Samstag, 14. Februar 2009

La Teta Asustada: Goldener Bär - antitotalitär


Die Krankheit "teta asustada" ist Folge und bewirkt Verstetigung des totalitären Traumas. Claudia Llosa ist eine Parabel über den linken Terror gelungen, ohne ihn auch nur zu erwähnen.

Die verdorbene Brust wäre wohl die - in jeder Hinsicht - direkte deutsche Übersetzung für La Teta Asustada. Auf der Berlinale 2009 lief der Film aus Peru unter dem englischen Titel The Milk Of Sorrow im Wettbewerb, "Die Milch des Leids", auch das eine gelungene, den Sinn treffende Übertragung. Gestern habe ich ihn gesehen, als einzigen Wettbewerbsbeitrag überhaupt, soeben hat das Drama von Claudia Llosa den Goldenen Bären als bester Film gewonnen.

Das ist bemerkenswert, nicht wegen der instinktsicheren Wahl des richtigen Films, sondern weil überhaupt noch nie ein peruanischer Film am Wettbewerb teilgenommen hatte. Und wäre nicht mein Sohn Leonard seit einem halben Jahr "nebenan" in Ecuador (siehe Einträge vom 11. Juli 2008 und 16. Juli 2008 weiter unten), wer weiß, ob Peru und Kino in meinem Kopf je zusammengekommen wären. So aber war ich bereit zu sagen: eine Geschichte aus Peru, warum nicht? Sie handelt von Fausta (in der Abbildung oben die junge Frau, über ihre sterbende Mutter gebeugt), überragend gut gespielt von Magaly Solier, und geht kurz gefasst so:
"Ihre Mutter wurde zur Zeit des Terrors durch die Guerilla-Organisation Leuchtender Pfad in den 80er- und 90er-Jahren ein Opfer von Vergewaltigung. Die nun erwachsene Tochter, zum Zeitpunkt des Gewaltaktes im Mutterleib, trägt psychisch schwer an den Folgen. Nach einem Volksglauben wird das Leid der Geschändeten über die Muttermilch an die Nachkommen weitergegeben. Tausende Menschen in Peru leiden an der La Teta Asustada genannten Krankheit, die Schwermut und Ängste auslöst, und für die die Wissenschaft noch keine schlüssige Erklärung hat." (Focus um 20:46 Uhr im ersten online veröffentlichten Siegerbericht. Sehr treffend auch die Besprechung bei arte online.) Bei der Deutschen Welle hatte der Film gleich nach der Vorführung am Donnerstag ein positives Echo gefunden:
"The Milk of Sorrow ist alles andere als eine Komödie. Vielmehr spielt der Film mit verschiedenen Motiven des magischen Realismus und ist eine Art Passionsgeschichte einer jungen Peruanerin. Das ganze spielt am Rande der Hauptstadt Lima in den hoch gelegenen Elendsvierteln der Metropole."
Es ist diese Milch des Leids, die Fausta als Muttermilch eingesogen hat, die das Merk-Würdige des Films ausmacht. Es ist toxische Milch, vergiftet durch die Erfahrung des totalitären Dreiklangs von Anmaßung, Unterwerfung, Enteignung. Das Totalitäre ist eben nicht nur ein abstrakter Gewaltakt gegen die Gesellschaft, es ist ein konkreter Gewaltakt gegen den einzelnen Menschen, vorzugsweise gegen den mit weiblichem Körper. Anmaßung: Jetzt bestimmen wir. Unterwerfung: Beug dich nieder. Enteignung: Jetzt nehmen wir dir - dich weg.

Die verdorbene Brust ist Folge und bewirkt Verstetigung des totalitären Traumas. Claudia Llosa ist eine Parabel über den linken Terror gelungen, ohne ihn auch nur zu erwähnen. Und doch wird jeder in Peru oder auch in Kolumbien, wo die maoistische Guerilla bis heute operiert, sogleich wissen, wovon die Rede ist. Den eher verstörenden als betörenden magischen Realismus teilt die Regisseurin mit ihrem Onkel, dem Schriftsteller Mario Vargas Llosa. Das antitotalitäre Anliegen teilt sie mit einem anderen Verwandten, dem Autor der Washington Post und Mitarbeiter des Independent Institute in San Francisco, Alvaro Vargas Llosa. Wen hat die Familie denn noch zu bieten?