Montag, 29. Juni 2009

Olaf Leitner: "Wir haben den Grimme Online Arward"


Ein guter Bekannter aus alten Zitty-Tagen freut sich: Vor kurzem, am 24. Juni, ging der Grimme Online Arward 2009 an das Internetradio ByteFM (die Abbildung rechts zeigt die Homepage), und Olaf Leitner ist einer der Moderatoren dieses innovativen Onlinesenders. Seine Sendung Der West-Östliche Diwan ist alle zwei Wochen sonntags von 15-16 Uhr zu hören, die nächste am 12. Juli 2009. Herzlichen Glückwunsch, Olaf, dir und dem ganzen Team!

Olaf Leitner war in den 1980er Jahren eine wichtige Figur in der West-Berliner Szene, weil er als Musik- und Kulturredakteur beim RIAS immer darauf drang, über den Tellerrand zu gucken, der in Berlin eine Mauer war. Das war uns bei Zitty gerade recht, hatten wir doch mit unseren VEBerlin-Seiten als einzige im Westen ein 14-tägiges Ost-Berlin-Programm im Angebot und auch sonst immer wieder Beiträge aus der dortigen Subkultur und über sie - sehr zum Ärger der DDR-Behörden. 2002 hat mich Olaf Leitner für sein Erinnerungsbuch West-Berlin. Westberlin. Berlin (West), in dem es über Kultur, Szene und Politik in den Achtzigern geht, interviewt. Das war eine schöne Gelegenheit, von den letzten Jahren der Frontstadt vor dem Mauerfall zu schwärmen - und froh zu sein, das es sich bei alledem um abgeschlossene Vergangenheit handelt. Über den Charakter der DDR waren wir uns (anders als heute etliche Deutsche - siehe Eintrag vom 23. Mai) einig. Und nun also ByteFM. Olaf Leitner hat mir die folgende Siegesmeldung geschickt:
ByteFM ist ein Musikradio mit Anspruch – wie es wahrscheinlich nur im Internet existieren kann. Moderiert und gestaltet von Musikjournalisten, Musikern und Kennern der Szene, unabhängig von Plattenlabels und Werbekunden. Die Musik wird noch von Hand ausgewählt, gespielt werden neue und alte Platten ohne Superhits und Computerrotation, Mitschnitte von Live-Konzerten und exklusive Mixe von lokalen und internationalen DJs. Zusätzlich gibt es Interviews und Hintergrundinformationen über Musik und ihre Macher, Szenen, Bands, Entwicklungen und Zusammenhänge. Internetadresse: www.byte.fm

Begründung der Jury

"I am a DJ, I am what I play" sang David Bowie, bevor der kommerzielle Umbruch der Radiosender den geschmacksbildenden Radio-DJ durch den chartgesteuerten Computer ersetzte. Dass erst ein neues Medium genau das auferstehen lässt, was viele mit Wehmut an die früher vor dem alten Medium verbrachten Stunden zurückdenken lässt, mag Ironie des Schicksals sein. Doch ist "ByteFM" kein verklärter Blick in die Vergangenheit, sondern eine von Musikliebhabern für Musikliebhaber gestaltete und betriebene Plattform, die geschickt die Möglichkeiten des neuen Mediums nutzt, die Grenzen des Browsers durchbricht und über mehrere Kanäle hinweg ein stimmiges Erlebnis bietet. Die anspruchsvolle Technik bleibt dabei angenehm im Hintergrund, um dem Musikgenuss mehr Raum zu bieten. Von der Gestaltung der Website über den in einer unaufdringlichen Zusammenarbeit mit Panasonic angebotenen Player bis hin zu den redaktionellen Inhalten wird Qualität geboten, die nun ausgezeichnet wird.

Lediglich einen Wunsch kann "ByteFM" nicht erfüllen: Ein Archiv der Sendungen, so dass eine verpasste Sendung auch später noch gehört und die Nicht-Linearität eines Web-Radios ausgenutzt werden kann. Doch dieser Wunsch richtet sich eigentlich an die Musikindustrie, die gerade den Musikliebhabern, von denen sie ja schließlich lebt, bessere Nutzungsmöglichkeiten einräumen sollte.

