Mittwoch, 25. März 2009

David Byrne im Tempodrom


Aus heutiger Sicht liegen die 1980er Jahre ja auch schon wieder fast 30 Jahre zurück, die frühen jedenfalls, als die New Yorker Formation Talking Heads ihre ersten großen Erfolge feierte. Wobei groß im Grunde genommen ziemlich klein zu schreiben ist; denn außerhalb einer avantgardistischen Funk- und Tanzmusikszene waren die Heads um Sänger David Byrne und Bassistin Tina Weymouth weitgehend unbekannt. Erst Jonathan Demme ("Philadelphia") verhalf ihnen mit seinem Konzertfilm Stop Making Sense 1984 zu einem Durchbruch bei einem breiteren Publikum. Aber auch das ist nun 25 Jahre her.

Am vergangenen Montag jedenfalls hat sich David Byrne ins Berliner Tempodrom getraut und es tatsächlich so gut gefüllt, dass beim Publikum beste Stimmung aufkam. Und er hat es geschafft, seine Fangemeinde in Tanzlaune zu versetzen. Am Ende war vor der Bühne Party. Auf dem Foto oben rechts (ein Klick vergrößert es auf Monitorformat) ist das schlecht zu sehen, aber auf meinen Videos ist das teilweise zu erkennen. Dabei hatte David Byrne uns vorgewarnt, beim Filmen mit dem Mobiltelefon könnte eher die Glatze unseres Vordermannes als sein eigner grauer Haarschopf ins Bild rücken. Soviel zum erwarteten Durchschnittsalter des Publikums. Das war so zutreffend wie belanglos, who cares.

Was den Abend bemerkenswert machte, war die Frische einer Musik, die einmal ganz neu war und die New Wave der Achtziger um einen ganz eigenen Klang bereichert hatte. Schon 1981 hatte David Byrne ein Soloprojekt mit Brian Eno durchgezogen, dem Mitbegründer von Roxy Music, einer ebenfalls wegweisenden englischen Band: My Life in the Bush of Ghosts. An diese Koproduktion knüpft jetzt, 28 Jahre später, die aktuelle, wieder mit Eno koproduzierte CD Everything That Happens Will Happen Today an. Diese CD vorzustellen, war David Byrne am 23. März nach Berlin gekommen. Es wäre unzutreffend, hier etwas Neues ausmachen zu wollen. Aber der Abend zeigte die Nachhaltigkeit einer mittlerweile klassischen Pop-Moderne, die mir wiederum zeigte, wie richtig es in meinen Zitty-Jahren gewesen war, auf Talking Heads und andere Innovatoren gesetzt zu haben. Ein angenehmer Abend. Wohlgefühl, Zufriedenheit. Danke, David.
 

Donnerstag, 5. März 2009

Arabboy hat viele Stärken und eine Schwäche


Aktuelle Vorbemerkung vom 1. Juli 2011: Der folgende Blogeintrag vom 5. März 2009 ist keine Besprechung des Buches, sondern trägt einen Einwand zu einer unzutreffenden Aussage vor. Seit der zweiten Auflage ist diese Aussage korrigiert, mein Einwand also gegenstandslos. Als historisches Dokument eines aufschlussreichen Vorgangs lasse ich den Blogeintrag unveränder stehen. Arabboy gibt es jetzt in einer günstigen Ausgabe für 4,50 Euro bei der Bundeszentrale für politische Bildung.

Um es frei heraus zu sagen: "Arabboy" ist ein wertvoller Beitrag zur Beantwortung der Frage, wie die deutsche Mehrheitsgesellschaft mit den muslimischen Parallelgesellschaften umgehen soll. Ich benutze den Plural; denn Güner Balci, deren Eltern aus der Türkei nach Berlin kamen, beschreibt das arabische Milieu der Hauptstadt, nicht das türkische. Es ist also ein Buch über die Eigenheiten der arabischen Parallelgesellschaft, mithin die Schilderung eines Teilbereichs der muslimischen Diaspora.

Um es kurz zu sagen: Nach 286 Seiten ist klar, dass es diese Teilmenge niemals hätte geben dürfen. Und dass es nun, nachdem das Kind in den Brunnen gefallen ist, politische Aufgabe und Ziel sein muss, das Kind aus dem Brunnen zu ziehen und den Status quo ante wieder herzustellen. Anders wird die Zivilgesellschaft keinen Frieden finden und ihre Freiheit nicht bewahren können. Und es gibt auch keinen Grund, anders verfahren zu wollen; denn die Ursache des Zuzugs dieser arabischen Flüchtlinge, der Libanonkrieg von 1982, liegt 27 Jahre zurück. Seither ist der Libanon zu einem Land geworden, in dem sich Araber jede Freiheit herausnehmen können und das auch tun, wie zuletzt der (am Ende gescheiterte) Angriff der Hisbollah auf den Nachbarn Israel deutlich gemacht hat.

