Samstag, 2. Februar 2013

Beim Euro wird der Widerspruch weggemobbt


WELT Online am 30. Januar 2013, Aufmacher Kommentare.
DIE WELT hat am 30. Januar 2013 meinen Beitrag zur Lage der Nation an diesem Gedenktag online veröffentlicht, den ich hiermit, nachdem er dort schon 812 Mal auf Facebook weiterempfohlen worden ist, auch meiner Blogleserschaft zur Kenntnis bringe. Der in diesen Empfehlungen ausgedrückte Zuspruch ist geradezu überwältigend hoch, wie der Vergleich mit anderen Reaktionen auf die Rede von David Cameron zeigt, die Anlass und Aufhänger meines Beitrags war. Der ebenfalls am 30. Januar veröffentlichte und ebenso cameronfreundliche Kommentar des Londoner WELT-Korrespondenten Thomas Kielinger erhielt 15 Empfehlungen. Der Anti-Cameron-Kommentar von Guido Westerwelle war am 27. Januar auf 58 und der Cameron-Verteidigungsbeitrag des WELT-Autors Alan Posener am 24. Januar auf 301 Facebook-Empfehlungen gekommen. (Zahlen auf dem Stand vom 7. Februar 2013.) Hier nun mein Statement:

Felix Britannia. Glückliches Britannien, du hast ein Parlament, eine Regierung und eine Opposition. Die Opposition ist gegen die Regierung, weil die Regierung nicht bedingungslos für Europa ist. Der Premierminister, David Cameron, sagt, Europa entwickle sich in die falsche Richtung, zu mehr Staat, und den Euro, den wolle er schon gar nicht. Aber er werde beitragen, die EU zu verbessern: mehr Wettbewerb, mehr Innovation, kurz: Ertüchtigung von Märkten statt Ermächtigung des Staates. Am Ende solle die Bevölkerung entscheiden, ob sie eine erneuerte EU mitgliedswert finde oder nicht.
Povera Germania. Armes Deutschland, du hast ein Parlament, eine Regierung, aber keine Opposition. Die Opposition ist für die Regierung, weil die Regierung bedingungslos für Eurorettung ist. Aus Sicht der Opposition könnte die Regierung noch bedingungsloser retten, als sie es tut. Sie sollte Krisenländern die alten Schulden erlassen und neue erleichtern: durch Eurobonds. In Deutschland steht die Opposition hinter der Regierung – um sie anzutreiben: mehr Staat, mehr Aufsicht, mehr Vergemeinschaftung, kurz: mehr Europa. Widerspruch wird weggemobbt. „Dissidenten“ nennen sie im Parlament jene Parlamentarier, die der Eurorettung die Stimme verweigern.
Felix Britannia. Wahrscheinlich stellst du dir Brüssel als eine Krake vor, die ihre Beute erdrückt und dabei entleert. Zweiseitigkeit des Zugriffs: Das Erdrücken ist die politische Operation der Unterwerfung, das Entleeren die ökonomische Operation der Enteignung – Eurorettung durch Umverteilung des Volksvermögens. Das erstere dient dem zweiten: It’s the economy, stupid. David Cameron, der keine Allmacht einer Zentrale will, belässt es bei seiner EU-Kritik eben nicht bei der Plattitüde der kafkaesken Bürokratie. Er kritisiert die schleichende Zerstörung der Marktwirtschaft durch Staatsinterventionismus.
Reichstag im Dämmerlicht. Keine Opposition in Sicht.
Povera Germania. Du feierst dich am 80. Jahrestag deines Schreckensdatums 30. Januar 1933. Weil du nie wieder Krieg willst und so viel aus deiner Geschichte gelernt hast. Du feierst dich, während du bedingungslos einer Selbstermächtigung zustimmst, mit der seit zweieinhalb Jahren europäische Instanzen ein entscheidendes Recht deiner EU-Mitgliedschaft kassieren: dein Sparvermögen nicht zugunsten Dritter zu verlieren. Die Ermächtigung von 1933 ging nicht vom Wähler aus, der dem Nationalsozialismus nie zur Mehrheit verholfen hatte. Sie war ein Elitenkomplott aus höherem Interesse: Rettung der Nation. Die Selbstermächtigung von 2010 dient auch einem Elitenprojekt, einem anderen: Rettung des Euro. Der Bürger quittiert es mit innerer Emigration: Nur noch 38 Prozent der Deutschen vertrauen ihrer Währung.
Armes Deutschland. Dass du eine Regierung hast, die die Europäische Umverteilung zulässt, ist nicht schön. Dass du eine Opposition hast, die der amtlichen Umverteilung aus vollem Herzen zustimmt, ist schlimm. Wer statt mehr Staat weniger davon will, hat in Deutschland keine Wahl.