"Video Killed the Radio Star" sangen die Buggles, und YouTube scheint diese Entwicklung zu beschleunigen, angefacht durch virales Marketing und crossmedialen Werbedruck. Gerade darum wird ein Kontrapunkt wie "ByteFM" dringend benötigt, um qualitativ hochwertige Orientierung abseits einer DSDS-geprägten Kultur zu bieten. [Ende der Jury-Begründung]

Und zum Schluss eine Werbung für Olaf Leitners Sendung DIWAN

2009 feiern wir 60 Jahre BRD und 60 Jahre die (nunmehr virtuelle) DDR.
Und wir haben Hochzeitstag: Deutschland-West und Deutschland-Ost sind 20 Jahre fest liiert. Ganz unvorbereitet sollte man diesen Ereignissen nicht entgegenfiebern. Auf dem West-Östliche Diwan wird deshalb Bilanz gezogen und rekapituliert, wie sich die beiden Deutschlands durch ihre Populärkultur definiert haben und ob das Willy Brandt´sche Zusammenwachsen wenigstens auf diesem Terrain geklappt hat. Ossis kannten Wessis aus dem Fernsehen. Aber was wussten Wessis von den Ossis? Was war hüben ähnlich, was war drüben ganz anders?
Mit Musik, Interviews und Analysen von damals und von heute blickt man auf dem West-Östlichen Diwan das Gesamtkunstwerk „BRDDR“ zurück. Und nach vorn.

Der West-Östliche Diwan

Alle zwei Wochen. Sonntags. 15 bis 16 Uhr. Auf ByteFM.

Mittwoch, 24. Juni 2009

Der Tod des Demonstranten


Stell dir vor, es gibt ein Denkmal, und keiner guckt hin. Bestimmt 5000mal bin ich an der Stelle schon vorbeigefahren, weil sie an meiner täglichen Route ins Berliner Stadtzentrum liegt. Bemerkt habe ich von dem Denkmal Der Tod des Demonstranten (rechts in Nahaufnahme) nie etwas. Erst die Berichte zum 2. Juni 2009 (siehe meinen Eintrag 2. Juni, der 42.) machte mich auf die Existenz dieser Erinnerungsstele neben der Deutschen Oper aufmerksam. Das Relief stammt von dem österreichischen Künstler Alfred Hrdlicka und will an den Tod des Studenten Benno Ohnesorg erinnern, der ganz in der Nähe ums Leben kam, als er am 2. Juni 1967 gegen den Schah von Persien demonstrierte.

Erstmals in meinem Leben habe ich gestern auf dem Weg in die Innenstadt angehalten und mir das Denkmal aus der Nähe angesehen (hier sind ein paar Fotos). Überzeugt hat es mich nicht. Der Standort ist lausig. Die Erinnerungstafel ist unlesbar. Die Bildsprache ist gestrig. Falls Sie es nicht erkennen: Zwei Polizisten halten einen fast nackten Demonstranten kopfüber an den Beinen, als wollten sie ihn in einen Brunnen fallen lassen. Die Polizisten sehen aus wie die auf den schrecklichen Bildern von 2009 aus Theheran (auf "Lizas Welt" gibt es das Fotos dazu), Berliner Polizisten von 1967 hatten noch keine Kampfmonitur mit Schutzhelm, sondern trugen einen Tschako. Der Text auf der Tafel, der sich vor Ort nicht mehr lesen lässt, lautet:

Am 2. Juni 1967 wurde der Student Benno Ohnesorg im Hof des Hauses Krumme Straße 66 während einer Demonstration gegen den tyrannischen Schah des Iran von einem Polizisten erschossen. Sein Tod war ein Signal für die beginnende studentische und außerparlamentarische Bewegung, die ihren Protest gegen Ausbeutung und Unterdrückung besonders in den Ländern der Dritten Welt mit dem Kampf um radikale Demokratisierung im eigenen Land verband.
Unter diesem Eindruck schuf Alfred Hrdlicka 1971 das Relief
Der Tod des Demonstranten
Dezember 1990
Benno Ohnesorg hätte etwas Bessere verdient als ein unsichtbares Denkmal und die Erinnerung an die Ereignisse des 2. Juni 1967 etwas Sinnvolleres als einen unscharfen Text. Stell dir vor, es gäbe ein neues Denkmal zum 50. Jahrestag und jeder guckte hin. Das wäre gut, auch weil wir heute mehr wissen als gestern und die neuen Erkenntnisse bis 2017 sicher intelligent verarbeitet haben werden.
 

Freitag, 19. Juni 2009

Die Zeitungen des Tages


Das ist eine klasse Idee: Der Branchendienst meedia bringt jetzt jeden Tag eine aktuelle Galerie mit den Titelseiten der Tageszeitungen. Beginnend mit der Bild-Zeitung folgen die großen und kleinen Abonnement-Zeitungen von der FAZ zur taz, von der Welt zur Financial Times Deutschland. Anschließend an weitere deutsche Blätter kommen die großen US-amerikanischen Zeitungen New York Times, Washington Post und Wall Street Journal, dann die britischen Blätter und zum Schluss die französischen, die Libération stets dabei.

