Freitag, 10. Juli 2009

Der Mann auf der Mauer


Was für ein drolliger Film! Oder war es die Doppelstadt Berlin-West und -Ost, die so drollige Figuren wie den Mauerspringer Arnulf Kabe, klasse gespielt von Marius Müller-Westernhagen, hervorbrachte vor langer, langer Zeit? Oder hatte das Elend der deutschen Teilung, die im Jahr 1982 den Szene-Berliner herzlich herzlos kalt ließ, eben auch drollige Züge? Ein bisschen von allem trifft zu auf Reinhard Hauffs Film Der Mann auf der Mauer. Das Drehbuch zu dem Film von 1982 hatte Peter Schneider geschrieben, ein Lesebuch folgte im selben Jahr unter dem Titel Der Mauerspringer (noch erhältlich bei Amazon; dort schreibt ein missvergnügter Kunde: "Langweiliges Buch über Ost-West-Kacke"). Der Film jedenfalls ist kurzweilig, skurril und eine Wiederbegegnung mit einer Vergangenheit, an teilgenommen zu haben man nicht mehr für möglich hält. So weit weg ist das alles, dabei habe ich in diesen 1980er Jahren Zitty gemacht, war mittendrin im Mauerstadtirrsinn und kannte sogar einen, der mit einem echten Mauerspringer befreundet war.

20 Jahre Mauerfall, und einer tut was. Aber es ist nicht arte, es ist Ars Sacrow, der rührige Verein zur Förderung des Kulturerbes in Potsdam-Sacrow, der die AugenBlicke im Schloss präsentiert. Das Schloss ist das königlich-preußische Schloss Sacrow (Abbildung oben rechts, fünf Autominuten oder fünfzig Laufminuten südlich von Berlin-Kladow, also ganz nah für mich), und die Filmreihe zum Mauerfall organisiert ehrenamtlich Vereinsmitglied Joachim von Vietinghoff, im Hauptberuf Filmproduzent in Berlin. Die Filme laufen jeweils am letzten Freitag des Monats im Spiegelsaal-Kino (auf dem Foto der Anbau ganz rechts im Schatten - Bild durch Anklicken vergrößern, dann lässt sich alles besser erkennen), der heutige Termin war eine Ausnahme. Eine lohnenswerte; denn es gibt stets nicht nur den Haupt-, sondern auch noch einen Vorfilm zu sehen (heute eine fabelhafte SFB-Produktion von 1985 mit fiktivem, vorweggenommenem Mauerfall; beim letzten Mal waren es Karin Bandelins 14 Minuten vor Mitternacht Achtung, Sie verlassen jetzt West-Berlin), und es sind stets Gäste da, heute Peter Schneider, der im Gespräch mit Michael Strauven Auskunft über Film, Buch und Zeitgeist gab. (Schade nur, dass der Gast so spät kam, gern hätte ich ihn noch zum Springer Tribunal befragt - siehe meinen letzten Eintrag vom 3. Juli). Die AugenBlicke zum Mauerfall sind ein Konzept, das sicher einem größeren Publikum gut täte. Wünschenswert wäre es, wenn arte im Herbst, wenn das Mauerfalljubiläum näher rückt, etwas Gleichwertiges auf die Beine stellte.

