Samstag, 23. Mai 2009

Die Republik 60 und ihre Vertreter wenig weise


Heute also sechzigster Geburtstag
der Bundesrepubkik Deutschland. Und Wahl des Bundespräsidenten im Berliner Reichstag (Abbildung rechts). Das Ergebnis zeigt: Am Geburtstag der Republik verhalten sich die Repräsentanten wenig weise. Nicht das Wahlergebnis ist zu kritisieren. Das ist klar und eindeutig: Der Präsident unserer durch Markwirtschaft erfolgreichen Demokratie darf Märkte Monster nennen als sei er noch der Sparkassendirektor von nebenan und kann dennoch sicher sein, mit absoluter Mehrheit wiedergewählt zu werden. Mit den Stimmen jener schwarz-gelben Volksvertreter, die als marktnah gelten. Da möchte man lieber nicht wissen, was der rot-grünen Minderheit marktfern genug gewesen wäre, um den Präsidenten zu bestätigen. Was die offen marktfeindliche Minderheit der Minderheit denkt, hat deren Kandidat mit dankenswerter Deutlichkeit zu Protokoll gegeben: Sofort verhaften, diesen Ackermann! Na ja, der Mann ist halt bekennender DDR-Anhänger. Und diese Mischpoke konnte mit gerade mal einer einzigen Stimme Mehrheit in Schach gehalten werden. Das lässt für die Zukunft nichts Gutes ahnen.

Unrechtsstaat DDR ist das Schlüsselwort, um das es geht. Ein Blick auf die Mehrheit der Minderheit zeigt das Problem: 503 rot-grüne Volksvertreter stimmten für die Kandidatin der SPD, 10 enthielten sich der Stimme. Das bedeutet: 503 Sozialdemokraten und Grünen macht es nichts aus, dass Gesine Schwan sich weigert, die DDR für einen Unrechtsstaat zu halten. 10 Sozialdemokraten oder Grünen macht es was aus. Sie stimmten nicht gegen ihre Kandidatin, das ist fair, aber sie wählten sie nicht. Die Verweigerungsneigung war in den letzten Tagen öffentlich erörtert worden:

SPD-Abgeordneter rückt von Gesine Schwan ab

Der scheidende SPD-Bundestagsabgeordnete Stephan Hilsberg erwägt, der SPD-Präsidentschaftskandidatin Gesine Schwan wegen ihrer Äußerungen zur DDR seine Stimme zu verweigern. „Wie ich abstimme, überlege ich mir jetzt noch mal. Die Verabschiedung vom Begriff Unrechtsstaat ist für mich nicht hinnehmbar“, sagte er dem Berliner „Tagesspiegel“. Der frühere DDR-Bürgerrechtler, der am Samstag in der Bundesversammlung an der Präsidentenwahl teilnimmt, reagierte damit auf Schwans Weigerung, die DDR ausdrücklich als „Unrechtsstaat“ zu bezeichnen. Sie lehne diesen Begriff ab, weil er zu diffus sei, hatte Schwan zur Begründung erklärt. Hilsberg war kürzlich nach 18 Jahren als SPD-Bundestagsabgeordneter in seinem Wahlkreis in Brandenburg nicht erneut als Kandidat für die Bundestagswahl im September aufgestellt worden. dpa | Quelle: FTD 19.5.2009, Seite 11
Diese Meldung habe ich mit innerer Zustimmung zur Kenntnis genommen und dem Abgeordneten, den ich nicht weiter kenne, in einer Email am selben Tag zugeraten, weiter fest nachzudenken:
Sehr geehrter Herr Hilsberg,

ich beziehe mich auf die unten [hier: oben] zitierte Meldung, die ich der heutigen Financial Times Deutschland (19. Mai, Seite 11) entnahm. Ich möchte Sie in Ihrer Überlegung bestärken.

Zuletzt konnte ich Ihren Parteigenossen, Herrn Thierse, am 26. April bei Anne Will beobachten, wie er sich fast eine Stunde wandt, bevor ihm Frau Will ein gequältes Ja, dass es sich um einen Unrechtsstaat handele, entlocken konnte. Die Sendung hat mir gezeigt, wie wichtig es ist, Der Linken die Deutungshoheit über Recht und Unrecht nicht kampflos zu überlassen. In der Sendung waren es Herr Knabe, Herr Schäuble und Frau Will, die versuchten, die Koalition der Beschwichtiger und Beschöniger (Herr Thierse und ein mir unbekannter Vertreter Der Linken, Herr Maurer) aufzubrechen.