Nicht nur für Journalisten ist das interessant, sondern überhaupt für alle, denen das Zeitgeschehen nicht schnurz ist. Die können erstaunt feststellen, wie verschieden ein und derselbe Vortag in den vier Vergleichsländern Deutschland, Vereinigte Staaten, Großbritannien und Frankreich auf den Titelseiten abgebildet wird. Beträchtlich auch der Unterschied innerhalb Deutschlands, an manchen Tagen scheint es nicht sicher, ob sie alle im selben Land erscheinen. An anderen Tagen wiederum wirken sie wie wundersam gleichgeschaltet (gleiches Titelfoto, fast gleiche Titelzeile).

Ganz schön aus der Rolle gefallen ist gestern die tageszeitung (Abbildung: Titelseite der taz vom 18. Juni, lässt sich durch Klicken vergrößern und lesen). Zwar hat auch die FAZ den 80. Geburtstag von Jürgen Habermas zum Titelthema gemacht, aber längst nicht so eindringlich wie die taz. Was diese Titelgestaltung so bemerkenswert macht, ist, dass sie sich an die Einbandgestaltung von suhrkamp taschenbuch wissenschaft anlehnt, die der Typograf Willy Fleckhaus in den 1960er Jahren für die seinerzeit intellektuell führende Taschenbuchreihe entwickelt hatte. Chapeau! Und so kurbelt der neue meedia-Dienst sogar den Verkauf an: Ich habe die taz von gestern soeben bei meinem Zeitungshändler nachbestellt - danke, Herr K. Die muss ich haben!

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Und, hat es sich gelohnt? Fragte mich Herr K. die Woche darauf, und ich antwortete ihm: Ja, sehr sogar, ich fand eine Perle. Davon will ich in diesem Nachtrag kurz berichten. Die Perle war ein Beitrag von Norbert Bolz, hieß Das Paradies des Diskurses (taz vom 18.6.2009, Seite 4) und ist leider nicht online nachzulesen. Darin erhält Habermas' Theorie ein Begräbnis erster Klasse, so kurz und bündig, das es ein intellektuelles Vergnügen ist, auch wenn es sehr schnell vorbei geht. Aber zum Glück ist der Autor Vielschreiber. Obwohl er ganz in der Nähe an der Technischen Universität Berlin Leiter des Fachgebietes Medienwissenschaft ist, hatte ich bis dahin nichts von ihm gehört oder gelesen. Das lässt sich nun leicht ändern: Bei Amazon habe eine lange Buchliste gefunden und bei Wikipedia eine lange Linkliste zum Weiterlesen. Ein Link führt zu einem aktuellen Focus-Interview, in dem Norbert Bolz abschließend sagt: "Ich stelle beispielsweise die These auf, dass nicht der islamistische Terror das Problem ist, sondern der Islam selbst." Er wird sich freuen zu erfahren, dass er da nicht allein steht. Danke, taz.
 

Donnerstag, 4. Juni 2009

Barack Obama: Rede von Kairo im Wortlaut


Rede vom 4. Juni 2009, heute gehalten an der an der Universität Kairo, übersetzt von der amerikanischen Botschaft in Berlin, verbreitet von dpa, veröffentlicht auf Deutsch von sueddeutsche.de. Hier zum Nachlesen oder Ausdrucken oder zum Lesen und Bearbeiten in Word.

Und in Englisch hier der Bericht der New York Times (NYT) mit Fotos, Video und einem Link zum Wortlaut des Originals in der vom Weißen Haus autorisierten Fassung. Sehr pfiffig ist das interactive video and transcript der NYT (Abbildung rechts, lässt sich durch Klicken vergrößern und lesen), das ein gleichzeitiges Zusehen und Mitlesen ermöglicht - und auch hören lässt, welche Passage Beifall bekommt, welche nicht. Das lässt tief blicken und ist nur manchmal ermutigend.

