Mittwoch, 25. November 2009
Die Anwälte oder Was geschah mit Otto, Horst und Hans-Christian?
So voll habe ich das Kreuzberger Programmkino fsk noch nie erlebt. Beinahe ausverkauft war der große Saal gestern Abend, und das an einem Dienstag mitten in der Woche. Allerdings hat der Film Die Anwälte von Birgit Schulz einen Protagonisten, der in Kreuzberg ein Star ist: Hans-Christian Ströbele, der im September 2009 im Wahlkreis 84, zu dem Kreuzberg gehört, 73.721 Erststimmen erzielte und mit 46,8 Prozent ein Direktmandat für den Deutschen Bundestag gewann. Auch die beiden anderen Protagonisten sind hier keine Unbekannten: Otto Schily und Horst Mahler, zusammen mit Hans-Christian Ströbele sind sie "Die Anwälte".
Die Dokumentarfilmerin Birgit Schulz hat bereits für etliche Fernsehdokumentationen, hauptsächlich für WDR/arte, Preise eingeheimst. Ihrem ersten Kinofilm gab sie den Untertitel "Eine deutsche Geschichte", und ich bin sicher, dass es dafür weitere Preise geben wird. Das wäre mir recht; denn dieser Dokumentarfilm ist schon deshalb so sehenswert, weil die Autorin es schafft, sich selbst vollkommen zurückzunehmen, sich kein bisschen wichtig zu machen und statt dessen die Anwälte zu Wort kommen zu lassen. Sie sind es, die eine deutsche Geschichte erzählen - und zwar aus drei verschiedenen Blickwinkeln. Das genügt, um klar zu machen: Dieses Kapitel der deutschen Geschichte ist unabgeschlossen.
Was geschah mit Otto, Horst und Hans-Christian? Einst waren sie linke Anwälte und verteidigten 1967/68 und danach Aktivisten der APO, später der RAF. Und heute? Otto Schily ist Bundesinnenminister a.D. und Sozialdemokrat. Horst Mahler ist NPD-Anwalt a.D. und Nationalsozialist. Hans-Christian Ströbele ist Grüner im Dienst und Radikalsozialist. Was sagt das über 68 und die Folgen? Rein statistisch sagt es, dass sich zwei Drittel der Protagonisten von der totalitären Ideologisierung der antiautoritären Bewegung nie gelöst haben (eines hat obendrein noch die Farbe gewechselt: von Rot auf Braun). Und dass das letzte Drittel eine libertäre Haltung vertritt, die es heute, nach der aktuellen Reideologisierung von Sozialdemokraten und Grünen, in den beiden Parteien mit 68er Vergangenheit kaum noch gibt.
Lesenswert ist das Begleitheft zum Film, das neben anderen nützlichen Materialien auf der Website zum Film zu finden ist. Hörenswert ist die Filmmusik von Pluramon. Sehenswert ist dieser Film (er läuft nur in wenigen deutschen Kinos) für alle Fünfzigjährigen und Sechzigjährigen, die damals irgendwie dabei oder angesteckt waren und ebenso für Menschen aller Altersgruppen, die diese Zeit nur vom Hörensagen oder aus dem Fernsehen (DDR-Bürger) kennen und spüren, dass sich damals eine deutsche Geschichte ereignete, deren offene Wunden heute noch nicht geheilt sind. Sehr gut, dass dieser Film keine neue Wunde aufreißt und Teil der Lösung und nicht Teil des Problems ist wie der Baader-Meinhof-Film, den Das Erste am Wochenende mit großem Tamtam (einschließlich Gewinnspiel) ausstrahlte (meine negative Bewertung des Films hatte ich bereits in einem Eintrag am 12. Januar 2009 verdeutlicht).
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Danke für den interessanten Artikel! Noch den Titel weckt mein Interesse zum Thema!
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