Sonntag, 23. Oktober 2011

Progressive Muslime, regressiver Islam – eine Tagung in Berlin


Der Tagungsort: Progressive Muslims zu Gast bei der FES.
Die Stiftungen der politischen Parteien sind Einrichtungen für vorausschauendes Denken und deshalb in der Lage, den Teilnehmern ihrer Tagungen Erkenntnisse zu verschaffen, die sie im Gespräch mit Meinungsführern und Entscheidungsträgern der stiftungstragenden Partei nicht gewinnen würden. Würden die Stiftungen nur reproduzieren, womit sich ihre Mutterparteien produzieren, bräuchten wir sie nicht. Wie gut unser aller Steuergeld für die Tätigkeit der Parteistiftungen angelegt ist, hat dieser Tage die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) unter Beweis gestellt. Hier haben Sozialdemokraten das Sagen – und sie stellen sich Fragen, auf die ihre Partei zum Teil schon Antworten gibt, die verdächtig danach klingen, als kämen sie aus dem Bauch und nicht aus dem Kopf.

"Politischer Islam" – "Islamismus" Extremistische Islam-Varianten in der Diskussion hieß das Thema des Symposiums des Berlin Forum for Progressive Muslims, das nun schon zum siebten Mal tagte. Das Forum der Friedrich-Ebert-Stiftung ist ein gut durchdachtes Format: Politisch engagierte Intellektuelle aus Nordafrika und dem Nahen Osten, die sich in ihren Heimatländern oder im Exil gegen die Islamisierung ihrer Herkunftsländer zur Wehr setzen, tauschen ihre Beobachtungen und Schlussfolgerungen mit politisch engagierten Intellektuellen aus Europa aus, die mit der Islamisierung ihrer eingewanderten Muslime konfrontiert sind. Dass es das Forum seit sieben Jahren gibt, zeigt seine Veranlassung aus dem 9/11-Trauma (siehe meinen Blogeintrag vom 11. September 2011). Muslime in Deutschland gibt es seit fünfzig Jahren, aber erst seit zehn Jahren gibt es in der öffentlichen Wahrnehmung die Probleme, die das Tagungsmotto etikettiert.

Das Impulsreferat: Christine Schirrmacher am Stehpult.
Die totalitäre Disposition des Islams und deren Offenbarung in politischer Aktion und Indoktrination waren am ersten Tag im Plenum (21. Oktober) Thema und These des Impulsvortrags von Christine Schirrmacher. Die Islamwissenschaftlerin sprach klar und deutlich das Hemmnis einer Transformation des Islams aus: die Scharia, die keinerlei Begründungen für Demokratie, Freiheits- und Gleichheitsrechte liefere. Wie an einer "gläsernen Decke" pralle an ihr jeder Versuch ab, die totalitäre Herrschaftsideologie des politischen Islams zu überwinden. In den arabischsprachigen Ländern, in denen Jugendrevolten einen Transformationsprozess angestoßen haben, sei diese Problematik noch nicht einmal in der Diskussion der Akteure – ebensowenig in Deutschland, wo Verbände jenes Islams, den sie in Nordafrika und Nahost nicht loswerden, Anerkennung als Religionsgemeinschaft erheischen.

Das zweite Impulsreferat: Claudia Dantschke.
Die totalitäre Indoktrination des Islams in Aktion vor Ort in Deutschland beschrieb am zweiten Tag im Plenum (22. Oktober) der Impulsvortag von Claudia Dantschke am Beispiel des Berliner Bezirks Neukölln. Die Islamismusforscherin lieferte die Empirie zur Theorie des Vortags: In diesem Stadtbezirk, deutschlandweit durch seinen sozialdemokratischen Bürgermeister Buschkowsky bekannt,  ist jeder sechste Einwohner muslimisch. 45 Einrichtungen und Vereine kümmern sich um das, was die deutsche Mitwelt als dessen "Seelenheil" missversteht. Den sunnitisch-panislamischen Moscheevereinen – um nur eine der beleuchteten Akteursgruppen zu nennen – geht es ums Ganze, die Implementierung der islamischen Ideologie in allen Lebensfragen. Von Kindesbeinen an indoktriniert, wissen dann die Mitglieder der Studentengruppe sogar zwischen Professoren und Lehrinhalten zu unterscheiden, die halal oder haram sind: erlaubt oder verboten. So lässt sich an der Humboldtuni islamisch korrekt studieren.

