Samstag, 29. September 2012

Bayern als eigener Staat

   
Im Informations- und Hintergrunddienst DER HAUPTSTADTBRIEF, Ausgabe 110 vom September 2012, habe ich mich mit einem Buch über Bayern beschäftigt. Hier mein Text:
  

Wilfried Scharnagl denkt einen Gedanken, der verboten gehört, wenn es nach dem Willen der Euroretter ginge. Denn Bayern würde aufhören zu zahlen

Wilfried Scharnagl stellt sein Buch im Haus des Familienunternehmens vor.
   
Darf man das? Sich Bayern als eigenen Staat vorstellen? Ein Staat in der Europäischen Union, aber nicht mehr in der Bundesrepublik Deutschland? Als Berliner müsste ich umstandslos Nein sagen; denn mein Bundesland hängt am bayerischen Tropf. Drei Milliarden Euro Zuschuss, davon der größte Batzen aus München, würden uns Berlinern jedes Jahr im Landeshaushalt fehlen, würde Bayern die innerdeutsche Transferunion sprengen.

Länderfinanzausgleich heißt diese Unterhaltszahlung offiziell und war einst als Hilfe zur Selbsthilfe gedacht: Die Starken geben den Schwachen, damit diese selber stark werden. Die Umverteilung eines Anteils des von der bayerischen Bevölkerung erwirtschafteten Wohlstands nach Berlin macht uns Hauptstädter aber nicht stark, sondern lässt unsere öffentlich bedienstete Parteienelite nur immer mehr erschlaffen. Mittlerweile ist sie so schwach und hilflos, dass sie nicht einmal imstande ist, einen Flughafen bauen zu lassen.

Solchen Versagern die Alimente zu verweigern, würden die Berliner sofort begrüßen, wüssten sie nicht, dass ein Ausbleiben der bayerischen Transferleistung ihnen schadete, aber kein Ausbleiben des goldenen Handschlags für ihre Schädiger bedeutete. Aus Berliner Sicht ist Bayern als eigener Staat also keine gute Idee. Wilfried Scharnagl schreibt aber aus bayerischer Sicht. Und aus der ist sein Plädoyer für den eigenen Staat schlüssig.

„Von 1950 bis 1986 erhielt der Freistaat Bayern aus Mitteln des Länderfinanzausgleichs insgesamt 3,4 Milliarden Euro.“ Aber seit 26 Jahren ist Bayern Nettozahler: „Bis zum Jahr 2011 hat Bayern auf dem Wege des Länderfinanzausgleichs 38,268 (!) Milliarden Euro an andere Länder gezahlt“, rechnet er auf Seite 115 seines Buchs Bayern kann es auch allein vor. Es ist nicht die Transferleistung als solche, die ihn aufbringt, es ist ihre Sinnlosigkeit: Die schwachen Länder werden immer schwächer.
Peter Gauweiler moderiert das Gespräch mit dem Autor, 30. August 2012.
 
Wenn schon die innerdeutsche Alimente ein Fehlanreiz ist, wie ist es dann erst mit dem europäischen Länderfinanzausgleich? Es ist genau diese schon begonnene Transformation der Europäischen Union in eine europäische Transferunion, die Scharnagl alarmiert: Bayern ist unversehens „Doppelmitglied in einer Transferunion – einer deutschen und einer europäischen“. Der Dreh- und Angelpunkt ist das „unversehens“. Der Freistaat Bayern als Land der Bundesrepublik Deutschland hat keinerlei Einfluss auf eine Umverteilung von Reichtum, die seine Bevölkerung Milliarden kosten wird, ohne dass jemals jemand in Bayern dieser Enteignung von Volksvermögen zugestimmt hätte oder auch nur zustimmen dürfte. Der Demokratieverlust ist das eigentliche Thema des Buches, der Eigentumsverlust der Auslöser, es zu schreiben.
  
Das zweite Kapitel ist deshalb das beste, weil es in Sachen Verlust von Volkssouveränität einen unvergesslichen Aha-Effekt auslöst. Es schildert den schwarzen Tag für Bayern, an dem das Deutsche Reich die Herrschaft übernahm. Es sind drei Wochen im Januar 1871, als es in der Bayerischen Abgeordnetenkammer um „Sein oder Nichtsein Bayerns“ ging – obwohl schon alles entschieden war: der Beitritt Bayerns zum Reich per 1. Januar 1871. Die Abgeordneten führten die Debatte dennoch mit großer Ernsthaftigkeit, und viele der Wortmeldungen, die Scharnagl zitiert, zeigen, dass hier nicht bayerische Mini-Nationalisten gegen preußische Maxi-Nationalisten fochten, sondern Föderalisten gegen Zentralisten.

Mein Text erschien im HAUPTSTADTBRIEF 110.
Mit großer Hell- und Weitsicht kritisierten die Befürworter einer Bundeslösung (Einheit in Vielfalt von unten nach oben) die längst schon „alternativlose“ Reichslösung (ein Gott, ein Reich, ein Kaiser). Sie würde nach innen Hegemonie Preußens und nach außen Hegemoniestreben über Europa bedeuten und unweigerlich zu Krieg und Verderben führen. Die totalitäre Disposition des Nationalismus ist von den bayerischen Abgeordneten bereits 1871 mit einer Klarheit beschrieben worden, die Staunen macht – und erschauern lässt, wenn sie vor der Folie des heutigen Supra-Nationalismus gelesen wird, der sich als europäische Einheitslösung schon wieder ohne Alternative behauptet, auch wenn es dieses Mal nur um die Kaschierung einer Schuldenunion geht.
 
Darf man das? Sich Bayern als eigenen Staat vorstellen? Ein Staat in der Europäischen Union, aber nicht mehr in der Eurozone? Denn nur so könnte sich die bayerische Bevölkerung der doppelten Enteignung erwehren: der politischen durch mehr Mitsprachemöglichkeit, der wirtschaftlichen durch den Abschied vom Euro. Als Bayer würde ich Ja sagen – und hätte dann allerhand Fragen. Da müsste Wilfried Scharnagl aber ein zweites Buch schreiben; denn wie man sich die Alternativen vorzustellen hätte, sagt er in seinem ungemein anregenden ersten Band nicht.

Bayern kann es auch allein. Von Wilfried Scharnagl. Quadriga Verlag, Berlin. 191 Seiten, gebunden, 17 Euro.
Die Buchvorstellung fand am 30. August 2012 im Haus des Familienunternehmens am Pariser Platz in Berlin-Mitte statt. Die Buchbesprechung erschien am 6. September 2012. Es gibt sie online auch im HAUPTSTADTBRIEF.

 

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