Montag, 26. Januar 2009

In memoriam E.B.


„Ich habe eine sozialdemokratische Kinderstube und bin ein Kind von Achtundsechzig.“
So begann mein großer, mir sehr wichtiger Beitrag "Ohne Sozialismus geht es besser" in der Tageszeitung Die Welt vom 26. November 2008 (siehe auch meinen Eintrag vom 28. November 2008 weiter unten). Heute, am 26. Januar 2009, wäre der männliche Teil dieser Kinderstube, mein Vater Erich, 110 Jahre alt geworden. (Die Abbildung rechts zeigt seinen Grabstein am heutigen Tag; sie lässt sich durch Klicken aufs Bild vergrößern). Es ist nicht nur diese schier unglaubliche Zahl, die gleich drei Jahrhunderte verbindet, es ist die Bedeutung des intellektuellen Erbes väterlicherseits, die eine Erinnerung nahelegt. Im Schlussteil des eingangs erwähnten Welt-Artikels wird der Anteil des lebenslangen SPD-Mitglieds Erich Bieling an meiner politischen Bildung deutlich: als Grundierung, die ein Gespür für totalitäres Denken bewahren half. Aber lesen Sie selbst:
„Warum ich mir den Kopf über die SPD zerbreche, obwohl mich das als Nichtmitglied gar nichts angeht? Oh doch geht mich das was an. Den politischen Parteien weist das Grundgesetz die Aufgabe zu, an der Meinungsbildung des Volkes mitzuwirken. Ich bin das Volk, wie jeder andere wahlberechtigte Bürger auch.

Da ist es wichtig, dass das Volk den Mund auch aufmacht. Zweitens beinhaltet Mitwirkung kein Monopol auf Meinungsbildung, und drittens habe ich als Stimmbürger ein Wahlrecht. Fiele die SPD als eine der beiden großen Volksparteien für mich als nicht wählbar aus, weil sie am Sozialismus des 19. Jahrhunderts festhält, wäre meine Wahlmöglichkeit als Wähler des 21. Jahrhunderts eingeschränkt, meine Einflussnahme auf parlamentarische Mehrheitsbildungen beschnitten. Als Stimmbürger liegt mir viel an einer SPD, vor der ich nicht (wie bei uns in Berlin) Angst haben muss, dass sie mir nach der Wahl ein Kuckucksei ins Nest legt, aus dem ein Gysi schlüpft.

Ich habe eine sozialdemokratische Kinderstube. Solche krummen Dinge gab es bei uns nicht. Mein Vater war schon vor der Nazizeit Sozialdemokrat. Nach dem Krieg verweigerte er die Annahme des SED-Parteibuchs. Aus der Sowjetzone floh er, weil er Stalin im Dezember 1948 die Eloge zum 70. Geburtstag verweigert hatte. In West-Berlin war er Abonnent des Monat, der den demokratischen Neubeginn intellektuell begleitete, ein Monatsblatt, das gebildete Sozialdemokraten und andere Gegner der Gewaltherrschaft seinerzeit lasen. Ein Zweifel an der wahren Natur von Nationalsozialismus und realem Sozialismus konnte da nicht aufkommen. Zweifel an der demokratischen Führungsmacht USA sollten sich einstellen, als der Vietnamkrieg bestialisch wurde. Wie diese Zweifel die schon gewonnenen Erkenntnisse über das Wesen des Sozialismus verdrängen und geradezu auf den Kopf stellen konnten, habe ich vor zwanzig Jahren in meinem Buch Die Tränen der Revolution beschrieben. [Siehe auch meinen Eintrag vom 12. April 2008 ganz unten.] Es schloss den Kreis, der gute Ton der Kinderstube hatte wieder einen reinen Klang. Wie jede Renaissance war es doch ein Neues; denn nun war klar, dass den auf Anmaßung beruhenden und auf Unterwerfung zielenden Ideologien zu widerstehen ein antiautoritärer Impuls ist. Der SPD möchte ich umgekehrt wünschen, dass sie aus ihrem fatalen Kreislauf ausbricht; denn ihrer ist ein Teufelskreis.“

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