Die Macher: George Khoury (links) und Johannes Kandel.
Die Sozialdemokraten der Friedrich-Ebert-Stiftung sind der natürliche Partner für politische Intellektuelle und Aktivisten, die sich der Islamisierung entweder ihrer Länder oder ihrer Umwelt zu erwehren haben. Mehrmals schon in ihrer langen Geschichte waren Sozialdemokraten im Zangengriff der Totalitären, 1933 gleich von zwei Seiten aus, das hat sie – und die Demokratie mit ihnen – umgebracht. Erst als der Nationalsozialismus am Boden lag, konnten sich die Sozialdemokraten des Realsozialismus erwehren, aber auch nur dort, wo keine Rote Armee sie daran hinderte. Demokratie ist ein fragiles Gut, niemand weiß das besser als die SPD. Deshalb spricht es für ein waches politisches Gespür der Friedrich-Ebert-Stiftung, dass ihr Sektionschef Interkultureller Dialog, Johannes Kandel (siehe meinen Blogeintrag vom 14. Mai 2011), und sein Progressive-Muslim-Partner George Khoury die Forums-Tage mit zwei so pointierten Referentinnen in Schwung brachten. Das Totalitäre ist nichts Gestriges, das wir überwunden hätten; es hat Farbe und Format gewechselt, es ist unter uns und ebenso macht es Gleichgestimmten in Nordafrika und Nahost das Leben schwer.

Der Dialog: Ägypter und Deutsche (von links) im Gespräch.
Die Revolutionen in Nordafrika standen an den beiden Konferenztagen im Zentrum der Aufmerksamkeit, klar, zudem fielen der Tod Gaddafis und der Konferenzauftakt am 20. Oktober auf denselben Tag. Ein Schwerpunkt galt dem Schwergewicht Ägypten, gleich mit zwei Institutsdirektoren vertreten (links im Bild – die Fotos lassen sich durch Anklicken vergrößern und näher betrachten), progressiver Muslim der eine, koptischer Christ der andere, beide darin einig, dass im neuen Ägypten die Minderheit nicht wie bisher unter der Mehrheit, sondern künftig unter dem Gesetz leben solle. Der Systemwechsel von der Gewaltherrschaft zum Rechtsstaat und zur Gewaltenteilung wird in Tunesien und Libyen nicht minder schwierig werden, war in der nächsten Gesprächsrunde zu lernen, sind in beiden Ländern doch von Anfang an islamische Oppositionskräfte an der Arabellion beteiligt. Deren Machtergreifung auf demokratischem Weg (one man, one vote – one time) sei in keinem der nordafrikanischen Länder ausgeschlossen.

Was einen Muslim progressiv macht, ist mir an den zwei Tagen des Berlin Forum for Progressive Muslims nicht recht deutlich geworden. Was den Islam regressiv macht, dazu fiel den politisch engagierten Intellektuellen aus Nordafrika, Nahost und Europa erstaunlich viel ein. Die Mischung von Beiträgen mit konkreter, empirischer Bestandsaufnahme und abstrahierender, theoretischer Schlussfolgerung schien auch für eine Gruppe von Grünen ein Gewinn gewesen zu sein, die an der Tagung teilnahm. Der Widerwille gegenüber der zunehmenden Unterwürfigkeit von Vertretern ihrer eigenen, der Grünen Partei, gegenüber der Anmaßung des politischen Islams hatte sie zur Teilnahme bewogen. Sie nannten das Beispiel der grünen Integrationsbeauftragen in Tübingen; es verschlägt einem die Spucke: Sie hat dort durchgesetzt, dass kein Wein mehr bei Empfängen ausgeschenkt wird, haram, und es gibt auch keine belegten Brötchen mehr mit Salami und Schinken, haram, haram. – Mit meinen neuen grünen Freundinnen und Freunden freue ich mich auf das achte Berlin Forum for Progressive Muslims der Friedrich-Ebert-Stiftung.

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