Samstag, 12. April 2008
"68" macht nach 40 Jahren hypernervös
Das hat mich überrascht: "68" ist kein toter Hund mehr, sondern ein totaler Aufreger und macht Leute hypernervös, sobald sie darüber reden, was das eigentlich war. So geschehen am 10. April 2008 bei einer Buchvorstellung im Berliner Amerikahaus, das jetzt am Motel One klebt wie dessen geschrumpfte Großmutter, von Alleinstellung keine Rede mehr. Das Buch heißt "Berlin 1968. Die andere Perspektive" von Michael Müller, kurz MM.
Anwesend MM, Morgenpost-Redakteur in den Jahren 1967 und 1968 und immer am Ball bei jedem Krawall, Klaus Schütz, Regierender Bürgermeister während der Osterunruhen 1968 nach dem Attentat auf Rudi Dutschke, und etliche Damen und Herren Mitte 50 bis Ende 60. Kaum war die Diskussion eröffnet, wogten Widerworte zwischen Springer-Mann und Publikum hin und her, als sei das letzte Gefecht nicht 40 Jahre her sondern bloß 4 Stunden. Agressiv im Ton und inhaltlich voller Beschuldigungen, Unterstellungen, Verleumdungen; sie gifteten sich an wie einst im Mai.
Das finde ich verblüffend. Vor 20 Jahren, 1988, war "68" ein toter Hund. Ich muss es wissen; denn in dem Jahr erschien mein Buch "Die Tränen der Revolution. Die 68er zwanzig Jahre danach" bei Wolf Jobst Siedler (Abbildung), und kein Hahn hat danach gekräht. Die Mitbewerber am Buchmarkt konnte ich mit fünf Fingern zählen, der kleine Enzensberger hat sie alle in einer Sammelbesprechung untergekriegt, zwei, drei Interviews für Rundfunk und Fernsehen, ein Gespräch in meiner alten Zitty (danke Erika), und das wars dann schon.
Und heute? Riesenerregung, Gefühlsaufwallung. Bücher ohne Ende, Rezensionen und Blogs voller Gemeinheiten, Schadenfreude, Sticheleien, Anklagen und gaaanz viel Blödsinn. Woher das kommt? Darüber muss ich nachdenken. Eigentlich glaubte ich, vor 20 Jahren alles Nötige zu "68" gesagt zu haben. Oder doch nicht? Wer will, mag nachschauen: gut 1 % der Auflage (31 Exemplare) ist via Amazon (13 Exemplare), ZVAB (5 Exemplare) usw. nach wie vor im Handel, antiquarisch.
Ein Leser (danke Pit) macht darauf aufmerksam, dass er es in der AGB (Amerika-Gedenkbibliothek) zur Ausleihe fand. Tatsächlich ist es auch in Spandau (Hauptbibliothek) und Charlottenburg (Bezirkszentralbibliothek) sowie online im VÖBB (Verbund Öffentlicher Bibliotheken Berlins) ausleihbar.
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Wie ich per Deutsche Welle (DW) in Manila erfahren habe, findet zur Zeit eine Ausstellung in Frankfurt zum Thema '68 statt. In dem DW Beitrag kam auch eine Dame (aus Berlin?)zu Wort, die ihr kuerzlich zum selben Thema erschienenes Buch besprach ("Es war alles nur Show"). Auch Kinder von '68ern aeusserten sich ueber die - wie sie meinten - unangemessene Erziehung durch ihre Eltern. Daneben hat die DW in ihrem Asien-Programm mit der Ausstrahlung einer hochinformativen Serie ueber die Hippy-Bewegung begonnen, die in Deutschland wohl schon bei arte lief. '68 ist also in aller Munde.
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