Sonntag, 18. Dezember 2011

Irshad Manji in Berlin


Irshad Manji (links) und Johannes Kandel am 13. Dezember.
Der Muslim ist des Muslim Wolf. Von den rund Tausend Millionen Muslimen auf der Welt sehen sich wahrscheinlich neunhundert Millionen einer beständigen Gefahr für Leib und Leben ausgesetzt, die von ihren Glaubensbrüdern ausgeht. Etliche Zehntausend Muslime sterben jedes Jahr durch Gewalt im Namen Allahs: in Pakistan, im Sudan, in Somalia, in Afghanistan, im Irak, in Syrien, im Jemen, in Gaza, in Indien und Indonesien, um nur die Hotspots in einer Reihung abnehmender Lebensgefährlichhkeit zu nennen.

Unter der Herrschaft des Islams ist in etlichen Ländern nicht nur das tägliche Dasein lebensgefährlich, das Schreiben über die inhärente Gewalttätigkeit dieser Ideologie wäre noch mehr nur etwas für Lebensmüde. Deshalb ist es verständlich, dass sich muslimische Kritik am Islam praktisch nur in den Ländern der freien Welt äußert. Und es sind praktisch nur Frauen, die das tun; denn das Totalitäre ist männlich. Dabei gehen diese Musliminnen zwei im Anliegen verwandte, in der Argumentation getrennte Wege.

Die einen verlassen die Glaubenswelt des Islams, aus der sie kommen, und kritisieren sie von außen. Sie sind nun gewissermaßen Ex-Musliminnen und besonders präzise Beschreiberinnen, weil sie jedes demütigende Detail eines Lebens unter der Herrschaft des Islams erlebt und durchlitten haben. So eine Autorin ist Ayaan Hirsi Ali aus dem failed state Somalia (ihre Bücher finden Sie links in der Randspalte unter Meine Buchtipps). Sie musste erleben, dass ihr selbst im Asyl in den Niederlanden ein Muslim nach dem Leben trachtete –  ihren Kompagnon Theo van Gogh hatte er schon umgebracht. Für Ayaan Hirsi Ali ist auch die freie Welt kein sicherer Ort.
Irshad Manjis neues Buch.

Die anderen bleiben in der Glaubenswelt des Islams und kritisieren sie von innen. Sie bleiben Musliminnen und sind ebenso präzise Beschreiberinnen wie die Aussteigerinnen. So eine Autorin ist Irshad Manji, aus Uganda vertrieben und mittlerweile Kanadierin (ihr erstes und als einziges auf Deutsch erhältliches Buch ebenfalls unter Meine Buchtipps). Im Juni 2011 erschien – vorerst nur auf Englisch – ihr drittes Buch Allah, Liberty and Love, von dem sie sagt, es sei die ”Quintessenz“ ihres geistigen Schaffens: ein Bekenntnis zu einem Islam, der Selbstbestimmung als Frau und Mensch, als Lesbe und Feministin erlaubt. Geht das?

Auf Einladung eines Sozialdemokraten, der bei der Friedrich-Ebert-Stiftung für den ”Dialog mit progressiven Muslimen“ verantwortlich ist, kam Irshad Manji vor einigen Tagen schon, am 13. Dezember 2011, nach Berlin, um im großen Saal der Stiftung dem Organisator und Moderator der Veranstaltung, Johannes Kandel, Rede und Antwort zu stehen. (Dieser Blogeintrag erscheint mit Verspätung, weil ich dem Schreiben zum Geldverdienen – siehe meinen Eintrag vom 14. Dezember – dem Schreiben aus freien Stücken aus naheliegenden Gründen den Vorrang gebe.) Anschließend stellte sich Irshad Manji den skeptischen Fragen des Publikums: ein Islam mit Individualität und Lebensbejahung – geht das wirklich?

Muslimisch und geduldig sein und das noch gleichzeitig, habe ich bisher selten erlebt. Irshad Manji bring das fertig. Mit Engelsgeduld und selbst einem Islamverherrlicher (dem Einzigen im Saal) gegenüber noch freundlich, beharrt sie auf ihrem Standpunkt, dass sie sich das Recht herausnehmen könne, alles am Islam in Frage zu stellen, was ihr fragwürdig vorkomme: ”I fell in love with questioning“. Sie schildert die Gehirnwäsche an der Koranschule, mitten im freien Kanada, nachzulesen in ihrem Buch Der Aufbruch, und wie es eines Tages ”Klick“ gemacht habe: Sie begann, Fragen zu stellen. Da war sie vierzehn – und musste die Koranschule verlassen.
Fragen aus dem Publikum, Irshad Manji hört geduldig zu.

Nur eine selektive Koranlektüre hilft aus der Bevormundung durch muslimische Führer, die oft nur Verführer sind, ist eine frühe Erkenntnis der jungen Irshad. Die ebenso selektive Lektüre der selbsternannten Gottesdeuter ermuntere die Selbstisolation der Diasporagemeinschaften, die Ablehnung der umgebenden offenen Gesellschaft und eine unangebrachte Überheblichkeit. Irshad Manji lernt früh, sich die Rosinen aus dem Koran zu picken und sie gegen die faulen Äpfel ihrer Gegner zu behaupten. Das ist eine legitime Herangehensweise, Juden und später auch Christen praktizieren sie mit ihren heiligen Texten seit dreihundertvierzig Jahren.

