Montag, 25. Juni 2012

Wertewandel mitgestalten oder Was uns Rechte und Freiheiten wert sind


Die Veranstaltung, über die ich hier berichte, liegt schon etwas zurück. Der Bericht selbst aber ist erst heute erschienen, und zwar im Informations- und Hintergrunddienst DER HAUPTSTADTBRIEF, Ausgabe 109. Ich dokumentiere den Text (in der Onlinefassung) auch an dieser Stelle, weil er einen Gedanken erörtert oder doch anreißt, der über den Anlass hinaus Bestand hat: den Zusammenhang materieller und ideeller Werte und deren gemeinsamer Herkunft aus Marktwirtschaft – wo Märkte sterben, sterben Werte, materielle und ideelle zur gleichen Zeit. Und, die Erinnerung an die Staatswirtschaften des 20. Jahrhunderts ruft es ins Gedächntnis, nach den Werten sterben die Menschen. Hier der Bericht:
Frank-Walter Steinmeier spricht über Wertewandel am 24. Mai 2012.

Selten passen Handlungsort, handelnde Personen und Handlungsinhalte so gut zusammen, wie das unlängst in Berlin zu beobachten war. Die Handlung selbst war die Vorstellung eines Buches mit dem Titel Wertewandel mitgestalten, bei der das Werk, wie es sich gehört, zur Kenntnis gebracht und gepriesen wurde.

Handlungsort ist die neue Repräsentanz der Stiftung Familienunternehmen am Pariser Platz gleich neben dem Brandenburger Tor. Hier, mitten im Parlaments- und Regierungsviertel, erheben seit 2012 (DER HAUPTSTADTBRIEF 107 berichtete) jene Unternehmen der deutschen Wirtschaft ihre Stimme, die im öffentlichen Konzert zuvor nicht gut zu Gehör kamen. Das zu ändern und der Stimme einen Ort zu geben, ist Sinn und Zweck des Hauses des Familienunternehmens.

Handelnde Personen an diesem Vormittag sind die Herausgeber des Buches, Brun-Hagen Hennerkes und George Augustin, ersterer Vorstand der Stiftung Familienunternehmen, letzterer Direktor des Kardinal Walter Kasper Instituts für Theologie, Spiritualität und Ökumene in Vallendar. Handelnde Personen sind Walter Kardinal Kasper in persona und Frank-Walter Steinmeier, Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion. Es sind der Katholik und der Sozialdemokrat (Foto oben, zum Vergrößern anklicken), die das geistige Spektrum des Wertewandel-Buchs in ihren Reden vermessen (DER HAUPTSTADTBRIEF dokumentiert eine Rede in dieser Ausgabe, die andere online).

Handlungsinhalte sind die drei Bestandteile des Buchtitels: Werte, Wandel, mitgestalten. Welche anspruchsvolle Aufgabe sich die beiden Herausgeber damit gestellt haben, diese gewichtigen Inhalte ihren Gästen aus Politik und Wirtschaft, darunter der CDU-Fraktionsvorsitzende Volker Kauder und FDP-Fraktionsvize Martin Lindner, vorzustellen, zeigt ein näherer Blick auf jeden einzelnen dieser Bestandteile.
Buchvorstellung »Wertewandel« im Haus des Familienunternehmens.

Werte sind ein Begriff im Plural nicht nur, weil es mehrere und verschiedene sind (im Gegensatz zu ihrem Gegenteil, dem Unwerten, das es nur im Singular gibt und das, als Ideologie praktiziert, zu ebenso singulären Verbrechen führt), sondern auch, weil es materielle und ideelle Werte gibt, deren Verkettung aufzulösen zu großen geschichtlichen Tragödien geführt hat und immer wieder führen wird. Werte entstehen, wenn Menschen in und zu ihrem Handeln Gemeinschaften bilden, in denen ihnen Rechte und Freiheiten zuwachsen, um dieses Handeln zu gestalten und dessen Früchte zu genießen. Sobald sich Menschen dieser Werte bewusst werden und sie bewahren wollen, beginnen sie, sie zu kodifizieren. Seit dem Kodex Hammurabi tun sie das, mithin seit rund 3 800 Jahren.

Wandel zeigt an, dass Werte nichts Statisches sind, wiewohl sich ihr Kernbestand über die Jahrtausende als gleichbleibend erwiesen hat, wie ein Blick auf den genannten Kodex zeigt, der im Berliner Pergamonmuseum in Kopie zu sehen ist und dessen Kernsätze in den Gesetzestexten der Thora, den fünf Büchern Mosis, nachzulesen sind. Weil aber Werte beständig von denen mit Füßen getreten werden, denen ideelle Werte nichts wert sind, weil sie der Aneignung fremder materieller Werte im Wege stehen, müssen Werte immer wieder neu bestimmt werden, und jedes Mal geht die Verlusterfahrung in die Neubestimmung ein. Den Wandel der Werte treibt also beides: Die Fähigkeit von Menschen, Werte zu schaffen, wenn man sie lässt, und die Notwendigkeit, Werte zu bestimmen, damit man sie lässt.

Mitgestalten verweist auf das Programmatische: Den Wandel der Werte mitgestalten (und eben nicht: gestalten) enthält eine angemessene Portion Demut; denn Gestalter oder Demiurg kann ein Einzelner nicht sein, das widerspräche dem, was Werte sind – Schöpfungen von Menschen in Gemeinschaft. Dass es ein führender Kopf der deutschen Familienunternehmen ist, der andere Menschen eingeladen hat, gemeinsam über Werte nachzudenken, um damit Impulse zu geben, deren Wandel mitzugestalten, ist bei näherer Betrachtung nur schlüssig. Familienbetriebe sind Unternehmen, die materielle Werte von Generation zu Generation weitergeben, was nur geht, wenn solcherart Nachhaltigkeit in einem Wertekanon eingebettet ist, dessen Vielstimmigkeit Rechte und Freiheiten des Einzelnen und seines Eigentums als Konsens besingt. Dass daraus ein gerüttelt Maß an Verantwortung für alle erwächst, die an diesem Gemeinschaftswerk mitwirken, hat die Buchvorstellung erfreulich klar gemacht.

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