Sonntag, 27. Februar 2011

Sigurd Wendland, Hegel, Morgenwelt, Berlin und ich

Der Maler Sigurd Wendland trägt zur Party Micky Maus

Georg Wilhelm Friedrich Hegel, gehörnt von Sigurd Wendland






















Der Berliner Maler Sigurd Wendland (links, erstes Bild, lässt sich durch Anklicken vergrößern) hat ein Micky-Maus-T-Shirt für seinen Auftritt gewählt, und ich frage mich, warum er sich nicht für Hegel entschieden hat. Der ist eine andere Ikone der (linksalternativen) Szene, und Wendland hat ihn in einem seiner Riesenformate versteckt, ganz oben in der linken Ecke (rechts, zweites Bild). Hinter Hegel ist noch einer, der ihm Hörner setzt. Hegel, ein kleiner Teufel!

Hegel beäugt das Szenario, in das Sigurd Wendland ihn gestellt hat. Das Szenario ist ein Boxring, der das Knock-out der der Aktienmärkte versinnbildlicht: den Crash (drittes Foto, unten links).

Stock Market Crash, Sigurd Wendland sieht schwarz


Morgenwelt, famose Berliner Band, vor Wendlands Crash-Bild
















Der Zusammenbruch der Aktienmärkte findet in der rechten Bildecke statt; es ist auch die rechte Ecke des Boxrings. Ein Punk als Trainer nutzt die Pause in therapeutischer Absicht (Foto oben, links). Das Crash-Bild trägt den Titel »Ring. Hegel beats Rocchigiani«, ist von 2009 und im Ganzen auf Sigurd Wendlands Website (unter »Galerie«) zu betrachten.

Die Berliner Band Morgenwelt spielt vor Sigurd Wendlands großformatigem Crash-Bild (Foto oben, rechts). Es ist ein Wohnzimmerkonzert aus Anlass der katalog-kommt-raus-Party im Atelier Sigurd Wendland. Morgenwelt gibt ein Wohlfühlkonzert (mit so schönen Liedern wie Stadt der Städte © Morgenwelt, eine Hommage an Berlin) im Angesicht von Bildern, die zeigen, dass sich einer im Raum nicht wohl fühlt: der Maler. Nicht, dass Sigurd Wendland seine eigene Party nicht genießen würde, davon kann erkennbar keine Rede sein. Aber der Maler fühlt sich unwohl in seiner Haut. Deshalb trägt er Micky Maus, heute Abend jedenfalls, der schon gestern ist - die Maus muss das Unwohlsein weglächeln.

Wendlands Bild trägt den Titel »lets fight (for the right to party)«
Nackte Gewalt heißt der Katalog, dessen Erscheinen die Party feiert. Wo kommt all die Düsternis der Bilder her? Die Gewalt, die Agressivität, die rohe Sexualisierung der Bildmotive, ihre absichtliche Unfertigkeit? Der Maler zeigt, dass er an der Gegenwart leidet, und ich bin verstört. Die Güte der gezeigten Malkunst ist hoch, das malerische Konzept erkennbar, aber das politische Credo ist durch und durch apokalyptisch. Das belegt auch die Kettensägefrau aus »lets-fight«, links im Bild; hier sind noch weitere Fotos von der Ausstellungsparty, die das bekräftigen). Ja, wo lebt der Maler denn? In Somalia, in Libyen, im Sudan oder in Pakistan, in einem dieser Länder, wo es zum Verzweifeln ist, lebendig zu sein? Hier stimmt was nicht. Ich muss Sigurd Wendland alsbald fragen, was es ist.
   

Sigurd Wendlands »Zwielicht« zeigt mich vor 25 Jahren
Der Vergleich zu früher drängt sich auf. Vor einem Viertel Jahrhundert, in den 1980ern, war Sigurd Wendland ein Chronist der Berliner Szene. Auf seiner Website unter »Kataloge« gibt es den Katalog »Portraits 1997« als PDF, der Bilder zeigt, die um 1985 entstanden sind. Der Kontrast zu heute könnte nicht größer sein: Ich sehe alle möglichen und unmöglichen Leute, gut, in einem anderen malerischen Stil zwar, einer Art Berliner Realismus, aber es sind Bilder voller Zuneigung zur Welt, mit einem Lächeln auf den Lippen gemalt, das auch maliziös ausfallen konnte. So trägt das Bild rechts, das mich gut halb so alt wie heute zeigt (hier in Vollansicht), den Titel »Zwielicht am Kudamm«. Da kommt mir das Berlin-Lied von Morgenwelt wieder in den Sinn, aus dem ich (mit freundlicher Genehmigung) die erste Strophe zitiere:
So wie ein Klumpen voller Leben
schwammst du in einem roten Meer
von einer Mauer ganz umgeben
doch die gibt es nicht mehr
du warst ein Vorposten der Freiheit
standst ganz allein im großen Sturm
du warst zerbombt geteilt geschunden
doch alles das warf dich nie um
Micky Maus ist böse

Postscriptum: Sigurd Wendland schrieb mir "zwei unbedeutende Richtigstellungen: die Mickey Mouse ist eine böse, und Hegel zeigt uns, dass wir die Gehörnten sind."

Ich habe mir Sigurds Wendlands T-Shirt darauf hin genauer angesehen und muss zu meiner Schande gestehen, dass ich nicht richtig hingeguckt hatte. Da lächelt keine Maus etwas weg, sondern sie blickt böse (rechts die Vergrößerung des Fotos belegt es). Gut, betrachten Sie den obigen Passus als gestrichen. Dass Hegel selbst die Hörner setzt, nehme ich zur Kenntnis, ohne für meine Missdeutung "die eigentümliche Unruhe und Zerstreuung unseres modernen Bewußtseins" verantwortlich machen zu wollen, die Hegel vielleicht am Werke gesehen hätte (Logik I, ed. Moldenhauer/Michel, S. 31). So tadelt der Meisterdenker "das Grundmißvertständnis, das üble, d.h. ungebildete Benehmen, bei einer Kategorie, die betrachtet wird, etwas Anderes zu denken und nicht diese Kategorie selbst" (ibid, S. 32).