Samstag, 22. Januar 2011

Tariq Ramadan beseelt die Schwangere Auster

Tariq Ramadan spricht über Islam in Berlin am 21. Januar 2011.

Da steht uns noch einiges bevor: Tariq Ramadan ruft die Seinen zum langen Marsch durch die Institutionen auf und erklärt ihnen auch, wie das geht. Tariq Ramadan hat für die islamische Erweckungsbewegung die gleiche Funktion, die Rudi Dutschke vor 44 Jahren für die studentische Protestbewegung hatte: die des Charismatikers, brillanten Redners, Vordenkers, Verkünders mit dem Zeug zur Ikone, die beide Geschlechter anhimmeln können. Noch nie habe ich so viele Frauen mit Kopftüchern à la mode islamique um mich herum erlebt und beifällig nicken sehen - ja, wir haben verstanden, Bruder Tariq - wie gestern beim Debattenabend über Deutschlands Muslime und europäischen Islam.

Der Unterschied zwischen beiden Populisten ist indes nicht zu überhören: Tariq Ramadan verkündet seine Botschaft hell und deutlich (in gutem, leicht verständlichem Englisch), wo Rudi Dutschke dunkel und verschwommen blieb. Der intellektuelle Muslimbruder hat nicht nur einen Plan hat, er kann ihn auch didaktisch aufbereitet, methodisch durchdacht und pädagogisch wirksam darlegen. Wären unsere Lehrer so fähig, müssten wir uns über die Indoktrination der Kopftuchmädchen an den Schulen weniger Gedanken machen. Sie würden sich dann vielleicht eher ihren eigenen Kopf machen wollen statt blindlings zu glauben, was Vater, Onkel, Brüder, Cousins und der Imam ihnen zugedacht haben.

Es ist aber nicht so, dass nur hinter jedem Tuch ein bekennender Kopf steht. Gestern Abend im überfüllten Haus der Kulturen der Welt hat sich eine islamische Frauenbewegung in Berlin gezeigt, die stolz zu erkennen gibt: unter jedem Tuch steckt ein bekennender Kopf. Diese weibliche Elite braucht keine Kopfhörer (für die Simultanübersetzung), um die Stimme des Herrn zu verstehen. Diese Frauen können Englisch, und sie sprechen natürlich fließend deutsch. Vor zehn Jahren noch hätten Frauen wie diese Karriere bei Siemens, Schering (gab es damals noch) oder bei der Lufthansa gemacht, und niemand wäre auf den Gedanken gekommen, sie seien etwas Besonderes. Heute ist jede von ihnen von weitem erkennbar etwas Besonderes - eine Muslimin.

Der lange Marsch durch die Institutionen von 1967 war antikapitalistisch motiviert, aber Rudi Dutschke rief nicht etwa zur Eroberung der Kommandohöhen der Wirtschaft auf, sondern zur Unterwanderung des öffentlichen Dienstes. Der lange Marsch von 2011 ist ebenso marktfeindlich, und deshalb ruft Tariq Ramadan die Seinen genau wie Rudi Dutschke nicht dazu auf, einen Beitrag zur Vermehrung des Wohlstands zu leisten, sondern ermuntert sie zur Teilnahme an seiner Umverteilung. Die Tochter türkischer Eltern, die vor zehn Jahren in der Wirtschaft Karriere gemacht und ihr Land bereichert hätte, ist heute studierte Muslimin, und wir werden sie demnächst im gehobenen Dienst sehen, wo die Speerspitze der islamischen Frauenbewegung schon angekommen ist (auch wenn das nicht immer auf den ersten Blick erkennbar ist).