Meine Buchtipps zur weiteren Beschäftigung mit dem Islam habe ich in der Randspalte links neu angelegt, eine Sammlung meiner Lesefrüchte: Jeder Tipp ist klickbar und führt zur entsprechenden Verlagsseite mit Abbildung und näherer Beschreibung von AutorIn und Inhalt. Was mir auffällt: Die Autorinnen sind überwiegend Musliminnen, Islamkritik von männlichen Moslems ist rar. Wer die Bücher der Frauen liest, weiß, warum. Präsident Obamas neue Version der bereits einmal erfolgreichen Politik des Wandels durch Annäherung hakt genau hier ein. Der Ansatz eröffnet Chancen, birgt aber auch erhebliche Risiken. So einfach wie beim ersten Mal wird das nicht. Ich bin gespannt.

Von Kairo flog der Präsident nach Dresden, wo er anderntags (am 5. Juni) gemeinsam mit Bundeskanzlerin Merkel und Sachsens Ministerpräsidenten Tillich die Frauenkirche (und später, zusammen mit Elie Wiesel, das Konzentrationslager Buchenwald) besichtigte. Obama, Tillich und die Frauenkirche waren auch die optischen Signale auf der Titelseite der Beilage Welcome to Saxony, die ich aus Anlass des Obama-Besuchs für The German Times und The Atlantic Times konzipiert und realisiert hatte. Beide Monatszeitungen und auch der Freistaat selbst bieten die Beilage zum Download an. Ist wirklich ein klasse Bundesland, unser Sachsen! Interessant, welchen Zusammenhang die New York Times (in Stuart Emmrichs Blog In Transit) zwischen Kairo und Dresden sieht bzw. (aus Bloomberg) wiedergibt:

By “paying homage to his host nation’s cultural shrines and institutions — such as Obama’s visit June 4 to the Sultan Hassan mosque in Cairo, one of the largest in the Muslim world, or the refurbished Church of Our Lady [Frauenkirche] in Dresden, Germany, June 5 — the president shows he is attuned to others’ national sensibilities.”

Dienstag, 2. Juni 2009

2. Juni, der 42.


Nein, niemand muss die Geschichte umschreiben. Aber jeder sollte die Gegenwart umdenken. Die Protestbewegung von 1967-68 ff. bleibt im Rückblick so janusköpfig, wie sie zur Echtzeit war. Für sie gilt wie für jede gleichartige Bestrebung vor ihr: Das Antiautoritäre hat das Totalitäre zum Zwilling. Neu zu beschreiben ist indes die Rolle des Täters, der die Ereignisse des 2. Juni 1967 herbeigeschossen hat, der sich heute zum 42. Mal jährt. Nun wissen wir, dass es ein SED-Mitglied, ein überzeugter Anhänger des real existierenden Sozialismus war, der Benno Ohnesorg umgebracht hat, ein Mitglied jener Partei, die heute Die Linke heißt. Ein Agent der Staatssicherheit jenes Unrechtsstaates hinter der Mauer, den Die Linke und die gescheiterte sozialdemokratische Präsidentschaftskandidatin sich weigern, einen Unrechtsstaat zu nennen (siehe Eintrag vom 23. Mai, unten). Der Tod von Benno Ohnesorg wird durch die neuen Erkenntnisse zu einem weiteren realsozialistischen Verbrechen, und die gleichzeitige Leugnung des Unrechtscharakters der DDR, in deren Diensten der Täter stand, macht den Todes-Schuss vom 2. Juni 1967 (Abbildung oben, Ausriss aus der BZ vom 23. Mai 2009) zu einem virtuellen Doppelmord: Zur Leugnung einer Unrechtstat kommt die Leugnung eines Unrechtsstaats.

Nachsatz: "Benno Ohnesorg, Opfer eines Stasi-Agenten" steht auf dem Kranz, den die Vereinigung 17. Juni 1953 am Denkmal vor der Deutschen Oper niedergelegt hat. Das berichtet Der Tagesspiegel am Ende des Tages und zeigt ein paar Fotos von der Verhüllung des Denkmals Der Tod des Demonstranten am Platz der Deutschen Oper. Ich habe das Denkmal drei Wochen später fotografiert: So sieht es aus.

Links zu Lesenswertem: Auf achgut (Die Achse des Guten) beschreibt der Journalist Wolfgang Röhl, Warum mich der Casus Kurras nicht interessiert. Eine Rückblende auf die Zurichtung der West-Linken durch die Organe der DDR und ihren Nutzen für die Propaganda der SED. Und auf Jungle World betrachtet ein anderer Journalist, Ivo Bozic, Das Ohnesorg-Theater und fragt sich: Muss die Geschichte umgeschrieben werden? Und wenn ja, wessen? Ein Rückblick auf die Liaison von RAF, Bewegungung 2. Juni und Stasi mit aktuellen Zitaten von seinerzeit Beteiligten.