Die Veranstaltung, über die ich hier berichte, liegt schon etwas zurück. Der Bericht selbst aber ist erst heute erschienen, und zwar im Informations- und Hintergrunddienst DER HAUPTSTADTBRIEF, Ausgabe 109. Ich dokumentiere den Text (in der Onlinefassung) auch an dieser Stelle, weil er einen Gedanken erörtert oder doch anreißt, der über den Anlass hinaus Bestand hat: den Zusammenhang materieller und ideeller Werte und deren gemeinsamer Herkunft aus Marktwirtschaft – wo Märkte sterben, sterben Werte, materielle und ideelle zur gleichen Zeit. Und, die Erinnerung an die Staatswirtschaften des 20. Jahrhunderts ruft es ins Gedächntnis, nach den Werten sterben die Menschen. Hier der Bericht:
Frank-Walter Steinmeier spricht über Wertewandel am 24. Mai 2012. |
Selten passen Handlungsort, handelnde Personen und Handlungsinhalte
so gut zusammen, wie das unlängst in Berlin zu beobachten war. Die
Handlung selbst war die Vorstellung eines Buches mit dem Titel Wertewandel mitgestalten, bei der das Werk, wie es sich gehört, zur
Kenntnis gebracht und gepriesen wurde.
Handlungsort ist die neue Repräsentanz der Stiftung
Familienunternehmen am Pariser Platz gleich neben dem Brandenburger Tor.
Hier, mitten im Parlaments- und Regierungsviertel, erheben seit 2012
(DER HAUPTSTADTBRIEF 107 berichtete) jene Unternehmen der deutschen
Wirtschaft ihre Stimme, die im öffentlichen Konzert zuvor nicht gut zu
Gehör kamen. Das zu ändern und der Stimme einen Ort zu geben, ist Sinn
und Zweck des Hauses des Familienunternehmens.
Handelnde Personen an diesem Vormittag sind die Herausgeber des
Buches, Brun-Hagen Hennerkes und George Augustin, ersterer Vorstand der
Stiftung Familienunternehmen, letzterer Direktor des Kardinal Walter
Kasper Instituts für Theologie, Spiritualität und Ökumene in Vallendar.
Handelnde Personen sind Walter Kardinal Kasper in persona und
Frank-Walter Steinmeier, Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion. Es
sind der Katholik und der Sozialdemokrat (Foto oben, zum Vergrößern anklicken), die das geistige Spektrum des
Wertewandel-Buchs in ihren Reden vermessen (DER HAUPTSTADTBRIEF
dokumentiert eine Rede in dieser Ausgabe, die andere online).
Handlungsinhalte sind die drei Bestandteile des Buchtitels: Werte,
Wandel, mitgestalten. Welche anspruchsvolle Aufgabe sich die beiden
Herausgeber damit gestellt haben, diese gewichtigen Inhalte ihren Gästen
aus Politik und Wirtschaft, darunter der CDU-Fraktionsvorsitzende
Volker Kauder und FDP-Fraktionsvize Martin Lindner, vorzustellen, zeigt
ein näherer Blick auf jeden einzelnen dieser Bestandteile.
Buchvorstellung »Wertewandel« im Haus des Familienunternehmens. |
Werte sind ein Begriff im Plural nicht nur, weil es mehrere und
verschiedene sind (im Gegensatz zu ihrem Gegenteil, dem Unwerten, das es
nur im Singular gibt und das, als Ideologie praktiziert, zu ebenso
singulären Verbrechen führt), sondern auch, weil es materielle und
ideelle Werte gibt, deren Verkettung aufzulösen zu großen
geschichtlichen Tragödien geführt hat und immer wieder führen wird.
Werte entstehen, wenn Menschen in und zu ihrem Handeln Gemeinschaften
bilden, in denen ihnen Rechte und Freiheiten zuwachsen, um dieses
Handeln zu gestalten und dessen Früchte zu genießen. Sobald sich
Menschen dieser Werte bewusst werden und sie bewahren wollen, beginnen
sie, sie zu kodifizieren. Seit dem Kodex Hammurabi tun sie das, mithin
seit rund 3 800 Jahren.
Wandel zeigt an, dass Werte nichts Statisches sind, wiewohl sich ihr
Kernbestand über die Jahrtausende als gleichbleibend erwiesen hat, wie
ein Blick auf den genannten Kodex zeigt, der im Berliner Pergamonmuseum
in Kopie zu sehen ist und dessen Kernsätze in den Gesetzestexten der
Thora, den fünf Büchern Mosis, nachzulesen sind. Weil aber Werte
beständig von denen mit Füßen getreten werden, denen ideelle Werte
nichts wert sind, weil sie der Aneignung fremder materieller Werte im
Wege stehen, müssen Werte immer wieder neu bestimmt werden, und jedes
Mal geht die Verlusterfahrung in die Neubestimmung ein. Den Wandel der
Werte treibt also beides: Die Fähigkeit von Menschen, Werte zu schaffen,
wenn man sie lässt, und die Notwendigkeit, Werte zu bestimmen, damit
man sie lässt.
Mitgestalten verweist auf das Programmatische: Den Wandel der Werte
mitgestalten (und eben nicht: gestalten) enthält eine angemessene
Portion Demut; denn Gestalter oder Demiurg kann ein Einzelner nicht
sein, das widerspräche dem, was Werte sind – Schöpfungen von Menschen in
Gemeinschaft. Dass es ein führender Kopf der deutschen
Familienunternehmen ist, der andere Menschen eingeladen hat, gemeinsam
über Werte nachzudenken, um damit Impulse zu geben, deren Wandel
mitzugestalten, ist bei näherer Betrachtung nur schlüssig.
Familienbetriebe sind Unternehmen, die materielle Werte von Generation
zu Generation weitergeben, was nur geht, wenn solcherart Nachhaltigkeit
in einem Wertekanon eingebettet ist, dessen Vielstimmigkeit Rechte und
Freiheiten des Einzelnen und seines Eigentums als Konsens besingt. Dass
daraus ein gerüttelt Maß an Verantwortung für alle erwächst, die an
diesem Gemeinschaftswerk mitwirken, hat die Buchvorstellung erfreulich
klar gemacht.
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