Sitzend zur Rechten Körtings, des Berliner Innensenators, hat es die Grundsatzreferentin für interkulturelle Angelegenheiten der Senatsverwaltung für Inneres und Sport, Sawsan Chebli, schon weit gebracht. Sawsan Chebli gehört zum Vorprogramm für Ramadan, trägt kein Kopftuch, spricht aber für die Betuchten und weiß zu verkünden, dass die gegenwärtige Zurückhaltung der Sozialdemokraten wahlkampfbedingt sei (Sie wissen schon, Sarrazin) und dass mit dem Abbau von Diskriminierung (der Hürden für die Zuwanderung in die Sozialsysteme) schon bald nach der Wahl zu rechnen sei (die sie mit Leisetreterei bei Migrationsthemen wohl schon für gewonnen hält). Schöne Aussichten für alle, die den Wohlstand erarbeiten, der hier umverteilt werden soll. (Wie das heute bereits in Berlin unter Rot-Rot funktioniert, hat Henryk Broder anhand zweier Tagesspiegel-Artikel dokumentiert.)

Größter gemeinsamer Nenner aller totalitären Ideologien ist die Verteufelung der Marktwirtschaft als Quelle allen Übels. Die freie Wirtschaft scheuen die Anhänger von Glaubenslehren solcher Art wie der Teufel das Weihwasser, deshalb zieht es sie in den Staatsdienst. Und dafür gibt es auch immer einen guten Grund. Eine der Legitimationsideologien im Gefolge von Rudi Dutschke war der Eurokommunismus: die sozialistische Umgestaltung der kapitalistischen Verhältnisse mit den staatlichen Mitteln der parlamentarischen Demokratie. Das gleiche Konzept verfolgen die Muslimbrüder. Tariq Ramadans Euroislam ist kein Islam light, er ist so sehr Islam wie der Eurokommunismus ein Kommunismus war (und ist, wie die Chefin der Linkspartei unlängst klargestellt hat): statt sozialistischer eine islamische Umgestaltung der kapitalistischen Verhältnisse mit den staatlichen Mitteln der parlamentarischen Demokratie.

Die islamische Doppelstrategie folgt den vom Sozialismus (und zuvor vom Nationalsozialismus) her bekannten Taktiken. Tariq Ramadan formuliert sie für Muslime klar und deutlich. Erstens: Erkenne deinen Gegner beim Zerstörungswettbewerb der Demokratie und schalte ihn aus ("Sarrazin is a danger"). Zweitens: Habe Mut zum Muslimsein als Deutscher, Franzose, Europäer, sprich die Sprache, teile die Kultur - und bring dich ein ("make your contribution"). Übernimm Aufgaben und Ämter, betreibe Basisarbeit im Stadtteil, in Vereinen und Institutionen. So hat es einst die Rechte gemacht, so hat es die Linke gemacht, und so machen es heute die Muslimbrüder, egal ob man sie lässt (wie in Gaza) oder nicht (wie in Ägypten).

Das Publikum in der Schwangeren Auster war beseelt wie 1967 das Publikum bei den großen Teach-ins im Audimax der Technischen Universität. Wie damals ist wohl auch heute den wenigsten der Enthusiasmierten klar, wohin die Reise geht. In den über vier Stunden gab es nur eine Stimme, die sich unbeeindruckt zeigte: Es war die von Dan Diner, der darauf beharrte, dass die Rede vom Islam sinnlos bleibe, solange nicht vom Christentum die Rede sei, dessen gleichartige Anmaßung erst durch Konfessionalisierung zu neutralisieren war. Niemand ging darauf ein. Wer nicht vorher wusste, wofür Tariq Ramadan steht, hat es an diesem Abend auch nicht erfahren. Der Ungläubige war nicht Adressat. Ihm ist zu raten, dessen Bücher zu lesen und bei Ralph Ghadban nachzuschlagen, dessen Studie Tariq Ramadan und die Islamisierung Europas unter meinen Buchtipps (in der linken Randspalte) steht, oder auf die Achse des Guten zu klicken, die gestern eine ausführliche Vorankündigung für die Abendveranstaltung veröffentlichte.

Ach, und wer nicht weiß, was die Schwangere Auster ist, dem sei gesagt, dass dies der Kosename der West-Berliner für ihre Kongresshalle war. Die Kongresshalle war einmal ein Geschenk des amerikanischen Volkes an eine Stadt, deren Bevölkerung die persönlichen Freiheiten des Einzelnen und der Schutz der Bürgerrechte aller Bewohner wichtiger waren als die Verheißungen eines wahren Glaubens. Das war, bevor die Kongresshalle zum Haus der Kulturen der Welt mutierte.