Dass Frau Schwan inhaltlich Teil dieser Koalition ist, war mir in der Deutlichkeit bisher nicht bewusst. An der linken Verschwörung (einer klassischen Manipulationskampagne) gegen die Formulierung Unrechtsstaat DDR sollte sich die SPD nicht beteiligen. Dass Frau Schwan dabei mitwirkt, ist mir besonders unverständlich, habe ich sie doch als junger Student am Berliner Otto Suhr Institut als entschieden antitotalitär erlebt. Die Verwischung der bisher unstreitigen und anerkannten Grenzen zwischen Rechtsstaat und Unrechtsstaat, zwischen freiheitlicher Demokratie und Marktwirtschaft und totalitärer Diktatur und Planwirtschaft, ist Teil eines linken Projekts, das unerfreulich weit gediehen ist. Gut zu wissen, dass sich in der SPD offen Widerstand regt. Das gibt mir Hoffnung; denn ich teile die Abwehr totalitärer Anmaßung mit journalistischen Mitteln durch gelegentliche Veröffentlichungen und Einträge in meinem Blog.

In Ihren Überlegungen kann ich Sie nur bestärken, lieber Herr Hilsberg. Gut wäre es, wenn die Leugnung des Urechts zum Schwanengesang der Kandidatin würde. Hat denn Ihre in der FTD erwähnte Nicht-Wiederaufstellung als Kandidat für die Bundestagswahl mit dem Linksruck in der SPD (der inhaltlichen Annäherung an Die Linke) zu tun, oder hat sie einen ganz anderen Hintergrund (der mich nichts anginge)? Fragt

freundlichst Ihr
Rainer Bieling
Die Antwort des Abgeordneten steht noch aus. Bekannt hingegen ist, zu welchem Ende er in seinen Überlegungen gekommen ist: Er würde nun doch Gesine Schwan wählen, meldete der Focus zwei Tage später. Mein beherzter Griff in die Tasten hat also nix genutzt. So waren es 10 andere Sozialdemokraten oder Grüne, die sich enthalten haben. Ihnen sei Dank. Dass die Weigerung, Unrecht beim Namen zu nennen, tatsächlich zum Schwanengesang der Kandidatin geworden ist, steht nun fest. Aber auch, dass 503 rot-grüne Volksvertreter nix dabei finden. Nachtrag: So lustig war die DDR heißt ein Beitrag auf achgut, der Anhaltspunkte gibt, warum das so ist.

------------------------ POSTSCRIPTUM ------------------------

Diese Grüne machte Köhler zum Bundespräsidenten, titelt die BZ am Montag nach der Wahl (25. Mai 2009) auf Seite 2 und berichtet von der Abgeordneten Silke Stokar,
sie habe dem Kandidaten der Unionsparteien, der FDP und der Freien Wähler, Horst Köhler und nicht der von ihrer Partei und der SPD unterstützten Kandidatin Gesine Schwan ihre Stimme gegeben, da sie ein mögliches koordiniertes Abstimmungsverhalten ihrer Partei mit der Linkspartei in einem eventuellen dritten Wahlgang habe verhindern wollen (zitiert aus dem Wikipedia-Eintrag zu Silke Stokar zu Neuforn).
Der Eintrag und die BZ-Meldung stützen sich auf einen Bericht der SZ vom Vortag (24. Mai 2009), der mit folgender aufschlussreicher Information endet:

"Ich bin eine freie Abgeordnete", sagte sie. Stokar gilt bei den Grünen als konsequente Vertreterin des Reformerflügels. In der Fraktion ist sie mit als rechts empfundenen Positionen, zum Beispiel zum Datenschutz, mehrfach angeeckt. Bei der Listenaufstellung für den nächsten Bundestag war sie in Niedersachsen gescheitert.
Die Parallele zum SPD-Abgeordneten Hilsberg ist frappierend: Beide Abgeordnete stehen dem Realsozialismus ablehnend gegenüber, gelten in ihren Parteien deshalb als rechts - und werden zur Bundestagswahl ausgebootet. Das zeigt zweierlei: SPD und Grüne stellen sich personell so auf, dass sie nach der Wahl am 27. September keine Störenfriede einer etwaigen Koalition mit Der Linken in ihren Reihen haben. Und Die Linke, deren früherer Parteigenosse Kurras den Studenten Benno Ohnesorg auf dem Gewissen hat (siehe oben, Eintrag vom 2. Juni) hat es schon weit gebracht, ihre virtuelle DDR auf ganz Deutschland zu übertragen. Bei der Präsidentenwahl ist sie nur knapp gescheitert. Frau Stokar gebührt der Dank, wie wir nun wissen. Das war eine gute Entscheidung für unsere libertäre Demokratie.
 

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