Freitag, 3. Juli 2009

Springer Tribunal


Das finde ich eine sehr gute Idee. Die Axel Springer AG selbst will im Herbst, Oktober oder November 2009, ein Springer Tribunal ausrichten, bei dem es um die Rolle der Printmedien dieses Konzerns (Bild, BZ, mopo) während der Studentenunruhen in den Jahren 1967 und 1968 gehen soll. Der Chefredakteur der Welt, Thomas Schmid, hat das gestern in seinem Blog angekündigt und begründet:
Kürzlich wurde bekannt, dass der Westberliner Polizist, der am 2. Juni 1967 den Studenten Benno Ohnesorg erschoss, im Nebenberuf SED-Mitglied und Stasi-Mitarbeiter war. Das war nun doch eine Überraschung, und in dieser Zeitung ist die Frage aufgeworfen worden, ob das nicht neue Fragen aufwerfe. Immerhin, der Mann, der Benno Ohnesorg erschoss, war nicht nur Repräsentant des bundesrepublikanischen Obrigkeitsstaates, sondern repräsentierte auch das "bessere Deutschland", die DDR. Manche jedoch sahen wenig Grund zu neuem Nachdenken und warfen dem Verlag Axel Springer vor, er wolle nun den Spieß umdrehen, die Geschichte der Studentenbewegung umschreiben und als später Sieger aus dem Duell "Enteignet Springer!"-Kampagne gegen Verlag Axel Springer hervorgehen. Das will, das soll geklärt sein.
Deswegen nimmt der Verlag den Faden auf, den die Springer-Gegner vor Jahrzehnten fallen gelassen haben. Im Frühjahr 1968 war in West-Berlin ein "Springer-Hearing" geplant, das auch als "Springer-Tribunal" konzipiert war. Dort sollten die Zeitungen des Hauses analysiert und als Organe politischer Hetze entlarvt werden. Doch das Tribunal fand nie statt. Das ist schade. Der Verlag Axel Springer will Abhilfe schaffen: Er wird das Tribunal in diesem Herbst nachholen, und zwar im eigenen Haus.
[Quelle: Welt online]
Mir gefällt diese Idee aus zwei Gründen: Seit dem 30. April 2009 gibt es in Berlin-Kreuzberg die Rudi-Dutschke-Straße, die mit der Axel-Springer-Straße eine gemeinsame Ecke bildet, in der das Springer-Hochaus steht (siehe auch meinen Eintrag vom 18. April 2009 mit einem Absatz zum historischen Kompromiss an der Kochstraße). Die Namensgebung erfolgte konfrontativ auf Betreiben von Teilnehmern und Nachfahren der Protestbewegung von 1967/68. Die Konfrontation empfand ich schon damals als Ausdruck gestriger Gesinnung. Viel mehr hätte ich mir gewünscht, dass Friede Springer und Gretchen Dutschke, die beiden Witwen der Kontrahenten von einst, sich unter dem Straßenschild die Hand gereicht und sich anschließend für eine Aussprache unter vier Augen zurückgezogen hätten. Und die Erben, die Verlagsführung auf der einen Seite, die Protestbewegten auf der anderen, hätten sich gemeinsam an einen Tisch setzen und reden sollen: Was war das damals? Und was sagen wir heute dazu? Dieser Teil meines Wunsches scheint nun im Oktober nachträglich in Erfüllung zu gehen. Das ist gut.

Als zweites habe ich einen persönlichen Grund. Im letzten Jahr, 2008, ging es um 40 Jahre 1968. Ursprünglich hatte ich die Absicht, mein Buch von 1988 (darin geht es um 20 Jahre 1968 - Abbildung oben rechts) online wiederzuveröffentlichen und aus heutiger Sicht zu kommentieren. Das habe ich sein gelassen, weil ich fand, in den letzten 20 Jahren keinen nennenswerten Erkenntniszuwachs zu dem Thema erzielt zu haben. Das änderte sich erst, als ich im Frühjahr 2008 einige Jubiläumsveranstaltungen besuchte. Sie waren der Auslöser zum Führen dieses Blogs (siehe meinen ersten Eintrag vom 12. April 2008). Der Erkenntiszuwachs lautete nun: Die Zeiten haben sich geändert, aber die 68er nicht mit ihnen. Im Gegenteil: Eine schier unfassbare Reideologiesierung der Linken findet statt und mit ihr die Rückkehr zur totalitären Matrix.

Das geplante Springer Tribunal kommt mir sehr entgegen. Es ist ein guter Anlass, den Faden vom letzten Jahr wieder aufzugreifen. Ob die Veranstaltung ein Erfolg wird, hängt am Ende von der Linken ab. Denn die erfreuliche Entideologisierung aller Diskurse von Atomkraft bis Schwulenehe hat zwar weite Teile der bürgerlichen Mehrheit erfasst (und nicht nur ihre intellektuellen Spitzen), aber die bürgerliche Minderheit, die allem und jedem marktorientierten Denken und Handeln ablehnend bis feindselig gegenüber steht, geht gerade in die entgegengesetzte Richtung. Das Echo, das die Ankündigung des Tribunals in diesen Kreisen heute fand, fiel entsprechend negativ aus. Kein gutes Wort beim Autor von spiegel online oder bei dem der taz. Na, dann schaun wir mal.