Das Stichwort Israel führt zur einzigen Schwäche dieser ansonsten ausgezeichneten Schilderung eines frauen- und inländerfeindlichen, durch und durch totalitären arabisch-muslimischem Milieus. Auf Seite 27 schreibt Güner Balci über Rashids Eltern - Rashid ist der titelgebende "Arabboy":
"Rashids Eltern zählten zu den vielen tausend geduldeten Kriegsflüchtlingen, die hier, in Deutschland, Aufnahme fanden, nachdem Israel 1982 Teile des Südlibanons besetzt hatte und bis West-Beirut vorgedrungen war, der Heimatstadt von Rashids Eltern. [...] Leila [Rashids Mutter] war dabei gewesen, als israelische Soldaten bei einem Massaker in den Flüchtlingslagern von Sabra und Schatila in Beirut zwei ihrer fünf Brüder auf offener Straße hinrichteten."
Die Massaker von Sabra und Schatila sind nicht von Israelis, sondern von Libanesen verübt worden. Sie waren Teil der Auseinandersetzung zwischen christlichen Milizen und palästinensischen Kämpfern um die Macht im Libanon. Einige Israelis machen sich heute Vorwürfe, diese Massaker nicht rechtzeitig gestoppt zu haben - der Film Waltz With Bashir, auf den ich bereits zwei Mal in meinem Blog zu sprechen kam (siehe Einträge vom 21. November 2008 und 12. Januar 2009 weiter unten), handelt davon.

Es ist unverständlich, warum Güner Balci diese unzutreffende Behauptung in den Raum stellt - auch wenn es hier nur zur literarischen Konstruktion einer arabische Opferbiografie dient. Es ist unverzeihlich, dass ihr Lektorat diesen Passus nicht korrigiert hat. Keine mir bekannte Quelle weist auch nur auf eine Teilnahme von Israelis an den Massakern hin - dass die Massaker in diesem Roman sogar als israelische Massaker dargestellt werden, möchte ich nicht hinnehmen. Es wäre gut, wenn sich der S. Fischer Verlag bei einer wünschenswerten zweiten Auflage an dieser Stelle mit der Autorin auf eine Korrektur verständigt, die den historischen Tatsachen Rechnung trägt. Ein britischer Bischof, der den Mord an Juden leugnet, eine deutsche Autorin, die den Mord durch Juden erdichtet, das stimmt mich unfroh.

POSTSCRIPTUM
Soeben teilt mir die verantwortliche Mitarbeiterin des S. Fischer Verlags auf meinen ihr emailig vorgetragenen Einwand hin folgendes mit:
"Vielen Dank für Ihren kritischen Hinweis in Güner Balcis Buch "Arabboy". Ihr Einwand ist vollkommen berechtigt - in der zweiten Auflage des Buches, die wir im November 2008 (schon kurz nach Erscheinen des Buches Anfang September) nachgedruckt haben, ist die Stelle auf Seite 27 des Buches deshalb auch bereits entsprechend korrigiert. Wir bitten ausdrücklich um Entschuldigung für diesen Fehler!"
Ich habe sie um den Wortlaut der neuen Textpassage gebeten, die ich nach Eingang hier zitieren werde. +++ Der neue Text der zweiten Auflage liegt mir nun vor. Der Satz lautet jetzt nach Angabe des S. Fischer Verlags so:

»(...) Leila war dabei gewesen, als christlich-libanesische Phalange-Milizen das Massaker von Sabra und Schatila mit Billigung der israelischen Armee verübten. Zwei ihrer fünf Brüder wurden auf offener Straße hingerichtet. (...)«
Na ja, völlig im grünen Bereich würde der Satz wohl anders klingen, aus dem roten ist er jedenfalls raus. Warum sieht es dennoch nach tief Gelb aus? Erstens natürlich wegen des "mit Billigung der israelischen Armee". Würden wir für die entsprechenden nationalsozialistischen Verbrechen sagen, sie seien "mit Billigung der deutschen Bevölkerung" geschehen? Wir würden wohl vom "Wegsehen" sprechen. Die Massaker in den Flüchtlingslagern wurden ja gerade deshalb am Ende von der israelischen Armee unterbunden, nachdem einzelne israelische Soldaten nicht länger wegsehen mochten und Druck auf ihre Vorgesetzen ausgeübt hatten. Ein Mit-Leiden, das in der deutschen Bevölkerung zur Zeit des Nationalsozialismus wenig verbreitet war, woran uns dieser Tage der Film Der Vorleser noch einmal mit beklemmenden Szenen aus dem Auschwitz-Prozess erinnert.