Nachtrag: Im Berliner Tagesspiegel lese ich eben online, dass die Statdtverwaltung Rotterdam Tariq Ramadam als Intergrationsberater entlassen hat. Abgesehen davon, dass es zeigt, wie weit der lange Marsch den Muslimbruder schon gebracht hat, ist sein Einwand gegen die Entlassung lesenswert und kommt einem nach dem gestern Gehörten über die Doppelstrategie, Schritt eins (siehe oben), schon ganz vertraut vor:
Ramadan selbst hatte seine Entlassung in einem Beitrag für das „NRC Handelsblad“ als typisch für die durch Geert Wilders’ Rechtspopulisten aufgeheizte Stimmung in den Niederlanden bezeichnet.
Zweiter Nachtrag: Ich war gar nicht allein unter Muslimen, ein mir unbekannter Reporter des Tagesspiegels war auch da (hier sein etwas nichtssagender Bericht; am 25. Januar gab es dann noch eine Auslese von Maritta Tkalec) sowie einer von der Frankfurter Rundschau (hier sein schwer begeisterter Bericht) und ebenso ein Bekannter, ohne dass ich ihn zwischen den Kopftüchern bemerkt hätte. Er schrieb mir nach der Lektüre meines Blogeintrags einige ergänzende Eindrücke; ich gebe die Email hier mit seinem Einverständnis wider: 
Nun sind die letzten Zweifel ausgeräumt, wessen Geist die Betreiber der Schwangeren Auster sind. Der Chef/Intendant dieser hochsubventionierten Hauptstadtkulturinstitution, Bernd M. Scherer, kann in seinem Begrüßungsstatement unwidersprochen den 11. September 2001 mit dem Lehmann-Brother-Skandal im September 2008 gleichsetzen und zugleich den Boden bereiten für die folgende Jammerorgie.
Einerseits rufen sowohl Özdemir im Vorprogramm als auch Ramadan in seiner Predigt ihre Mitläufer dazu auf, nicht als Opfer zu agieren, bedienen aber gleichzeitig gerade diese Opfer- und Jammermentalität in Perfektion. Dasselbe Muster bedient Ramadan bei der Einschwörung seiner Fans auf den simplen Abwehrtrick Rassismus/Rassist. In der demagogischen Rhetorik der von ihm gebrandmarkten Populisten ist er selbst ein Meister und bedient sich dieser unaufhörlich. Man möge sich vorstellen, wie er wohl einem Closed Workshop mit islamischen Jüngern loslegt. Geschickt stellt er sich und den Islam beim Thema Antisemitismus und Islamophobie als Opfer dar, indem er sich unausgesprochen des ihm vorgeworfenen und nachgewiesenen Doppelsprechs erwehrt und diesen Vorwurf mit dem antisemitischen Klischee gleichsetzt.
Dan Diner hat es geschafft, Ramadan ins Wanken und aus dem Konzept zu bringen. Der Redefluss des Predigers kam zunächst sicht- und hörbar ins Stocken bei der Aufforderung, den Kommentar auf seine Propagandarede zu kommentieren. Da blieb ihm nur noch die Flucht in wiederholende Floskeln und Phrasen. Aber, wer hat’s im Publikum gemerkt und wen hat’s interessiert? Dan Diner saß auf einsamen Posten, und selbst die sonst so allwissende, alles verstehende und erklärende, alles relativierende und entschuldigende Islamexpertin Gudrun Krämer stand der Intelligenz eines Dan Diner hilflos gegenüber. Sie wollte doch lieber so gerne noch „einige der Thesen“ des Tariq Ramadan „vertiefen“. Unglaublich niedrig auch das Diskussionsniveau des Appetizer-Panels, enttäuschend und völlig überfordert die (sonst als Autorin von mir geschätzte) Moderatorin Caroline Fetscher. E.S.

Samstag, 15. Januar 2011

Der ewige Sündenbock ... kommt nach Berlin

Der Autor ist am 18. Januar 2011 in Berlin.