”Dare to be an individual“ lautet Irshad Manjis Botschaft an junge Musliminnen, die ihre Hauptleserschaft sind. Damit stellt sie den Kollektivismus der islamischen Ideologie vom Kopf auf die Füße und holt obendrein Die Hälfte des Himmels auf die Erde. Das nehmen ihr muslimische Männer (”I have two enemies: angry muslim men and angry atheists“) besonders übel: Auf ihrer – englischsprachigen – Website berichtet Manji vom Amsterdamer Aufruf zu ihrer Ermordung. Wie Ayaan Hirsi Ali ist auch Irshad Manji in der freien Welt nicht sicher – und da ist es einerlei, ob sie Muslimin ist oder nicht. Die Veranstaltung in Berlin, wenige Tage nach den Amsterdamer Ereignissen, musste unter Polizeischutz stattfinden.
Grauhaariger Sympathisant mit Manji.

Grauhaarige Sympathisanten der Friedrich-Ebert-Stiftung, wie ich es einer bin, machten die Mehrheit des Publikums aus – und ich hatte in der Überzahl schwarzhaarige Sozialdemokraten erwartet, ist doch in Berlin die SPD politische Heimat etlicher Verbandsmuslime, aus deren Mitte jetzt sogar eine SPD-Senatorin stammt. Von den progressiven Muslimen – anders als bei der Tagung vom 20. bis 22. Oktober – kaum eine Spur und auch nicht von Jusos mit Migrationshintergrund oder Musliminnen aus einem der zahllosen öffentlich-rechtlich geförderten Integrationsprojekte, mit denen inzwischen gefühlt mehr Mitbürger ihren Lebensunterhalt verdienen als im Obst- und Gemüsehandel. Wo waren die denn, Herr Kandel?

Nachtrag: Mit Irshad Manji haben Andrea Seibel und Richard Herzinger an einem Folgetag in Berlin ein Gespräch für DIE WELT geführt und es am 21. Dezember online verfügbar gemacht. Darin erläutert Manji ihre hier nur angedeuteten Positionen.
  

Mittwoch, 14. Dezember 2011

Goldman Sachs, die beste Kaderschmiede der Welt


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Gute Banker kommen in den Himmel – die von Goldman Sachs kommen überall hin. Mit dieser Vorzeile beginnt mein Text, der heute im Informations- und Hintergrund-Dienst Der Hauptstadtbrief (Ausgabe 105, S. 47) online und gedruckt erscheint. Hier die nur geringfügig optimierte Blogversion:

Ausgabe Nummer 105 vom 14. Dezember 2011.

Leistungsträger, die 30 Millionen Euro oder auch nur 15 Millionen Euro Jahresgage kassieren, sind in Deutschland wohlgelitten, solange es sich um Solisten handelt und die erbrachte Leistung in der Hauptsache aus Beinarbeit besteht: Gas geben, bremsen; Ball stoppen, kicken. Die Zuneigung zu hochbezahlten Leistungsträgern sinkt rapide, sobald deren eigentlicher Leistungsort zwischen den Ohren sitzt und statt zweier Beine, sagen wir, dreißigtausend Mitarbeiter und siebzig Milliarden Umsatz zu bewegen hat. Heißen die Gagen dann noch Boni und wird damit eine Leistung honoriert, die im Wesentlichen in der Geldvermehrung aus dem Nichts besteht, kennt die Abneigung schnell keine Grenzen mehr.


Kommt die Rede auf „die Banker“, hat das für die Angesprochenen einen deutlichen Nachteil: Sie sind, anders als ihr Nebenbuhmann, „die Märkte“, personalisierbar, haben Namen, wie auch ihre Arbeitgeber, und sind ein leichtes Angriffsziel. Ein großer Name in der Finanzwelt ist New Yorks Investmentbank Goldman Sachs. Für gute Banker gilt, dass sie in den Himmel kommen – die von Goldman Sachs kommen überall hin. Sie werden Finanzminister, Ministerpräsident, Firmenvorstand, Notenbankchef.


„Goldman Sachs sitzt am Tisch“, heißt es dieser Tage häufig, wenn Regierungen und Notenbank Rettungsschirme basteln. Wer so spricht, hat Italiens Ministerpräsidenten Mario Monti vor Augen, wie sein Vorvorgänger im Amt, Romano Prodi, ein Goldman-Sachs-Mann und den Präsidenten der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, auch er ein „Goldman“. Bei künftigen Verhandlungen wird sich zu ihnen Paul Achleitner gesellen, der am 31. Mai 2012 den Aufsichtsratsvorsitz der Deutschen Bank übernehmen wird. Er war 1999 beim Börsengang einer der 221 Partner von Goldman Sachs (Erlös 3,6 Milliarden Dollar). Goldman Sachs ist, ohne einem Mitbewerber wehzutun, die beste Kaderschmiede der Welt.


Das gilt auch fürs Heimatland USA (dessen Deutschland-Botschafter Philip D. Murphy, by the way, ein „Goldman“ ist): In Washington wechselte Henry Paulson 2006 von der Spitze von Goldman Sachs an die Spitze des US-Finanzministeriums (bis 2009). Würde so ein Personaltransfer nur die Implantation finanzpolitischen Sachverstands bedeuten, wer könnte Einwände haben. Finanzminister Paulson aber traf sich 2008 mit seinen Goldmännern, um die bevorstehende Lehman-Pleite zu bekakeln, wie das Handelsblatt am 1. Dezember 2011 enthüllte. Das klingt nicht mehr nach Kaderschmiede, das riecht nach Seilschaft.