Und nun zum zweiten unbefriedigenden Punkt der Korrektur. Haben Sie den Unterschied zwischen Aktiv und Passiv bemerkt? Alte Fassung, aktiv: "als israelische Soldaten bei einem Massaker [...] zwei ihrer fünf Brüder auf offener Straße hinrichteten". Neue Fassung, im Anschluss an "mit Billigung der israelischen Armee", passiv: "Zwei ihrer fünf Brüder wurden auf offener Straße hingerichtet." Wurden hingerichtet, von wem? Eine redliche Korrektur hätte gelautet: "Die Milizionäre richteten zwei ihrer fünf Brüder auf offener Straße hin." Ein klarer Fall für den Aktiv.

Wieso werde ich den Verdacht nicht los, dass der "Fehler", für den sich S. Fischer entschuldigt, systemisch ist, um ein neues Modewort zu erproben, und auf die "Korrektur" abfärbt. Rund sechzig Prozent der Deutschen halten Israel für die größte Gefahr für den Weltfrieden, wie eine lange unter Verschluss gehaltene EU-Studie vor zwei oder drei Jahren ermittelt hatte. Und es gibt seit 9/11 einen wachsenden muslimischen Antisemitismus, der im November Gegenstand einer Tagung an der TU Berlin war oder hätte sein sollen, an der ich teilnahm. Kann es sein, dass diese beiden Tendenzen so wirkmächtig sind, dass sich Autorin und Lektorat ihnen weder in der ersten noch in der zweiten Auflage völlig zu entziehen vermochten?

Ich habe den Eindruck, seitens des S. Fischer Verlags wird dem "Fehler" keine große Bedeutung beigemessen, zumal er ja "korrigiert" ist. Es liegt mir fern, den Lapsus skandalisieren zu wollen, dazu ist Güner Balcis "Arabboy" ein viel zu wichtiges Buch zur richtigen Zeit. Aber die erste Auflage mit angeblichen israelischen Gräueltaten hat sich ja nicht in Luft aufgelöst. Sie liegt zu hunderten Exemplaren in unseren öffentlichen Bibliotheken, genauer liegt sie dort nicht, sondern die 42 theoretisch verfügbaren Exemplare sind in Berlin dauernd ausgeliehen und oft nur auf Vorbestellung zu haben.

Wenn Autohersteller Fahrzeuge mit Mängeln ausgeliefert haben, rufen sie diese Wagen bei Bekanntwerden des Mangels sofort zurück. Da wird gar nicht diskutiert. Die Werkstätten beheben den Mangel auf Kosten des Herstellers. Warum geht es einem mangelhaften Buch im Vergleich mit einem mangelhaften Auto so schlecht? Und das Buch wird obendrein noch mit ermäßigten 7 % Umsatzsteuer und durch Buchpreisbindung als Kulturgut vom Staat gleich doppelt gepämpert. Armes Buch, wärst du doch ein Auto.

Dann müsste ich mich nicht wie heute nachmittag geschehen von einer patzigen Mitarbeiterin belehren lassen, "solche Diskussion" führe man in einer (ihrer) öffentlichen Bibliothek nicht. "Solche Diskussion" hatte ich bei der Rückgabe des "Arabboy" ausgelöst mit der Überlegung, ob es nicht besser wäre, statt der ersten künftig die zweite Auflage zu verleihen. Die Vorstellung, dass vor allem in Berlin-Neukölln, der Hochburg des neuen muslimischen Antisemitismus und der Arabboy-Ausleiher ("Keine verfügbaren Exemplare, Vormerkung möglich"), das Buch in erster, unkorrigierter Fassung durch hunderte von Händen wandert, macht mich unruhig. Ich spüre, wie es auf Seite 27 in hunderten von Hirnen rumort: Aha, und wer ist wieder mal an allem Schuld? Na klar, die Juden. Sonst wären die doch gar nicht hier, die Araber.
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NACHTRAG
Bei Hugendubel
am Tauentzien Ecke Rankestraße stehen am 8. April genau 8 Exemplare des Arabboy im Regal: 5 Exemplare der zweiten Auflage und 3 der ersten. Wer hier danebengreift, nimmt die Mär vom mörderischen Juden nach Haus. Das ist nicht gut. Wären die Herstellung und die Verbreitung von Büchern in Deutschland nicht von Staats wegen durch Buchpreisbindung und Umsatzsteuerbegünstigung reguliert, läge ein klarer Fall von Marktversagen vor. Im deutschen Buchwesen hat sich die Marktwirtschaft jedoch nie völlig gegen die Restposten nationalsozialistischer Staatswirtschaft durchsetzen können. Wie die Dinge liegen, ist mit der causa Arabboy ein weiterer Fall von Staatsversagen zu beklagen. Dass die Sozialdemokraten nun auch einen Teil der Autoindustrie unter Kuratel stellen wollen, verheißt nichts Gutes. Am Ende wird man sagen: Armes Auto, jetzt gehts dir wie 'nem Buch. Du hast Mängel? Da pfeifen sie drauf.