Freitag, 21. November 2008

Waltz with Bashir


Dieser Film ist schier unglaublich und in dreierlei Hinsicht herausragend. Das beginnt mit dem, was man hört.

Was man hört ist der Sound der frühen Achtziger, weiche und harte New Wave, obwohl es nur zwei Originalstücke aus dieser Zeit sind, die Komponist Max Richter neben seiner eigenen Filmmusik zulässt. Zuerst geht es mit Enola Gay, dem Hit von OMD (Orchestral Manoeuvres in the Dark) aus dem Jahr 1980, in den Krieg. Das passt, denn Enola Gay ist der Name des B-29-Bombers, der die Atombombe nach Hiroshima trägt. Und dann hat der Soldat Ari Folman 24 Stunden Heimaturlaub von der Front, und es erklingt This Is Not A Love Song von PIL (Publik Image Ltd.) aus dem Jahre 1983. Das passt, denn es ist keine Love Story, an der wir teilhaben. Diese beiden musikalischen Eckpunkte verbindet der deutsche Komponist, der jetzt in England lebt, mit seinem Soundtrack, der vom ersten Ton an klarmacht, das ist nicht Vietnam, das ist nicht Apocalypse Now, das ist nicht The End und es sind nicht The Doors und wir sind auch nicht in den 1960er Jahren - es ist der Libanon, es ist Bashir's Waltz, es ist kein Love Song und es gibt kein Happy End. Wir sind in den 1980er Jahren und die hören sich ganz anders an als die späten Sechziger. Sehr gut gemacht, Max Richter, der Ton stimmt. Ich muss es wissen; denn in den frühen 1980er Jahren habe ich die Musikredaktion von Zitty geleitet, und da haben wir genau diese Art von Musik geliebt und gefeatured. Wie klingt diese Art 2008? Hören Sie selbst.

Was man sieht, wenn man hört, ist nicht die heile Welt, von der West-Berlin im Jahr 1982 ein Teil war. Es ist die kaputte Welt von Beirut im Jahr 1982, und sie geht vor unseren Augen entzwei. Und das ist so schrecklich: die positiv besetzte Musik und die negative Kraft der Zerstörung. Was der israelische Filmemacher Ari Folman da ins Bild setzt, habe ich so noch nie gesehen. Er macht aus dem verheerenden Einmarsch Ariel Scharons in den Libanon einen Zeichentrickfilm. Wer nun abwinkt und sagt, das kennen wir doch von Marjane Satrapis Comicfilm Persepolis, sollte weiterlesen. Ja, da gibt es Parallelen in der autobiografischen Geschichtsbetrachtung mit den Mitteln des Animationsfilms. Nein, Folmans Waltz With Bashir ist keine bittersüße Tragigkomödie, sondern ein abgrundtiefes Schreckensgemälde. Es ist nicht nur der Horror von Krieg und Massaker, der schockiert. Der Zuschauer sieht auch in menschliche Abgründe, die noch viel größeren Schrecken erzeugen: Kommt einem das nicht alles sehr bekannt vor? Das Stilmittel des Gezeichneten erzeugt eine Wirklichkeit, die erschüttert, weil sie realer scheint als die Realität selbst. Was wir hier vor uns haben, ist virtual history von Feinsten. Sehen Sie selbst.

Was man fühlt ist schieres Entsetzen erst und große Ruhe anschließend. Ja, es ist ein Schock, was da auf der Leinwand geschieht. Es ist ein Schock, wie es erzählt wird. Und es ist ein Schock zu begreifen, warum ein Massaker wie das von Sabra und Schatila letzten Endes zum Vergessen verdammt ist. Wenn da nicht einer wie Ari Folmann kommt, der damals 19 und dabei war - als Zuschauer, nicht als Täter. Ein Zuschauer, der aber alle Bilder und das Ereignis selbst vergessen hat. Wäre da nicht sein Freund Boaz, der seit zwei Jahren unerklärlicherweise von 26 wilden Hunden träumt, die sein Haus bestürmen. Nacht für Nacht seitdem. Bis er es nicht mehr aushält und seinen Freund damit behelligt. Und so macht sich Ari auf eine Reise in seine eigene Vergangenheit, bei der er am Ende in seiner verschütteten Erinnerung ankommt. Er sieht die Bilder des Todes und wird ganz ruhig und der Zuschauer mit ihm. Wie beunruhigend. Der Film läuft noch gelegentlich in Berlin. Gehen sie selbst. Und beachten sie auch meinen Eintrag vom 12. Januar 2009: Bashir schlägt Baader.
NACHTRAG
Der Film erscheint am 15. Mai 2009 in Deutschland auf DVD.
 

2 Kommentare:

  1. Bereue zwar nicht, den Film nicht gesehen zu haben - aber der sich herauskristallisierende, linkreiche Bieling-Blog-Stil gefällt mir. Bald mehr davon!

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  2. Zu "Waltz With Bashir". Durch Deinen Blog bin ich animiert worden, mir den Film anzuschauen, den ich sowohl auf der letzten Berlinale wie bei den Pressevorführungen zum aktuellen Kinostart verpasst hatte. Ich teile Deine Meinung, dass "Waltz With Bashir" sehr beeindruckend ist. Überraschend fand ich allerdings den Effekt, den der Film auf mich hatte: Entstanden aus einem Mangel - der Regisseur fand nicht genug Dokumentarmaterial zu den Ereignissen in Beirut - hat der Film durch die Animation auf mich fiktionalisierend gewirkt. Irgendwie hatte ich das Gefühl, einen gut gemachten Spielfilm gesehen zu haben und nicht eine besondere Form von Dokumentation. Durch die Musikauswahl wird dieses Gefühl noch verstärkt. Das spricht nicht gegen den Film, ist aber das Gegenteil von dem, was Regisseur Folman wohl erreichen wollte.

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