Das finde ich eine sehr gute Idee. Die Axel Springer AG selbst will im Herbst, Oktober oder November 2009, ein Springer Tribunal ausrichten, bei dem es um die Rolle der Printmedien dieses Konzerns (Bild, BZ, mopo) während der Studentenunruhen in den Jahren 1967 und 1968 gehen soll. Der Chefredakteur der Welt, Thomas Schmid, hat das gestern in seinem Blog angekündigt und begründet:
Kürzlich wurde bekannt, dass der Westberliner Polizist, der am 2. Juni 1967 den Studenten Benno Ohnesorg erschoss, im Nebenberuf SED-Mitglied und Stasi-Mitarbeiter war. Das war nun doch eine Überraschung, und in dieser Zeitung ist die Frage aufgeworfen worden, ob das nicht neue Fragen aufwerfe. Immerhin, der Mann, der Benno Ohnesorg erschoss, war nicht nur Repräsentant des bundesrepublikanischen Obrigkeitsstaates, sondern repräsentierte auch das "bessere Deutschland", die DDR. Manche jedoch sahen wenig Grund zu neuem Nachdenken und warfen dem Verlag Axel Springer vor, er wolle nun den Spieß umdrehen, die Geschichte der Studentenbewegung umschreiben und als später Sieger aus dem Duell "Enteignet Springer!"-Kampagne gegen Verlag Axel Springer hervorgehen. Das will, das soll geklärt sein.Mir gefällt diese Idee aus zwei Gründen: Seit dem 30. April 2009 gibt es in Berlin-Kreuzberg die Rudi-Dutschke-Straße, die mit der Axel-Springer-Straße eine gemeinsame Ecke bildet, in der das Springer-Hochaus steht (siehe auch meinen Eintrag vom 18. April 2009 mit einem Absatz zum historischen Kompromiss an der Kochstraße). Die Namensgebung erfolgte konfrontativ auf Betreiben von Teilnehmern und Nachfahren der Protestbewegung von 1967/68. Die Konfrontation empfand ich schon damals als Ausdruck gestriger Gesinnung. Viel mehr hätte ich mir gewünscht, dass Friede Springer und Gretchen Dutschke, die beiden Witwen der Kontrahenten von einst, sich unter dem Straßenschild die Hand gereicht und sich anschließend für eine Aussprache unter vier Augen zurückgezogen hätten. Und die Erben, die Verlagsführung auf der einen Seite, die Protestbewegten auf der anderen, hätten sich gemeinsam an einen Tisch setzen und reden sollen: Was war das damals? Und was sagen wir heute dazu? Dieser Teil meines Wunsches scheint nun im Oktober nachträglich in Erfüllung zu gehen. Das ist gut.
Deswegen nimmt der Verlag den Faden auf, den die Springer-Gegner vor Jahrzehnten fallen gelassen haben. Im Frühjahr 1968 war in West-Berlin ein "Springer-Hearing" geplant, das auch als "Springer-Tribunal" konzipiert war. Dort sollten die Zeitungen des Hauses analysiert und als Organe politischer Hetze entlarvt werden. Doch das Tribunal fand nie statt. Das ist schade. Der Verlag Axel Springer will Abhilfe schaffen: Er wird das Tribunal in diesem Herbst nachholen, und zwar im eigenen Haus.
[Quelle: Welt online]
Als zweites habe ich einen persönlichen Grund. Im letzten Jahr, 2008, ging es um 40 Jahre 1968. Ursprünglich hatte ich die Absicht, mein Buch von 1988 (darin geht es um 20 Jahre 1968 - Abbildung oben rechts) online wiederzuveröffentlichen und aus heutiger Sicht zu kommentieren. Das habe ich sein gelassen, weil ich fand, in den letzten 20 Jahren keinen nennenswerten Erkenntniszuwachs zu dem Thema erzielt zu haben. Das änderte sich erst, als ich im Frühjahr 2008 einige Jubiläumsveranstaltungen besuchte. Sie waren der Auslöser zum Führen dieses Blogs (siehe meinen ersten Eintrag vom 12. April 2008). Der Erkenntiszuwachs lautete nun: Die Zeiten haben sich geändert, aber die 68er nicht mit ihnen. Im Gegenteil: Eine schier unfassbare Reideologiesierung der Linken findet statt und mit ihr die Rückkehr zur totalitären Matrix.
Das geplante Springer Tribunal kommt mir sehr entgegen. Es ist ein guter Anlass, den Faden vom letzten Jahr wieder aufzugreifen. Ob die Veranstaltung ein Erfolg wird, hängt am Ende von der Linken ab. Denn die erfreuliche Entideologisierung aller Diskurse von Atomkraft bis Schwulenehe hat zwar weite Teile der bürgerlichen Mehrheit erfasst (und nicht nur ihre intellektuellen Spitzen), aber die bürgerliche Minderheit, die allem und jedem marktorientierten Denken und Handeln ablehnend bis feindselig gegenüber steht, geht gerade in die entgegengesetzte Richtung. Das Echo, das die Ankündigung des Tribunals in diesen Kreisen heute fand, fiel entsprechend negativ aus. Kein gutes Wort beim Autor von spiegel online oder bei dem der taz. Na, dann schaun wir mal.
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