 
Zum besseren Verständnis der in meinem Text nur angedeuteten Mechanismen der Europäischen Umverteilung (EU) empfehle ich die vorzüglichen Beiträge der Professoren Bagus, Konrad und Sinn in der aktuellen Ausgabe unseres Informations- und Hintergrunddienstes DER HAUPTSTADTBRIEF.
   

Freitag, 1. Februar 2013

Israel nach der Wahl: Umfeld so schwierig wie vor der Wahl

Richard Herzinger spricht. Am 31. Januar 2013.

Israel nach der Wahl war als Vortrag von Eldad Beck von der israelischen Tageszeitung Yedioth Ahronot im Jüdischen Gemeindehaus in der Berliner Fasanenstraße für den Abend des 31. Januar 2013 angekündigt. Weil der Referent krank war, sprang Richard Herzinger ein, der für DIE WELT Israel im Auge behält.

Eine Freundin, die zu spät kam, bat mich um die Zusammenfassung seiner Thesen. Das tat ich gern, und weil sie sich sehen lassen können, gebe ich sie hier für alle, die es interessiert, mit meinen Worten wieder.

Richard Herzinger hört zu.
Richard Herzinger geht davon aus, dass wir uns weltweit in einer Phase der Säkularisierung befinden, die politischen Widerstand weckt, der sich sakral äußert. Der politische Islam (vulgo Islamismus) ist die aggressivste Form dieses Widerstands gegen den Wandel zu einer offenen Gesellschaft in einer freien Welt.

Das bekommt Israel zu spüren, das ein Teil dieser freien Welt ist, der der islamische Weltkrieg gilt. Die arabischen Revolutionen, von jungen urbanen, säkularen Eliten initiiert, spülen traditionelle, rural verankerte und sakral auftretende Eliten, die Muslimbrüderschaften, an die Macht. Sie sind die Avantgarden dieses Weltkriegs. Seit den den späten 1920-Jahren aktiv, sind sie jetzt, nach 80 Jahren, auf dem Gipfel ihres Einflusses und ihrer Macht.

Israel sieht einer Phase von zehn, zwanzig Jahren entgegen, in der die alte Stabilität autoritär-totalitärer, aber berechenbarer und käuflicher Regimes in seiner Nachbarschaft zerbrochen und eine neue Stabilität noch nicht in Sicht ist. Die Bedrohung, die von diesen Übergangsgesellschaften ausgeht, ist unberechenbar und möglicherweise hoch, aber weniger hoch als die öffentlich ausgesprochene Bedrohung aus dem Iran mit seiner noch intakt totalitären Machtstruktur und seinem offensiv-aggressiven Machtsanspruch.

Im Inneren hat Israel keinen Ansprechpartner mehr. Die Fatah ist bis aufs Mark korrupt und politisch am Ende, weil sie nicht genug Gefolgschaft mit dem warmen Regen aus EU- und US-Mitteln alimentieren kann. Eine eigenständige wirtschaftliche Entwicklung, die ihr Zustimmung über ihre Klientel hinaus eingebracht hätte, ist ihr aus Unfähigkeit und Unwilligkeit nicht gelungen. Mit der Operette des UN-Beobachterstaats konnte sie die Unzufriedenen nicht gewinnen. Das Scheitern der Fatah wird Hamas auch im Westjordanland stärken.

Die Lage in Syrien ist für Israel besonders unerfreulich. Hier tobt inzwischen ein Stellvertretrkrieg zwischen Iran auf der einen und Saudi-Arabien und Katar auf der anderen Seite. Dabei hatte es in Syrien mit friedlichen Protestdemonstrationen der städtischen Jugend angefangen. Erst als Assad dieses Aufbegehren gnadenlos zusammenschießen und später ganze Stadtviertel abtrünniger Bevölkerungsteile bombardieren ließ, kam es zum Bürgerkrieg, der Islamisten aus der ganzen muslimischen Welt anzog und anzieht. Die Appeasementpolitik des Westen könnte ausgehen wie in den 1930er-Jahren: nicht gut.


Mit seinen eigenen Worten hat Richard Herzinger einen Teil der Thesen des Vortrags unter der Überschrift Arabische Verheerungen am 2. Februar 2013 in der WELT veröffentlicht. Empfehlung: Richard Herzinger betreibt selbst ein Blog. Es heißt Freie Welt. Hinweis: Es gibt hier noch mehr Fotos von der Veranstaltung am 31. Januar.