freier Mitarbeiter sowie der damalige Geschäftsführer, den die Geschäfte gleich nach der Andacht woanders hin führten. Dieses fast vollständige Fernbleiben der Inhalte-Erzeuger finde ich, sagen wir es neutral, unbefriedigend. (Einer, der jetzt in München lebt, hatte mich gebeten, in seinem Namen eine Handvoll Sand ins Grab zu werfen.) Ich frage mich, ob es sich bei dieser Absenz um einen Ausdruck von Selbstüberhebung handelt: als seien es allein die Schreiberlinge, denen ein Medienerfolg zu verdanken sei. Nach allem, was ich in meinen 32 Berufsjahren beobachtet habe, nutzt alle Schreibkunst nichts, wenn deren Ergebnis nicht – optisch ansprechend verpackt, das gehört auch dazu – mit großer Anstrengung verkauft wird.

Die Verachtung des Marktes, die allzu oft das Kennzeichen großer und kleiner Meisterdenker und Kulturkritiker ist, drückt sich in der Abneigung gegen das Geldmachen im Allgemeinen und in der Geringschätzung jener, die dafür zuständig sind, im Besonderen aus. Das Geldverdienen besorgen bei einer Zeitschrift die Anzeigenleute und der Vertriebsmann, bei uns eben der Vertriebs-Manne. Und der hat seine Jungs im Handverkauf in jede Szenekneipe gehetzt, der hat dafür gesorgt, dass an jedem zweiten Mittwoch die Zitty am Kiosk ganz vorne lag. Ohne ihn wäre ich in diesen frühen 1980er Jahren nicht bekannt gewesen wie ein bunter Hund. Ohne ihn wären die Redakteure nicht bei jedem Event vom Veranstalter mit Kusshand begrüßt worden als seien sie – um einen heutigen Vergleich zu wählen – Herr Wowereit persönlich. All das, was Manne für Zitty bewirkt hat, kam aber zu meiner großen Befriedigung auf der Trauerfeier zur Sprache, und zwar von einer Seite, von der ich es gar nicht erwartet hatte: Hartmut Lierow, der als Rechtsanwalt nicht nur Zitty, sondern auch Manfred all die Jahre juristisch vertreten hat, sprach so zutreffende Worte, dass ich seine Rede hier zum Nachlesen zugänglich mache.

Ja, es gibt ein Leben nach dem Tod. Zur Bekräftigung dieser lebensbejahenden Haltung gaben Wofgang Rügner, Zittys einstiger Grafikchef, und seine Freunde nach der Trauerfeier vor der Carabao Bar ein Abschiedskonzert für Manne. Das hat den Lebenden gut getan und Mut gemacht und Trost gespendet – und die Erinnerung an den Toten fest und mit freundlicher Note in unser aller Gedächtnis verankert. Danke, Wolfgang. Die Aufnahme oben ist nach der Beerdigung beim Zusammensein in der Carabao Bar in der Hornstraße entstanden. Gegenüber wohnte Manfred Lattemann zu seinen Lebzeiten. Hier gibt es mehr Fotos vom Abschiedskonzert, und hier sogar ein kleine musikalische Kostprobe des Abschiedslieds. Gut gefallen hat mir auch der Trauermarsch nach der Beerdigung – wenn ich mir einen Wunsch erlauben dürfte: So etwas Tröstliches hätte ich bei der Gelegenheit auch gern.
  

2 Kommentare:

  1. Ein schöner Text. Als noch nicht ganz so lebensreicher Mensch wusste ich gar nicht, dass die Zitty einst ein so engagiertes Blättchen war. Wie gefällt Ihnen, sie so zu sehen, wie sie jetzt ist? Lesen Sie sie noch?
    Schreiben Sie ruhig über diese Zeit! Haben Sie damals Jörg Fauser kennengelernt? Mehr 80er-Jahre-Texte! Für mich ist das schon Geschichte, so sehr "damals" wie Mondlandnung oder Revolution (die von 1918).
    Michael

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  2. Ja, ich habe Jörg Fauser kennengelernt, aber erst nach seiner (und meiner) Berliner Zeit: in München, im Herbst 1986 oder im Frühjahr 1987, nicht lange, bevor er auf die Autobahn lief und ums Leben kam. Aber das ist wirklich alles sehr "damals". Und da ich Zitty heute nur noch gelegentlich lese und nutze (und noch seltener für sie schreibe), kann ich kein gerechtes Urteil abgeben. Aber ich gehe davon aus, dass das heutige Team einen guten Job macht.

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