Natürlich kommt der Autor des Buchs, nicht der Sündenbock selbst; denn der ist wahlweise ein Land, Israel, oder seine Mehrheitsbevölkerung, die Juden. Der Autor des Buchs ist Tilman Tarach, und der ist so irre geworden an den Vorurteilen gegen wahlweise Israel oder die Juden, dass er, obwohl Jurist und kein Historiker, in die Tasten gegriffen hat. Nicht, um sich gegen nationalsozialistische Judenfeinde, sondern um sich gegen realsozialistische Israelfeinde zu wehren. Es ist ein Buch gegen eine Linke, die nun die Rolle der Rechten spielt: nicht mehr der Jude, Israel ist an allem Schuld.

Dabei war es die Sowjetunion, die 1948 die Waffen lieferte, mit denen sich die Juden im britischen Mandatsgebiet Palästina gegen die arabischen Angriffsarmeen verteidigten, die den Teilungsplan und die Zweistaatenlösung der UNO und somit die Gründung des Staates Israel verhindern wollten. Moskau verhinderte die arabische Lösung, die für Juden im britischen Mandatsgebiet die zweite Endlösung gewesen wäre. Das Eingreifen der Sowjets zugunsten Israels ist der erste Punkt, auf den Tilman Tarach aufmerksam macht. Die originale Endlösung hätte die palästinischen Juden um ein Haar schon ereilt, hätten die Briten nicht 1942 in der Schlacht von El Alamein den Vormarsch der nationalsozialistischen Truppen auf Jerusalem gestoppt und ihren arabischen Kolloborateuren das Heimspiel vermasselt.

Es waren arabische Nationalsozialisten, die während des Zweiten Weltkrieges und des folgenden Ersten Arabisch-Israelischen Krieges als Fünfte Kolonne im Mandatsgebiet wirkten. Ihr Führer war Adolf Hitlers Freund und Kampfgefährte Amin al-Husseini, der Großmufti von Jerusalem, ein entfernter Verwandter des späteren PLO-Führers Jassir Arafat und ein geistiger Vater der späteren Hamas, die heute über den Gazastreifen herrscht. Das ist der zweite Punkt, den Tilman Tarach gerade rückt. Wo die deutschen Revolutionstouristen der 1970er Jahre, die von RAF und 2. Juni eingeschlossen, einen besonders militanten Realsozialismus anhimmelten, war Nationalsozialismus pur, der selbst heute noch unter seiner islamischen Tarnkappe nur jenen verborgen bleibt, die auf dem rechten Auge blind sind und das Totalitäre nicht wahrhaben wollen.

Der ewige Sündenbock ist ein Buch, das so ziemlich alle linken Vorurteile über Israel auseinandernimmt, indem es sie mit den historisch verbürgten Fakten konfrontiert. Das ist auch für Leser lehrreich, die wenig Sympathie für die ewig Gestrigen haben, weil die linken Vorurteile mittlerweile den linksliberalen Mainstream so stark beeinflussen, dass antiisraelische Stellungnahmen im deutschen Feuilleton gewissermaßen zum guten Ton gehören. Ich habe das Buch, zu dessen dritter Auflage Henryk Broder ein Vorwort beigesteuert hat, mit Gewinn gelesen und in der Vergangenheit öfter mit dem Autor korrespondiert (siehe auch meinen Eintrag vom 28. Januar 2010). Deshalb freue ich mich, dass Tilman Tarach nun nach Berlin kommt, um mit uns über das Buch und hoffentlich viele neue Erkenntnisse und Einsichten zu diskutieren. Und hier die Daten der Lesung:
Dienstag, 18. Januar 2011, 18.30 Uhr
Museum für Kommunikation Berlin
Leipziger Straße 16
Nachtrag: Der Autor kommt im März noch einmal nach Berlin und wird seine Thesen in der Bundeszentrale der Linkspartei zur Diskussion stellen:
Samstag, 19. März 2011, 15.00 Uhr
Karl-Liebknecht-Haus
Kleine Alexanderstraße 28
10178 Berlin